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„Paperknife“ schickt den Spieler in die Gedanken einer Traumapatientin

von Max Biederbeck
Um in den Kopf ihrer Patientin einzudringen, muss Dr. Joanna Dowell durch Wände aus gekritzelte Bleistiftlinien brechen. Im Hintergrund zittern Worte. „So“, steht da, „What’s been bothering you?“ Dann tauchen die ersten Bilder auf. Sie warten in Nebenräumen, an denen Dowell vorbeiläuft, sind wabernde Skizzen in schwarz, rot und grün. Leise und bedrohlich spielt Musik.

Dowell ist Therapeutin und die Hauptfigur des Spiels „Paperknife“. Die Worte an der Wand bilden ihr Gespräch mit der Teenagerin Siobhán Rosenhan ab. Dowell muss die Gedanken des Mädchens lenken, um ihr bei der Bewältigung eines Kindheitstraumas zu helfen.

„Paperknife“ ist ein Spiel über Entscheidungen. Ein Gespräch in Kunstform, das der Spieler in der Rolle der Ärztin durchläuft. Worte verwandeln sich darin zu Weg-Abzweigungen: Bohrt Dowell mit ihren Fragen zu tief, zittern die Bleistiftlinien im Hintergrund, die Worte fangen an zu verwischen, das Gespräch mit der Patientin bricht ab. Fragt Dowell hingegen zu ungenau, kann sie ihrem Schützling nicht helfen. So führt Paperknife nur auf zwei Wegen zu einem guten Ergebnis. Fünf enden hingegen im „Game Over“: Man hat Siobhán im Stich gelassen.

„Es ging uns darum, dass Spieler nicht nur einfache Ja- und Nein-Entscheidungen treffen, sondern sich über jede Frage Gedanken machen müssen“, sagt Fionn Murray. Der 23-Jährige Student am Dublin Institute of Technology (DIT) war für das Storyboard von „Paperknife“ verantwortlich. Für ihn stand nicht im Vordergrund, ein aufwändiges komplexes Produkt mit guter Grafik zu entwerfen. Er wollte stattdessen zeigen, wie komplex die Gedankenwelt eines traumatisierten Menschen sein kann. „Für die meisten Leute gibt es nur die Extreme“, sagt er: Entweder spielen sie psychische Krankheiten wie Depressionen herunter und tun sie ab, oder etwa Ärzte gebrauchen sie als Erklärung für alles und behandeln sie zu oft und zu schnell mit Medikamenten. „Wir nutzen die Atmosphäre, den Stil und die Dialogform von ‚Paperknife‘ als Kunstform, um auf diese Problematik einzugehen“, sagt Tiago Roldão, der Programmierer des Spiels.

‚Paperknife‘ ist Teil des Abschlussprojekts der beiden am DIT und hat bisher nur einen Level, der kostenlos zum Download bereitsteht. Vor allem von Psychologen gab es gutes Feedback, sagen die Entwickler. Andere Tester fanden hingegen die Zeichnungen unheimlich, manche die Spielmechanik zu statisch.

Letzteres kann man „Paperknife“ aber auf jeden Fall verzeihen. Für ihr Abschlussprojekt hatten Murray und Roldão kaum Budget, die eindrucksvollen Zeichnungen stammen von Roldãos Mitbewohnerin. Die beiden fangen jetzt erst an, Kontakt mit größeren Entwicklerstudios aufzunehmen und sich Gedanken über die Finanzierung von neuen und aufwändigeren Leveln zu machen.

In seinen Ansätzen ist „Paperknife“ aber schon jetzt ein atmosphärisch beeindruckendes Projekt, das eher an eine Multimedia-Geschichte erinnert als an ein durchschnittliches Game. Das Spiel hat keinen wissenschaftlichen Anspruch, oder will wirklich therapieren. Schnell wird klar: Der Spieler schlüpft zwar in die Rolle der Therapeutin — was er aber eigentlich sieht, ist die Interpretation der Welt aus den Augen einer Jugendlichen, die versucht, ihre Traumata aufzuarbeiten. Im Grunde schafft das Spiel damit vor allem eins: Verständnis für die Folgen von Traumata, die das Leben eines Menschen kompliziert machen können. Plötzlich ist man dann selbst im Kopf von Siobhán Rosenhan. 

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