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Das Spiel „Everybody‘s Gone to the Rapture“ ist ein Spaziergang durch den Weltuntergang

von Oliver Klatt
Walking-Simulatoren sind seit einiger Zeit groß im Kommen. Spiele wie „Dear Esther“ und „Gone Home“ setzen auf Einkehr statt auf Action. Das gemächliche Erforschen einer Videospielwelt steht dabei im Mittelpunkt und nicht die Zerstörung derselben. Jüngster Genrezuwachs: der Endzeitspaziergang „Everybody‘s Gone to the Rapture“ vom britischen Entwicklerstudio The Chinese Room für die Playstation 4.

Schauplatz von „Everybody‘s Gone to the Rapture“ ist das am Fuße eines Observatoriums gelegene Dorf Yaughton im Westen Englands. Die Vögel zwitschern idyllisch, die Blumen blühen in liebevoll kuratierten Vorgärten und die Sonne malt Schattenbilder auf Wege und Wiesen. Doch etwas stimmt nicht: Weit und breit ist kein einziger Mensch zu sehen. Wo Dorfbewohner ihrem Tagewerk nachgehen sollten, wandern nun seltsame Leuchtkugeln wie Irrlichter durch die Landschaft. Kommt man ihnen näher, sind Stimmen zu hören: Gespräche aus der Vergangenheit, die sich ereignet haben, kurz bevor etwas an diesem Ort schief gelaufen ist.

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Schauplatz von „Everybody‘s Gone to the Rapture“ ist das am Fuße eines Observatoriums gelegene Dorf Yaughton im Westen Englands. Die Vögel zwitschern idyllisch, die Blumen blühen in liebevoll kuratierten Vorgärten und die Sonne malt Schattenbilder auf Wege und Wiesen. Doch etwas stimmt nicht: Weit und breit ist kein einziger Mensch zu sehen. Wo Dorfbewohner ihrem Tagewerk nachgehen sollten, wandern nun seltsame Leuchtkugeln wie Irrlichter durch die Landschaft. Kommt man ihnen näher, sind Stimmen zu hören: Gespräche aus der Vergangenheit, die sich ereignet haben, kurz bevor etwas an diesem Ort schief gelaufen ist.

Als Spieler stolpert man durch die Einsamkeit und versucht, sich einen Reim auf all das zu machen: Was ist geschehen? Wo sind all die Menschen hin? Und was sind das für seltsame Botschaften, die aus Radios und Fernsehgeräten zu hören sind?

Obwohl auch „Everybody‘s Gone to the Rapture“ aus der First-Person-Perspektive erlebt wird, erinnert wenig an die bewährten Mechanismen von Egoshootern und Action-Adventures. Es gibt keine Feinde, keine Puzzles und keine Missionsziele zu erfüllen. Stattdessen gilt es, eine Geschichte zu finden. Man muss Licht auf das Schicksal der Menschen und das Beziehungsgefüge einer Dorfgemeinschaft werfen, die vom Erdboden verschwunden ist. Dan Pinchbeck, Creative Director von „Everybody‘s Gone to the Rapture“, hat uns im Interview seinen ungewöhnlichen Spielansatz erklärt.

WIRED: In „Everybody‘s Gone to the Rapture“ beschränkt sich die Interaktion mit der Spielwelt beinahe ausschließlich darauf, dass man durch sie hindurchgeht — genau wie in deinem ersten Game „Dear Esther“. Warum bereitet dir das Spazieren in Computerspielen so viel Spaß?
Dan Pinchbeck: Ich bin nicht sonderlich gut darin, Rätsel zu lösen und Aufgaben zu meistern. So denke ich einfach nicht. Als Spieler bin ich vor allem an der emotionalen Erfahrung interessiert. Auch als großer Fan von First Person Shootern geht es mir nicht darum, besonders präzise Treffer zu landen, sondern um das Gesamterlebnis. Games sind unheimlich gut darin, dir das Gefühl zu geben, an einem anderen Ort zu sein.

WIRED: Hast du Beispiele?
Dan Pinchbeck: „Doom“ und das erste „Tomb Raider“ haben mich damals auf diese Weise verblüfft. Und auch von den Titeln der „Stalker“-Reihe bin ich deshalb besessen, weil sie mich in eine andere Welt versetzen. Die Mechanik dieser Spiele ist nicht perfekt, aber ihre Welt ist ungemein glaubhaft und anziehend. Einfach nur in ihr umherzugehen und verlassene Gebäude zu erkunden, reicht mir schon. Auch in einem Open-World-Game wie „Skyrim“ ist das Herumreisen und das Entdecken neuer Gegenden viel interessanter, als die Spielmissionen zu erfüllen.

WIRED: In diesen Games trifft man aber ständig auf andere Menschen, Tiere oder Monster. In „Dear Esther“ hingegen ist man allein mit dem Erzähler, der Briefe vorliest. Und in „Everybody‘s Gone to the Rapture“ sind es lediglich Schemen aus der Vergangenheit, denen man zuhören kann. Die Welten dieser Walking-Simulatoren wirken manchmal sehr leer. Hast du keine Sorge, dass die Spieler eurer Games sich einsam fühlen?
Pinchbeck: Nachdem wir „Everybody‘s Gone to the Rapture“ fertig gestellt hatten, haben wir schon darüber nachgedacht, dass es an der Zeit wäre, etwas anderes auszuprobieren. Wir haben ja jetzt drei Spiele in Folge über das Alleinsein gemacht. Und ich denke nicht, dass wir ein viertes zu diesem Thema machen wollen. 

WIRED: Bist du denn bisher in Versuchung geraten, eure Games mit mehr Leben zu füllen?
Pinchbeck: Das Problem mir der Darstellung von menschlichen Figuren und Emotionen in Videospielen ist, dass man dabei nur knapp daneben liegen muss, damit die Illusion in sich zusammenfällt. Schau dir zum Beispiel ein Game wie „Beyond: Two Souls“ von Quantic Dream an. Man bewundert darin die Animation und die Gesichtszüge der Figuren, bis man bemerkt, dass die irgendwie nicht richtig sind. Auch bei Filmumsetzungen von Büchern erlebt man diesen Effekt.

WIRED: Aber die eigene Vorstellung hält einen doch in der Geschichte?
Pinchbeck: Wenn aber die Vorstellung, die ein Leser sich von einer Figur gemacht hat, mit dem Gezeigten nicht übereinstimmt, funktioniert das nicht. Da hilft es auch nichts, dass ein großer Hollywood-Star die Rolle übernommen hat. Ich halte es daher für besser, auf die Vorstellungskraft der Spieler zu setzen. Die Geschichte von „Everybody‘s Gone to the Rapture“ wird zur Geschichte des Spielers, der sich beim Anhören der Dialoge an Menschen aus seinem eigenen Leben erinnert fühlt. Indem wir die Figuren nicht wirklich zeigen, werden die Spieler an dem Prozess der Charaktergestaltung beteiligt. Es ist gar nicht nötig, Millionen für Motion-Capturing auszugeben.

WIRED: Dennoch habt ihre euch bei der Geschichte von „Everybody‘s Gone to the Rapture“ an ein beliebtes Videospielthema gehalten. Games, die nach dem Zusammenbruch der menschlichen Zivilisation spielen, gibt es schließlich viele.
Pinchbeck: Aber keines davon hat bisher das Ende der Welt aus Sicht gewöhnlicher Menschen in den Mittelpunkt gestellt. Wir sind sehr von Autoren wie J.G. Ballard und John Christopher beeinflusst. Und wir dachten uns, man könnte das Thema im Videospiel interessanter behandeln, als bisher. Es muss nicht unbedingt eine Heldengeschichte à la „Mad Max“ sein.

WIRED: Aber was dann?
Pincheck: Ich finde zum Beispiel die Dialoge einiger Nebenfiguren in dem Spiel „Metro: Last Light“ viel interessanter als die Haupthandlung. In „Everybody‘s Gone to the Rapture“ geht es um das Menschsein an sich. Um Fragen wie „Was bedeutet es, ein erfülltes Leben gehabt zu haben?“ oder „Warum sind wir hier?“. Unsere vorherigen Spiele „Dear Esther“ und „Amnesia: A Machine for Pigs“ hatten Trauer und Wahnsinn zum Thema. Ihre Grundstimmung war sehr düster und sie warfen kein besonders gutes Licht auf die menschliche Natur. Mit „Everybody‘s Gone to the Rapture“ wollten wir einen anderen Weg gehen und zeigen, dass der Wert eines Lebens nicht in epischen Maßstäben gemessen wird, sondern an jenen kleinen, alltäglichen Momenten der Freundlichkeit und der Solidarität.  

WIRED: Als Spieler wird man Zeuge solcher zwischenmenschlichen Momente. Man kann Gespräche zwischen heimlichen Liebhabern oder einem Pastor und seinen Schäfchen belauschen. Ob man sie jedoch alle findet — und in welcher Reihenfolge — hängt davon ab, wie gewissenhaft man die Spielwelt erkundet. Was wolltest du als Autor mit dieser fragmentierten, nichtlinearen Erzählweise erreichen?
Pinchbeck: Zunächst einmal wollte ich verhindern, dass wir uns langweilen. Wir haben ja bereits Spiele gemacht, die einer linear strukturierten Erzählung folgen. Außerdem fand ich den Gedanken interessant, den Spieler dazu zu inspirieren, eine Geschichte zu finden, anstatt sie ihm in vorbestimmter Reihenfolge vorzusetzen.

WIRED: Aber verändert das wirklich den Spielablauf?
Pinchbeck: Ja es hat faszinierende Konsequenzen: Das Bild, das man sich von den Figuren macht, ändert sich in Abhängigkeit davon, welche Dialoge man gefunden hat und in welcher Reihenfolge man sie findet. Man könnte zum Beispiel denken, dass die Figur Wendy aus dem Spiel eine Rassistin ist. Entdeckt man jedoch ein vertrauliches Gespräch zwischen ihr und einer weiteren Figur, erfährt man, dass das gar nicht stimmt. Dasselbe gilt auch für Stephen, den viele Spieler abgrundtief hassen. Es gibt Szenen im Spiel, die zeigen, wie verzweifelt er ist und warum er diese furchtbaren Dinge tut. Der Charakter der Figuren verändert sich dadurch. Die Handlungen des Spielers und der Weg, den er geht, beeinflusst seine Beziehung zu den Figuren. So etwas ist nur in einem Videospiel möglich. 

WIRED: Das bedeutet aber auch, dass man unter Umständen eine weniger gute Geschichte vorfindet. Je nachdem, wie genau man nach diesen Erzählfragmenten gesucht hat.
Pinchbeck: Das Risiko besteht mit Sicherheit. Unser Spiel erfordert Geduld. Es ist ein sehr langsames Spiel. Mir ist bewusst, dass man dadurch Leute verliert. Aber es ist besser, ein Spiel zu machen, das von einigen geliebt wird, als eines, das viele Menschen ganz ok finden. Nimm zum Beispiel einen Film wie „Solaris“ von Andrei Tarkowski: Dessen Erzähltempo ist quälend langsam. Aber genau dadurch entfaltet er seine Kraft. Das gefällt natürlich nicht jedem. Aber das geht in Ordnung. 

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WIRED: Bemerkenswert an „Everybody‘s Gone to the Rapture“ ist, dass es sich auf ernsthafte Weise mit Religiosität auseinandersetzt — angefangen vom Titel des Spiels über die Figur eines mit seinem Glauben hadernden Geistlichen bis hin zu dem sakralen Soundtrack von Jessica Curry. Warum war euch das wichtig?
Pinchbeck: Zunächst einmal wollten wir diese ländliche Dorfgemeinschaft möglichst glaubhaft darstellen. Und dazu gehört eben auch ein religiöses Weltbild. Ich bin in einem englischen Dorf in den Achtzigern aufgewachsen und meine Mutter ist ausgesprochen gläubig. Außerdem liebt Jessica Curry Chormusik. Sie ist ein großer Fan von John Taverner. Und der war durch und durch religiös. Das hört man auch seinen Kompositionen an. Mit ihrem Soundtrack zu „Everybody‘s Gone to the Rapture“ wollte Jessica dem säkularen Glauben Ausdruck verleihen. Sie hat sich die Frage gestellt: Wie kann ich als Atheist Musik komponieren, die das selbe Gefühl von Staunen und Ergriffenheit angesichts der Welt widerspiegelt wie die traditionelle, vom Glauben geprägte Musik. Diese Idee hat uns beide sehr interessiert. Carl Sagan hat in einem seiner letzten Bücher geschrieben, dass die christliche Überlieferung und Vorstellung von Gott in ihm weniger Ehrfurcht hervorruft, als das, was Wissenschaftler bereits über das Universum herausgefunden haben. Diese Weltsicht wollen wir auch mit unserem Spiel vermitteln — und die Diskrepanz zwischen der Weite des Universums und einem winzigen Menschenleben, das gerade durch diesen Größenunterschied zu etwas besonderem wird.  

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