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CrimeWatch / Mit Crowdfunding dem Gefängnis entkommen

von Sonja Peteranderl
Crowdfunding kann Menschen vor dem Gefängnis retten. Ein echter Gamechanger für mehr Gerechtigkeit sind Online-Spendenkampagnen aber nicht.

Miniatur-Drohnen, Erfindungen, die reine Utopie sind, oder Kartoffelsalat: Mit cleverem Crowdfunding lässt sich fast alles finanzieren. Inzwischen werden Online-Spendenaufrufe auch immer häufiger eingesetzt, um Menschen vor einer Gefängnisstrafe zu bewahren oder Häftlinge zu unterstützen — etwa indem das eingesammelte Geld rechtlichen Beistand finanziert.

„Crowdfunding ist zu einem Tool für den Umgang mit dem Justizsystem geworden“, heißt es auf der Plattform The Marshall Project. „Es ist nicht ungewöhnlich, Crowdfunding-Aufrufe für Kaution, Gerichtskosten, Bußgeld oder Honorare für gerichtliche Expertengutachten zu finden.“

Manchmal sind es schon überschaubare Beiträge wie ein paar Hundert Dollar, die Menschen vor einer Gefängnisstrafe bewahren können — etwa bei einer Frau, deren Hund den Besitz des Nachbarn verwüstet hat und die das Bußgeld nicht bezahlen kann.

Bei einem Musiker haben sich hingegen mehrere kleinere Vergehen summiert: „Ich habe bisher niemals Hilfe gebraucht, und es fühlt sich seltsam an, zu sagen, dass es jetzt so ist, aber ich muss 120 Tage ins Gefängnis, wenn ich nicht 1500 Dollar aufbringen kann“, schreibt er auf der Crowdfunding-Plattform GoFundMe. Seine Kampagne war erfolgreich — mit fast 70 Unterstützern. Sucht man auf der Website nach „Jail“, also Gefängnis, werden mehr als 2700 weitere Kampagnenseiten angezeigt.

Funded Justice hat sich sogar ganz auf Justizfälle fokussiert. Betroffene stellen hier ihre Fälle mit aufwändigen Videos oder Foto-Slideshows vor, auch Updates zur Entwicklung der Verfahren werden gebloggt.

Einzelnen eröffnet Crowdfunding tatsächlich die Chance, dass ihr Fall neu aufgerollt wird, sie einer Gefängnisstrafe wegen minderer Verstöße entgehen oder sie vor Gericht professionell verteidigt werden. So kann Crowdfunding zu einer Notlösung werden, wenn Sozial- und Justizsystem versagen — und es entlastet, ein bisschen zumindest, die ohnehin überfüllten Gefängnisse, die für viele Insassen nur noch weiter in die Abwärtsspirale führen.

Ein echter Gleichmacher ist Crowdfunding aber trotzdem nicht. Es bleibt ein Mythos, dass online jeder jeden erreicht — und alles erreichen kann. Crowdfunding reflektiert die klassischen Spielregeln sozialer Ungleichheit: Eine Spendenkampagne ist ein 24/7-Job, der Wissen über Selbstvermarktung und eine Strategie erfordert. Es ist ein Job, den man beherrschen und den man sich leisten können muss. Jemand, der nicht weiß, wie er 100 Dollar für ein Bussgeld auftreiben soll, hat keine Zeit für einen (vorerst unbezahlten) Job als Campaigner in eigener Sache.

Außerdem gilt: Je besser vernetzt und wohlhabender das eigene Netzwerk, desto erfolgreicher ist meistens die Kampagne. Egal ob es beim Crowdfunding um Kreativprojekte oder Gefängnis geht: Zuerst spenden meist Freunde und Bekannte. Menschen, denen schon offline das soziale Netzwerk fehlt, haben es hingegen schwer, Unterstützer zu finden — obwohl gerade sie diese Chance am dringendsten bräuchten. 

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