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Hey, Peter Tauber, was sollen wir in den 50ern?!

von Johnny Haeusler
Vollzeitbeschäftigung als Sicherheitsgarant? Quatsch, sagt unser Kolumnist: Wir brauchen neue Gesellschaftsmodelle. Und deshalb ist er auch so sauer auf den CDU-Generalsekretär Peter Tauber, der mit einem Tweet und einer knapp daneben liegenden Entschuldigung die Diskussion um die Arbeit der Zukunft in die 50er zurückkatapultierte.

Wer in den letzten Tagen nicht gerade offline oder anderweitig abwesend war, hat es mitbekommen: „Wenn Sie was Ordentliches gelernt haben, dann brauchen Sie keine drei Minijobs”, twitterte CDU-Generalsekretär Peter Tauber Anfang der Woche. Es folgte das, was PR-Agenturen und Medien einen Shitstorm nennen, weil sich das cooler anhört als „berechtigte Kritik“ oder „zornige Reaktion“. Genau das war es aber natürlich.

Der CDU-Generalsekretär beteuerte schnell, da sei wohl was mit ihm durchgegangen. In einem etwas längeren, als Screenshot geposteten Text schrieb er: „Wer drei Minijobs braucht, um über die Runden zu kommen, der hat es nicht leicht. Und ich wollte niemandem zu nahe treten, der in so einer Situation ist. Es tut mir leid, dass ich mein eigentliches Argument – wie wichtig eine gute Ausbildung und die richtigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind, damit man eben nicht auf drei Minijobs angewiesen ist – so blöd formuliert und damit manche verletzt habe.“

Die Tauberformel klammert sich an eine Ära, die es nicht mehr gibt

Okay, blöd formuliert. Aber sonst? Im Kern bleibt Peter Tauber ja bei seiner Weltsicht. Da muss man sich doch neben der berechtigten Aufregung über fehlende Empathie, mangelndes Feingefühl und einen gewissen Realitätsverlust des CDU-Generalsekretärs fragen: Ist das jetzt diese Arbeit 4.0, die seine Chefin propagiert? Oder ist die Tauberformel „Mit einer guten Ausbildung bekommen Sie immer einen Job“ nicht eher ein Festklammern an Arbeit 1.0? Um Wählerinnen und Wähler in vermeintlicher Sicherheit zu wiegen?

„Vollbeschäftigung für alle!“, „Tolle Jobs bei guter Ausbildung!“ – das sind Slogans, welche die Bevölkerung in eine Ära zurück katapultieren sollen, die es nicht mehr gibt. Die CDU, die ihren Wählerinnen und Wählern im Wahlprogramm die „Vollbeschäftigung“ bis 2025 verspricht, hat nicht den Mut, den Arbeitsmarkt völlig neu zu denken – wie eigentlich alle anderen Parteien auch. Politiker sollten anstatt von „Vollbeschäftigung“ zu sprechen, darüber nachdenken, wie ein Leben in Würde aussehen kann, in dem Engagement und Tätigkeiten so honoriert werden, dass jeder davon sich und gegebenenfalls eine Familie ernähren kann.

Der lebenslange Vollzeitjob als Garant des Glücks ist in Zeiten, in denen Maschinen immer mehr Aufgaben übernehmen können, ein auslaufendes Lebensmodell. Die bald gesuchten Fähigkeiten existieren weder als Lehrberuf, noch sind sie Teil der Schulbildung. Wir müssen dieser Tatsache ins Auge sehen und dafür neue Gesellschaftsmodelle entwerfen und diskutieren, schulische Lehrpläne und Ausbildungsarten anpassen. Ich würde mir Politiker wünschen, die das anerkennen. Stattdessen bleibt Peter Tauber bei Parolen, die ich noch aus den 1970er Jahren kenne: „Wer etwas Anständiges lernt, der findet auch einen Job“.

Keine Partei traut sich, darüber zu reden, dass ganze Arbeitsbereiche wegfallen werden

Eine abgeschlossene Ausbildung ist eben kein Garant für einen Job, wenn es für diesen Job fünf oder zehn Jahre später keinen Bedarf (mehr) gibt. Dann müssen Menschen neu, weiter und dazu lernen. Auf diese neue Lebens- und Lernart sollten Politikerinnen und Politiker Menschen vorbereiten, statt Versprechen zu machen, die sie nicht halten können. Keine Partei traut sich, darüber zu reden, dass in sehr naher Zukunft ganze Arbeitsbereiche wegfallen werden. Allein durch Elektroautos muss sich die Automobilbranche komplett neu orientieren und Zehntausende von Arbeitsplätzen werden einfach verschwinden.

Und vielleicht muss die Vollbeschäftigung auch gar nicht das erstrebenswerte Ziel der Menschheit im 21. Jahrhundert sein. Vielleicht wären wir alle viel glücklicher, wenn wir eben nicht das ganze Leben lang schuften, um dann mit einer mickrigen Rente auf den Tod zu warten. Warum versuchen Politiker immer noch, uns weiszumachen, dass dauernde Arbeit das Ziel des Lebens sein muss, obwohl es allein darum geht, gebraucht zu werden, darum Teil einer funktionierenden Gemeinschaft zu sein und sich das Leben finanzieren zu können. Anstatt mit einem „anständigen Beruf“ vielleicht einfach durch soziales Engagement. Und wenn dabei höhere Gehälter nicht möglich sind, wären bezahlbare Mieten vielleicht ein Anfang.

Wo sind auch nur partiell umsetzbare Konzepte für das Grundeinkommen? Wo sind die Debatten über die endlich angemessene Honorierung der in einer alternden Gesellschaft so wichtigen sozialen Berufe?

Wir leben in einem Land und in einer Zeit, in der Engagement, Flexibilität und die sogenannten Soft Skills für die Jobs der nahen Zukunft wichtiger denn je sind. Ich selbst habe keine abgeschlossene Ausbildung und mir geht’s glücklicherweise ganz gut. Sehr viele meiner Bekannten (und auch sehr viele Politikerinnen und Politiker) haben abgebrochene Studiengänge oder Ausbildungen und arbeiten in ungelernten Berufen. Sie üben Jobs aus, die sie sich im Ausbildungsalter vermutlich nicht haben vorstellen können. Und einige meiner Bekannten, die eine sehr gute Ausbildung genossen haben, finden keinen Job in ihrem Berufszweig.

Die Ausbildung als Garant für einen tollen Job halte ich für ein Märchen

In meiner Funktion als Arbeitgeber stelle ich immer wieder fest, dass die wertvollsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selten die sind, die nach drei Jahren Ausbildung strickt nach Lehrbuch arbeiten. In der Praxis hilft das oft wenig. Sondern es sind oft genug Menschen, die Lebens- und Teamerfahrung gesammelt haben, die sowohl schriftlich als auch mündlich sehr gut kommunizieren können und die auf veränderte Situationen in kurzer Zeit reagieren. Kollegen, die vor allem immer weiter lernen. Jeden Tag.

Mir ist der Mitarbeiter, der fünf Jahre durch die Welt getourt ist und dabei herausgefunden hat, wo seine persönlichen Stärken liegen, lieber als der, der sein Studium in Rekordzeit abgeschlossen und dabei die Universitätsstadt nie verlassen hat. Selbstverständlich gibt es viele Berufe, für die eine sehr gute Ausbildung nötig ist. Aber den Abschluss einer Ausbildung als Garant für einen tollen Job hinzustellen, halte ich für ein Märchen.

Überhaupt ist die ganze Sprache rund um Arbeit ein Überbleibsel aus den 50er Jahren. Wenn wir von „Geringverdienern“ sprechen, fallen wir auf einen semantischen Trick herein, der suggeriert, dass Menschen in schlecht bezahlten Jobs eben nicht mehr verdienen. Beginnt man, diese Menschen „geringhonoriert“ zu nennen, ändert sich plötzlich die Frage nach der Verantwortlichkeit. Viele Menschen in schlecht bezahlten Berufen verdienen sehr wohl sehr viel mehr. Sie werden nur eben schlecht bezahlt.

Aber wenn wir diese Frage stellen, würde das zu einer Debatte führen, die den gesamten Zustand unserer Arbeitswelt in Frage stellt. Wir müssten unsere Perspektiven verändern und diskutieren, wie es weitergehen soll. So weit sind wir als Gesellschaft noch lange nicht. Zumindest nicht mit Politikern wie Peter Tauber.

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