Hinweis zu Affiliate-Links: Alle Produkte werden von der Redaktion unabhängig ausgewählt. Im Falle eines Kaufs des Produkts nach Klick auf den Link erhalten wir ggf. eine Provision.

Zum Filmstart: Ein Blick hinter die Kulissen von Blade Runner 2049

von GQ
35 Jahre nach Blade Runner zeichnet der Nachfolger des Films ein düsteres Bild unserer Zukunft. Die Fortsetzung verrät jedoch noch mehr. Zum Beispiel, wie es um die Sehnsucht der Menschheit nach Dystopie bestellt ist. WIRED besuchte Ridley Scott, Harrison Ford und Ryan Gosling am Set.

Am 5. Oktober kommt Blade Runner 2049 in die Kinos. WIRED hatte vorher die Gelegenheit, am Set einen Eindruck zu bekommen von dem, was da kommt:

Ich habe Dinge gesehen, die ihr Menschen niemals glauben würdet: Wolkenkratzer versinken in gelbem Nebel; Elvis Presley spielt auf einer Bühne in einem Art-Déco-Nachtclub; Wasser tropft sanft auf die Scheiben eines fliegenden Autos, nur um kurz darauf zu verschwinden – wie Tränen im Regen.

Und ich habe gesehen, wie der Blade Runner los lief... und wieder...und wieder. Immer wieder.

Es ist ein Herbstmorgen im Jahr 2016. Auf einem riesigen Filmgelände am Rande von Budapest dreht Harrison Ford – graues Button-Down-Shirt, dunkle Jeans und Ford-typischer Gesichtsausdruck – eine entscheidende Szene in Blade Runner 2049. Das erste Mal seit mehr als drei Jahrzehnten spielt Ford wieder seine Rolle des Rick Deckard – den Klavier spielenden, Alkohol trinkenden Polizisten aus Ridley Scotts Blade Runner von 1982. Der 75-jährige Schauspieler hat zwar einige Verletzungen über die Jahre erlitten – diesem Mann ist immerhin schon mal die Tür des Millenium Falken auf den Fuß gefallen – aber er wirkt erstaunlich fit, während er durch Deckards Wohnung sprintet, mit gut durchtrainiertem Oberkörper und einem wolfsähnlichen Hund an seiner Seite.

In der Szene wird Deckard von Special Agent K (Ryan Gosling) verfolgt, der methodisch – beinahe roboterhaft – durch eine Marmorwand in Deckards Wohnung bricht. Wie eine schlankere Version der amerikanischen Werbefigur Kool-Aid-Man. Aber jedes Mal, wenn Gosling die Wand zerschlägt, erschrickt der Hund und rennt aus dem Bild, bevor der 49-jährige französisch-kanadische Regisseur Denis Villeneuve „Cut“ rufen kann.

Warum K nicht einfach die Tür benutzt, ist nicht ganz klar, denn die Handlung von Blade Runner 2049 wird so streng geheim gehalten, wie es sonst nur bei Nachdrehs von Szenen bei Star-Wars-Filmen der Fall ist. Selbst eine Erlaubnis zu bekommen, am Set dabei zu sein, erfordert mehr Durchhaltevermögen als der Voight-Kampff-Test, mit dem Deckard im Film überprüft, ob jemand ein Roboter ist. Mir wurde erzählt, dass ich der einzige Journalist bin, dem es gestattet wurde, hier zu sein.

Es gibt nur einige wenige bestätigte Details der Handlung: Dreißig Jahre nachdem die Zuschauer Deckard verletzt und entkräftet in den Straßen von Los Angeles zurücklassen mussten, ist er spurlos verschwunden. Der von Gosling gespielte LAPD-Ermittler ist ihm auf den Fersen. Womöglich im Auftrag seiner Chefin, gespielt von Robin Wright, doch so wirklich will das niemand am Set bestätigen. Währenddessen baut ein mysteriöser Erfinder namens Wallace (Jared Leto) zusammen mit seiner ergebenen Assistentin Luv (Sylvia Hoeks) eine neue Version der humanoiden Roboter – im Film Replikanten genannt. Und das ist so ziemlich alles, was das 2049-Team mir erzählen will. Ganz egal, wie höflich ich frage. „Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich überhaupt sagen darf, dass mir der Dreh Spaß macht“, scherzt Gosling.

Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich überhaupt sagen darf, dass mir der Dreh Spaß macht.

Ryan Gosling

Während Ford immer wieder über das Set rennt und sich Gosling unermüdlich an der Wand zu schaffen macht, steht Villeneuve neben der Wohnungskulisse. Sein kurzes grauschwarzes Haar ist zerzaust an diesem Morgen. Wenn er mit einer Szene zufrieden ist, dann lässt sich das daran erkennen, dass er seine Worte mit einem typisch französischen Akzent wiederholt. „Wenn du drei deeeplys hörst – ‚I deeeply, deeeply, deeeply love it’ – weißt du, dass du es gut gemacht hast“, sagt Gosling. Nachdem der Hund nun endlich das richtige Timing raushat, steckt Villeneuve seine Hände in die Taschen und nickt zufrieden und sagt: „Greatgreatgreatgreatgreat.“

Obwohl man es dem Regisseur nicht anmerkt – während er leise mit den Schauspielern redet, Kaugummi kaut oder sich seinen Bart glattstreicht – die Szene bereitet ihm doch Kopfzerbrechen. Die Action in Blade Runner 2049 soll nicht zu laut sein oder zu gewagt aussehen. Sie sollte nicht „zu Marvel“ sein, wie es Villeneuve ausdrückt. „Ich will sie so nah wie möglich am originalen Blade Runner haben: einfacher und brutaler“, sagt er. Ziemlich mutig. Denn der erste Film war nicht gerade ein Kassenschlager und konnte die Kinogänger mit seiner kalten und brutalen nicht allzu fernen Zukunft, in der die Menschheit von Katastrophen und Korruption heimgesucht wird, nicht in seinen Bann ziehen.

Selbst jetzt, mehr als dreißig Jahre später, nachdem eine Neubewertung des Films und seines Einflusses auf unsere Kultur stattgefunden hat, ist Blade Runner 2049 eine seltene Ausnahme in Hollywood: eine 150 Millionen Dollar teure Fortsetzung eines Films, den zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung nur wenige Leute gut fanden (oder einfach nicht richtig verstanden haben).

Was den Vergleich zwischen beiden Filmen noch komplizierter macht, ist das Versprechen von Blade Runner 2049, eine noch düstere Vision der Zukunft zu zeichnen als das Original. Er will also die dystopische Zukunftsangst noch verstärken, mit der die Kinobesucher und Kritiker im Jahr 1982 konfrontiert wurden. Wie werden sie reagiern, wenn die Welt in Villeneuves Version noch hoffnungsloser ist?

Ridley Scott schwört, dass er nicht allzu viel über die Vergangenheit nachdenkt. Ich frage ihn, ob er sich bestätigt fühlt, dass die Welt Blade Runner endlich eingeholt zu haben scheint, und er starrt mich kurz an, zuckt dann mit den Achseln und sagt: „Das ist mir scheißegal.“

Moment. Wirklich?

„Nein, es ist mir tatsächlich egal“, sagt er. „Ich habe in zwei Wochen einen Dreh in Rom. „Das Wichtigste ist doch, sich ständig vorwärtszubewegen und niemals zurückzublicken.“

Scott, 79 Jahre alt, ist verantwortlich für einige der zukunftsweisendsten Science-Fiction-Filme der letzten vier Jahrzehnte. An einem Frühlingstag in Los Angeles sitzt er, von oben bis unten schwarz gekleidet, am Rande eines Sofas. Er ist mir gegenüber freundlich, ich merke aber, dass es ihm lieber wäre, wenn wir uns mit dem Gespräch etwas beeilen würden. Und während er sagt, dass er nicht zurückblicken will, hat er in Wahrheit Jahrzehnte damit verbracht, sein Interesse an Blade Runner aufrechtzuerhalten. Obwohl (oder sogar weil) er wahnsinnig viele Probleme mit dem Film hatte – verärgerte Investoren, eine verbitterte Film-Crew und endlose, kräftezehrende Verzögerungen, die so umfangreich waren, dass sie für ein ganzes Buch und eine dreieinhalbstündige Dokumentation gereicht haben.

Die Geschichte darüber, was sich hinter den Kulissen abspielte, begann 1977, als ein erfolgloser Schauspieler namens Hampton Fancher einen Film auf Basis von Philip K. Dicks Buch Träumen Androiden von elektrischen Schafen? drehen wollte. Das Buch ist ein ideenreicher, Paranoia-getränkter Roman über den Androiden-Jäger Deckard, der sich in eine synthetische Kreatur namens Rachael verliebt. Im Roman, wie auch im späteren Film, werden die Androiden von einem geheimen Unternehmen hergestellt und für Arbeiten eingesetzt, auf die Menschen keine Lust mehr haben. Fancher schloss sich mit Scott zusammen – der mit seinem Horrorfilm Alien Erfolge feierte – und die beiden verbrachten Monate zusammen, um an einer frühen Version des ersten Drehbuchs zu arbeiten, in dem sie das Leben im Jahr 2019 skizzierten. Den Namen Blade Runner entliehen sie sich aus einem Roman von William S. Burroughs.

„Science-Fiction ist eine ganz besondere Form des Films“, sagt Scott. „Es ist wie ein Theaterstück, wie eine Kiste, in der alles möglich ist – aber du musst den Rahmen festlegen, indem du Richtlinien und Regeln aufstellst, bevor du anfängst. Sonst kommt nur Unsinn dabei heraus.“

Während der Dreharbeiten habe ich mich regelmäßig mit Harrison betrunken

Ridley Scott

Nach einigen Unstimmigkeiten mit Fancher schrieb Scott das Drehbuch zusammen mit David Peoples (Erbarmungslos und 12 Monkeys) fertig. 1981 schließlich begannen die Dreharbeiten mit Ford als Deckard und Sean Young, die die Rolle der Rachael übernahm. Es soll damals regelmäßig zu Auseinandersetzungen zwischen dem Briten Scott und seiner amerikanischen Filmcrew gekommen sein und auch – so lautet ein Gerücht – mit Ford. In Dangerous Days, der Making-of-Dokumentation aus dem Jahr 2007, erinnert sich ein Produzent daran, dass Ford wegen der ständigen Verzögerungen beim Dreh ziemlich „angepisst“ war. Scott bestreitet, dass die Spannungen zwischen ihm und seinem damaligen Star so schlimm gewesen seien: „Oh, wir kamen gut miteinander zurecht. Während der Dreharbeiten habe ich mich regelmäßig mit Harrison betrunken.“

Als Blade Runner im Juni 1982 herauskam, halfen selbst Fords Star-Wars-Bekanntheit und Scotts Alien-Erfolg nicht, die Leute in die Kinos zu locken. Mit seiner düsteren Zukunft ohne Sonnenlicht und Szenen voller Gewalt wurde der Film von den meisten Kinobesuchern ignoriert. Stattdessen entschieden sie sich, den Sommer mit E.T. zu verbringen oder sich auf den Zorn des Khan einzulassen. Und so spielte der Film am Eröffnungswochenende 6,15 Millionen Dollar ein – nur wenig mehr als Rocky III, der schon fast einen Monat lang in den Kinos lief.

Die Zuschauer reagierten befremdet auf das Zukunftsszenario, das darin gezeigt wurde. „Es war nicht wie in Flash Gordon, wo jeder tolle Raumanzüge und glänzende Raumschiffe hat und die Leute sexy aussehen”, sagt Futurist und Physiker Michio Kaku. „In Blade Runner waren die Menschen Außenseiter und die Roboter machten die Drecksarbeit. Das hat die Zuschauer erschüttert.“

Der Schock saß bei vielen Zuschauern besonders tief, da Blade Runner im Gegensatz zu vielen anderen Science-Fiction-Filmen dieser Zeit nicht irgendeine Zukunft zeigte, die in weiter Ferne zu sein schien. Anders war es bei Star Trek oder Alien, in denen Raumschiffe teils jahrhundertelang in fremden Galaxien unterwegs waren. Scotts Blade Runner dagegen war eine Vision, die eine amerikanische Stadt zu einer Zeit zeigte, die viele Zuschauer noch selbst erleben würden. Es war so, als könne man den technologischen Fortschritt in Blade Runner beinahe fühlen, was es umso erschreckender machte. „Dieser Film verfolgt dich“, sagt Gosling, der die Originalversion damals in Kanada als Teenager zu Hause sah. „Weil sich diese Zukunft so real anfühlte.“

Der Film verschwand damals aus den Kinos fast genauso schnell, wie er hineingekommen war. Scott ist trotzdem nicht überrascht von der Wiedergeburt seines Werks. „Ich wusste damals, was wir geschaffen hatten“, sagt er. „Und ich wusste auch, dass es etwas Besonderes war.“ Ein paar Jahre nach der Veröffentlichung von Blade Runner spazierte Fancher eines Tages in die Buchhandlung Shakespeare & Co. in New York, wo ein Angestellter den Namen des Drehbuchautors erkannte. „Er sagte: ‚Wir haben einen Blade-Runner-Club!’“, erinnert sich Fancher. „Wir haben uns den Film auf 35 Millimeter gekauft und einmal im Monat treffen wir uns und schauen ihn uns gemeinsam an“, zitiert er den Angestellten.

Dank Mitternachtsvorführungen in den Kinos, Wiederholungen im Kabelfernsehen und Videorekorder fand Blade Runner immer mehr Fans, die sich mit der futuristischen Welt auseinandersetzten. Sie fühlten sich angezogen von den Andersartigkeit der Kulissen und den klaustrophobischen Stadtlandschaften. Und nicht zuletzt von Rutger Hauers Schlussmonolog, in dem seine Figur, der Replikant Roy Batty, ein Leben betrauerte, das er gerade erst begann zu verstehen: „Ich habe Dinge gesehen, die ihr Menschen niemals glauben würdet...“ Und wegen der undurchsichtigen Erzählweise und weil sich der Film nicht einem einzigen Genre zuordnen lässt, kann sich Blade Runner jedes Mal anders anfühlen – entweder wie ein Krimi, ein Action-Film, ein Liebesfilm oder vielleicht von allem etwas.

„Für mich war er definitiv ein Liebesfilm über Menschen, die auf der Suche nach ihrer Identität sind“, sagt Schauspielerin Sylvia Hoeks, die in Blade Runner 2049 die Rolle der Assistentin Luv spielt. „Und es geht darum, dass Menschen versuchen, ihr Leben auf die Reihe zu kriegen.“

Die Cyberpunk-Welt von Scott mit all ihren geschäftigen Straßenzügen, Skylines voller Werbetafeln und gefährlichen Technologien begann innerhalb eines Jahrzehnts eine neue Generation von Filmemachern zu inspirieren. Ihre Visionen einer eleganten und düsteren Zukunft sahen Blade Runner verdächtig ähnlich. Die selbe kühle Ästhetik zieht sich durch Filme und Serien wie Matrix, Cowboy Bebop, Akira, Das Fünfte Element und das Anime-Original von Ghost in the Shell. Videospiele wie BioShock und Perfect Dark bedienten sich ebenfalls seiner visuellen Stilmittel. „Zuerst amüsierte es mich nur, dass Blade Runner so einen großen Einfluss hatte,“ sagt Scott. „Aber dann hatte ich irgendwann genug strömenden Regen im Kino gesehen.“

Blade Runner veränderte das Erscheinungsbild der Welt und auch die Art, wie wir die Welt betrachten

William Gibson

Alle großartigen Science-Fiction-Geschichten werden irgendwann von neuen Science-Fiction-Geschichten kopiert. Star Wars zum Beispiel hat in den späten 70er und frühen 80er Jahren eine Welle von trashigen Weltraumabenteuern voll von unverständlichem Science-Fiction-Jargon losgetreten. Terminator hat jede Menge Filme mit Killer-Robotern hervorgebracht, die ein ganzes DVD-Regal füllen könnten. Und Alien hat das Genre „Monster jagt Raumschiffbesatzung“ salonfähig gemacht.

Blade Runner sticht aber nicht nur wegen seines popkulturellen Einflusses heraus, sondern auch wegen seiner womöglich präzisen Zukunftsvorhersage. Man denke an die animierten Lichter an der Fassade des International Commerce Centre in Hong Kong. Die erleuchtete Säule am neu eröffneten Wilshire Grand Tower in Los Angeles. Oder die riesigen LED-Leuchtreklamen in den Innenstädten von Manhattan oder Tokio – diese Art von sinnbetäubender Stadtlandschaft ist im kollektiven Gedächtnis zum Inbegriff von Zukunft geworden. Und obwohl die Architekten sicherlich andere Dinge im Sinn hatten als einen jahrzehntealten Science-Fiction-Streifen, ist es schwer, sich nicht zu fragen, wo der Einfluss von Blade Runner beginnt und wo er endet.

Blade Runner veränderte das Erscheinungsbild der Welt und auch die Art, wie wir die Welt betrachten,“ sagt William Gibson. Als Urvater des Cyberpunk verließ er aufgewühlt mitten im Film den Kinosaal, weil Blade Runner komplett die Atmosphäre seines ersten Romanversuchs vorweggenommen hatte. Dieses Buch sollte später Neuromancer werden, einer der einflussreichsten Hacker-Romane. Ein Jahrzehnt später holte er den Film komplett nach und verstand, warum er so wichtig war: „Es ist ein wahrer Klassiker“, sagt Gibson heute, „Er ist zur visuellen und kulturellen Vorlage für die Zukunft geworden.“

Ein weiteres Vermächtnis von Blade Runner ist allerdings sein nie aufgelöster Cliffhanger: War der Replikanten-Jäger Deckard in Wirklichkeit selber ein Replikant? Fans debattieren nun schon seit Jahrzehnten über diese Frage, die immer wieder von neuen Schnittfassungen befeuert wurde, die Scott über die Jahre veröffentlicht hatte, um seine ursprüngliche Vision zu verdeutlichen. Der Konsens sagt inzwischen: Ja, Deckard ist ein Replikant... wahrscheinlich. Wie immer die Antwort auch ausfällt, es ist diese Art von existenzieller Frage, die einen nur zu weiteren Fragen führt. Was bedeutet es, ein Mensch zu sein? Sind die Eigenschaften, die uns einzigartig machen, nur Datenpunkte, die replizierbar sind? Können wir unseren eigenen Erinnerungen trauen?

Kann man sich je wirklich sicher sein, wie man auf diese Welt gekommen ist?

Harrison Ford

„Es ist ein vieldeutiger Film: Ist er oder ist er es nicht, und – spielt es eine Rolle?“ sagt Science-Fiction-Autorin Madeline Ashby, die ausführlich über Robotik und KI geschrieben hat. „Es geht darum, wer du bist, warum du hier bist und welche Erinnerungen dir wichtig sind.“ Ford fügt hinzu: „Kann man sich je wirklich sicher sein, wie man auf diese Welt gekommen ist – wie man entstanden ist?“

Existenzielle Fragen wie diese sind der Grund, warum Blade Runner vom Außenseiter zum Orakel wurde. Und warum Scott der Geschichte schon lange ein neues Kapitel hinzuzufügen wollte. „Eine weitere Blade Runner-Geschichte“, sagt er, „hat schon immer in mir geschlummert.“

Anfang 2011, kurz vor dem Drehstart seines Films Prometheus, der ihn seit 1979 erstmals wieder zurück zur Alien-Reihe führte, traf Scott sich zu einem dreistündigen Abendessen mit Produzenten Broderick Johnson und Andrew Kosove. Ihre Produktionsfirma Alcon Entertainment steckt hinter Filmhits wie The Blind Side, The Book of Eli, und Prisoners. Ein Jahr lang hätten sie still und heimlich versucht, die Rechte zu einem neuen Blade-Runner-Film zu bekommen. Ob der Regisseur interessiert daran wäre, mit ihnen über ein Sequel nachzudenken? „Ridley sagte, auf dieses Treffen würde er seit 35 Jahren warten”, erinnert sich Kosove.

Nicht lange nach dem Gespräch saß Fancher in seinem Apartment in Brooklyn, als das Telefon klingelte: „Bitte bleiben Sie in der Leitung für Ridley Scott.“ Die beiden hatten sich seit Jahren nicht mehr gesprochen. Aber da er nun wieder zu Blade Runner zurückkehren würde, wollte er sehen, ob Fancher vielleicht nach London fliegen könnte, um Ideen auszutauschen. „Das erste, was ich gesagt habe war: Oh, so verzweifelt bist du also schon?“ sagt Francher über seinen alten Weggefährten. „Da hat er gelacht.“

Fords erste Reaktion zu 2049 war ein unbeeindrucktes: Na ja

Und wie es das Glück wollte, arbeitete Fancher tatsächlich gerade an einer Kurzgeschichte, dessen Protagonist später zu Agent K aus Blade Runner 2049 werden sollte. Aus diesen ersten Seiten entstand schließlich ein kurzes Drehbuch, das an den Drehbuchautor Michael Green übergeben wurde. Green hatte bis dato vor allem für TV-Serien geschrieben. Das fertige Skript war so geheim, dass es den Codenamen Acid Zoo bekam – benannt nach einer Anekdote, in der Fancher LSD nahm und Gorillas im Zoo anstarrte. Von Beginn an hatten Scott und Fancher Gosling für die Rolle des Agent K vorgesehen. Und Scott bestand darauf, den Fortschritt des Drehbuchs mit Ford zu teilen. 2015 sagte Scott in einem Interview, dass Fords erste Reaktion auf die Idee zu 2049 ein unbeeindrucktes „Na ja“ war.

„Ich kann mich nicht erinnern, das gesagt zu haben“, sagt Ford, „aber ich weiß nicht, ob er mir das nicht vielleicht erzählt hat, bevor ich ein paar Tassen Kaffee getrunken hatte. Das Drehbuch hat mich schließlich überzeugt.“

„Jeder hatte Bedenken“, sagt Green, der 2017 an vier weiteren großen Projekten beteiligt ist: American Gods, Logan, Alien: Covenant und Mord im Orient Express. „Es ist immerhin der Lieblingsfilm einer Menge Leute, inklusive mir. Wir wollten einfach sichergehen, dass wir dem gerecht werden. Wir spielten nicht mit Feuer, nicht mit Streichhölzern, sondern mit illegalen Knallkörpern im Hinterhof, die uns schon einen Daumen weggerissen hatten.“

Dann die erste Hürde: Scotts andere Regie-Verpflichtungen machten es ihm unmöglich, zusätzlich noch Blade Runner 2049 zu inszenieren. Stattdessen würde er nur als Produzent fungieren. Das war der Punkt, an dem Johnson und Kosove an Villeneuve herantraten. Zu der Zeit war der Regisseur noch nicht so bekannt, wie er es heute ist. Er hatte Jahre damit verbracht, düstere Dramen zu drehen, die zwar wunderschön fotografiert, aber schwierig anzuschauen waren – Filme wie das Kriegsdrama Incendies von 2010, der intensive Selbstjustiz-Thriller Prisoners von 2013 und der fast schon erstickend spannungsvolle Drogen-Thriller Sicario. Diese Filme stellten Gewalt als eine Art Krankheitserreger dar, der sich durch die Körper von Personen oder die gesamte Geschichte eines Landes frisst – mit verheerenden und weitreichenden Folgen vor allem für die Opfer.

Mit seinem Oscar-nominierten Film Arrival über eine Linguistin (Amy Adams), die versucht mit zwei Oktopus-artigen Aliens zu kommunizieren, bewies Villeneuve, dass er einer der wenigen Regisseure ist, die es schaffen, Science-Fiction gleichzeitig fantastisch und absolut real wirken zu lassen. Kosove, der auch Prisoners produzierte, war der Meinung, dass diese Dualität genau das Richtig für 2049 ist. „Blade Runner war schon immer fest im Science-Fiction-Genre verankert, aber wir sehen ihn mehr als Film Noir“, sagt er. „Und betrachtet man Prisoners und Sicario wird klar, dass es heute keinen besseren Regisseur für Noir gibt als Denis Villeneuve.“

Aber Villeneuve zögerte das Angebot anzunehmen – aus gänzlich nachvollziehbaren Gründen. Er hatte gerade Sicario abgedreht und begann die Arbeit an Arrival. Er wusste nicht, ob er so bald noch einen weiteren Film stemmen könnte. Außerdem war Blade Runner einer seiner liebsten Filme. Er fürchtete, dass es eine „super schlechte Idee“ wäre, in seine komplexe Filmwelt einzutauchen. Also sagte er ab. Doch als die Produzenten ihm ein neues Angebot unterbreiteten, dass sich besser mit seinem Terminplan vereinbaren ließ, änderte er seine Meinung und entschied sich, das Risiko einzugehen. „Ich habe mir immer gesagt, dass wenn ich jemals einen Film in dieser Größenordnung drehen würde, es etwas sein muss, dass mir auch wirklich wichtig ist.“

Auf die Frage, was Scott so sicher machte, dass Villeneuve der Richtige für den Job war, antwortet er: „War ich gar nicht.“

War er nicht?

„Nein. Aber darauf zu warten, dass ich irgendwann Zeit hätte, selber Regie zu führen, war unmöglich. Denis war bei weitem unsere beste Option.“ Er lächelt, bevor er geheimnisvoll sagt: „Ich habe ihm vertraut, weil ich ein Stück von mir selbst in ihm erkannt habe.“

Die Dreharbeiten begannen im Sommer 2016 in Budapest. Einhundert Tage lang drehte das Team auf einem riesigen Gelände mit zehn Hallen. Anders als die chaotischen Dreharbeiten des ersten Blade Runner, die Ford einmal als „Bitch“ bezeichnet hat, herrscht auf Villeneuves Set eine lebhafte und freundschaftliche Atmosphäre – zumindest am Tag des WIRED-Besuchs. Auch nach mehreren Wiederholungen der Szene, in der Gosling den armen Hund fast zu Tode erschreckt, scheint sich Ford tatsächlich... zu amüsieren? „Also wenn es so aussah, wird es wohl so gewesen sein“, sagt er mit seiner immer noch zuverlässig – und wunderbar – rauen Stimme. „Ich verschwende nicht zu viel Zeit darauf, auszusehen, als hätte ich Spaß.“

Den Look und die Atmosphäre des originalen Films aufleben zu lassen, verschlingt mehrere Million Dollar – und das alles, ohne sich zu sehr auf Green Screens zu verlassen. „Viele Science-Fiction-Filme ähneln sich so stark, weil die Effekte inzwischen von der Stange kommen“, sagt 2049-Kameramann Roger Deakins. „Wir wollten unbedingt unsere eigene Welt kreieren.“ Von Deckards Fenster aus sieht man die Hochhäuser aus dem Nebel hervorragen. Es sind bemalte Kulissen, die sich um das gesamte Set hüllen. Daneben steht ein riesiger Nachtclub wie direkt aus Las Vegas, in dem ein dünner Elvis, umringt von Feder-schwingenden Showgirls und eisgekühlten Champagnerflaschen, Can’t Help Falling in Love singt.

Auf dem Außengelände verteilen sich Miniberge aus verrosteten Stahlträgern und Ölfässern. Daneben steht eine Lagerhalle, in der Crew-Mitglieder gerade einen der „Spinner“ mit einem Wasserschlauch abspritzen – jenes insektenartige Polizeiauto, mit dem Deckard schon im Original herumgefahren ist und das im Sequel nun ein Upgrade bekommen hat. „Wir wollten ein eher kantigeres, geometrisches Design“, sagt Bühnenbildner Dennis Gassnerdes über den neuen Spinner. „Es ist eine rauere Welt als noch im ersten Film, was die Umwelt und das Design anbelangt.“

Diese Härte zieht sich durch Villeneuves gesamtes Werk – auch wenn der Regisseur selber nicht so recht weiß, woher das kommt. Wenn seine Filme ein bestimmtes Muster verfolgen, ob zufällig oder nicht, „sagt das sicherlich etwas über mich aus,“ sagt er. Vielleicht, vermutet er, „bin ich ein Nerd, der irgendwie mit den Schrecken der Welt verbunden ist.“ Das ist sicherlich einer der Gründe, warum er sich von der deprimierenden Zukunft in Scotts Blade Runner so angezogen fühlt. Es ist eine Zukunft ohne Sternenflotten und neue Hoffnungen.

Es ist nicht ganz abwegig, eine Verbindung zwischen Deckards primitivem VidPhone und unserem FaceTime zu ziehen; zwischen den künstlichen Schlangen und Eulen und den echten genmanipulierten Tieren in unseren Laboren; zwischen Kriegs-Replikanten und Militär-Drohnen, die in Kriegsgebieten auf der ganzen Welt eingesetzt werden. Tatsächlich war der erste Film nicht nur eine Vorhersage einer möglichen Zukunft, sondern auch eine Warnung, wie brutal es wäre, in ihr zu leben.

„Die einzige Gewalt, die ich in meinem Leben je erfahren habe, war der Winter,“ sagt Villeneuve an einem Sommernachmittag in einem kleinen weißen Büro auf dem Sony-Gelände in Los Angeles. Es ist mehrere Monate nach Drehschluss. Die warme Sonne des späten Nachmittags fällt durch das Fenster und Villeneuve muss an das raue Wetter denken, das er als Kind erlebt hat – sechs oder sieben Monate mit Schnee, gefangen in seinem Elternhaus in einer Kleinstadt im ländlichen Québec. Ein Kernkraftwerk sichtbar vom Küchenfenster aus. „Und Wetter hat mir wahnsinnig geholfen, diesen Film zu ergründen. Ich begann mit der Prämisse, dass das Ökosystem zusammengebrochen ist und baute davon ausgehend ein neues Los Angeles auf.“

Eines Tages wird es Replikanten geben.

Hampton Fancher

In einem Schnittraum nebenan hatte Villeneuve eine kurze Szene aus 2049 gezeigt, in der ein ramponierter Agent K seinen Spinner über eine Reihe niedriger, dicht gedrängter Häuser lenkt, bevor er Kurs auf das emporragende LAPD-Hauptquartier nimmt. Nach der Ankunft wird er in einen weißen Raum verfrachtet und einem Stresstest unterzogen, bei dem ihn eine unsichtbare Autoritätsfigur in die Mangel nimmt. Danach besucht er die Innenstadt von Los Angeles, die von Schnee bedeckt ist. Sogar auf einem kleinen Bildschirm ist die Sequenz fesselnd, elegant und rätselhaft. So wie Blade Runner sein sollte.

Ökologische Probleme spielten auch im Originalfilm eine Rolle, in dem Tiere gänzlich ausgestorben waren. Aber die Umweltprobleme, sagt Fancher, „wurden nur am Rande erwähnt. Ich bin nicht sicher, ob das bei den Leuten ankam.“ Villeneuves Ansatz ist da weitaus eindringlicher: Das Los Angeles von 2049 wird umrandet von einer immensen Barriere, die Sepulveda-Wand genannt wird. Sie soll die Stadt vor den Fluten des Ozeans beschützen. Mit all den Dürren und Waldbränden, mit denen sich Kalifornien in den letzten Jahren auseinandersetzen musste, kommt die Geschichte sehr nah an unsere Wirklichkeit heran. Jedenfalls genügt es, um sich zu fragen: Sind Zuschauer bereit für ein Drama über das Ende der Welt von einem Regisseur, der nicht gerade dafür bekannt ist, sein Publikum zu schonen.

Außerdem kommt der Film am Ende eines Jahres in die Kinos, das als eines der bewegendsten und angsteinflößendstens Jahre in unserer Erinnerung bleiben wird – egal aus welchen Gründen man nun Angst hat. Zumindest kommt er zu einem Zeitpunkt, an dem künstliche Intelligenz und genetische Forschung nicht mehr nur reine Fiktion sind – beides zentrale Themen im Film. Die einst weit entfernte Dystopie scheint mit jedem Tag näher zu kommen, was Villeneuves Fortsetzung nicht nur zu einem weiteren Abenteuer in der Welt von Blade Runner macht, sondern zu einer düsteren Wiederholung dessen, was unsere eigene Zukunft sein könnte.

Wir sind so nah dran wie nie zuvor

Hampton Fancher

„Wir sind so nah dran wie nie zuvor“, sagt Fancher über die Zukunft, die er zusammen mit Ridley Scott und Philip K. Dick vor vielen Jahren beschworen hat. „Eines Tages wird es Replikanten geben.“

So weit sind wir zwar noch nicht. Es ist genau diese Unmittelbarkeit, die Blade Runner damals fehlte, jetzt aber 2049 zum Erfolg machen. Die beste Science-Fiction hat schon immer Zukunftsvisionen benutzt, um die Sorgen der Gegenwart zu verarbeiten. Die alptraumartige Welt, mit der Zuschauer 1982 nichts zu tun haben wollten, wurde inzwischen lang und breit von immer mehr Menschen debattiert. Heute fühlen Amerikaner dieselben existentiellen Ängste, die auch die Menschen in Blade Runner beschäftigen – und zwar stärker als es sich irgendjemand im Jahr 1982 hätte vorstellen können. Ein Sequel, dass die Dystopie noch einmal verstärkt, ist heutzutage viel relevanter als damals.

„Die Macht von Science-Fiction und das Positive daran“, sagt Gosling, „ist, dass man das Worst-Case-Szenario erleben kann, ohne selbst wirklich darin leben zu müssen.“ Wenn man bedenkt, dass Blade Runner 2049 der nächste Film in einer Reihe düsterer und trostloser Science-Fiction-Filme wie Alien: Covenant, Logan und Planet der Affen ist, dann wird klar, dass die bunte Welt eines Flash Gordon heute keiner mehr sehen will. Die Zuschauer lieben ihre Worst-Case-Szenarien vermutlich auch deswegen, weil sie unsere Gegenwart vergleichsweise harmlos erscheinen lassen.

Und um es mit den Worten eines bestimmten Androiden aus Blade Runner zu sagen: Es ist schon eine besondere Erfahrung, in Angst zu leben – ob in der Science-Fiction oder unserer eigenen unperfekten Realität. Wie der erste Film, zeigt auch Blade Runner 2049 eine mögliche Zukunft, in die sich unsere Welt bewegen könnte. Erneut zeigt der Film uns Dinge, die wir nicht für möglich halten wollen – so unmenschlich sie auch erscheinen.

WIRED.com

Dieser Artikel erschien zuerst bei WIRED.com
Das Original lest ihr hier.

GQ Empfiehlt