
Die deutsche Podcastszene hat ein Problem. Die vorhandenen erzählerischen Möglichkeiten werden im auditiven Netz nicht ausreichend genutzt. Das nervt — und ist womöglich der Grund, weshalb Podcasts in Deutschland immer noch ein mediales Schattendasein fristen.

Nicolas Semak arbeitet im Berliner Radiobüro mit anderen JournalistInnen, AutorInnen und PodcasterInnen an Audio-Projekten. Die Kolumne „Binaural Bits“ befasst sich auf WIRED Germany wöchentlich mit allem, was hörbar ist.
Es war Dezember 2010, ich in München und auch noch zu früh. Also ging ich ein wenig um die schneebedeckte Universitätssternwarte im ruhigen Stadtteil Garching. Ich hatte einen Interviewtermin für meinen Audiopodcast mit Professor Harald Lesch. Der charismatische Astrophysiker erzählt seit Jahren vor allem im Fernsehen von den verrückten Dingen, die im Raum zwischen den Sternen so vor sich gehen. Er hat viele begeisterte Fans und ich bin einer von ihnen.
Als ich also entsprechend aufgeregt um die Beobachtungskuppel des Instituts spazierte, bemerkte ich den Klang meiner Schuhe im kieseldurchsetzten Schnee. Ich holte mein Aufnahmegerät heraus, hielt das Mikrofon in Richtung meiner nervösen Schritte, ließ die Aufnahme einfach laufen und stieg schließlich die Treppen der Sternwarte hinauf. Dort traf ich auf einen äußerst herzlichen Harald Lesch und wir führten letztlich ein sehr unnervöses Gespräch, über viel mehr als nur die Sterne.
Das Interview erhielt erfreulich positive Resonanz, natürlich vor allem aufgrund Leschs charmanter Eloquenz. Überraschenderweise bezogen sich aber viele Hörer auch auf meine Schritte im Garchinger Schnee und lobten deren atmosphärische Rahmenwirkung. Meine überpünktliche Ankunft und der Klang des Schnees hatten offenbar ganz unverhofft eine kleine Geschichte, eine nachempfindbare Begegnung, aus dem Podcast gemacht. Ein völlig ungeplantes Zufallsprodukt.
In den letzten Monaten konnte man dem Begriff „Storytelling“ kaum entfliehen.
Wer sich in den letzten Monaten mit der journalistischen Radio- und Podcastlandschaft beschäftigt hat, konnte dem Begriff „Storytelling“ kaum entfliehen. Vor allem inspiriert durch bekannte US-amerikanische Produktionen wie This American Life, Radiolab und seriell erzählte Formate wie Serial oder StartUp. Der aufgeregte Diskurs über neue Erzählformen ist in vollem Gange.
Während im Radio aufwändig produzierte Features seit langem eine etablierte Form darstellen, beschäftigen sich die unabhängigen, audioaffinen Netzpublizisten auf Plattformen wie Sendegate eher mit der Optimierung ihrer technischen Produktionstools anstatt der Umsetzung kreativer Formatideen. Effiziente Publikationswerkzeuge, wie das lobenswerte und bereits international beachtete Podlove Projekt, gute Schnittsoftware und erschwingliche Recording-Hardware stehen zur Verfügung. Der Zeitpunkt wäre gekommen, dass sich Audiomacher auch hierzulande neuen, formal und inhaltich innovativen Ideen für das klingende Netz zuwenden.
Stattdessen werden Mikros eingeschaltet, Getränkeflaschen geöffnet und drauflosgeredet. Manchmal mit mehr, oft aber auch weniger inspirierenden Inhalten. Die gestalterischen Möglichkeiten des auditiven Mediums bleiben leider größtenteils unbeachtet.