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WIRED hat für euch mit den Stars der Roboter-Musik gejammt

von Helena Kaschel
Die Robotermusik-Szene ist klein, aber international. Und sie wächst. Ein Berliner Festival will die Künstler vernetzen. Die Stars der Live-Auftritte sind aber die Musikmaschinen – vom Baukasten-Roboter aus Lego-Steinen und Kaffedosen bis zur computergesteuerten Orgel. WIRED war mittendrin

Auf den ersten Blick wirkt die Musikbrauerei in Prenzlauer Berg wie ein seltsamer Ort für Robotermusik: Backsteingemäuer aus dem 19. Jahrhundert, quietschende Tore, verrostete Geländer. An der Bar gibt es Wein, in den Kellerräumen Nostalgie statt Futurismus. Erst auf den zweiten Blick sieht man sie: die Laptops, die Kabel – und die Musikmaschinen.

In einem bis auf wenige Lichtkegel abgedunkelten Konzertsaal stehen die Superstars des Abends: Instrumente der Logos Foundation. Die experimentelle Gruppe aus Belgien hat das größte Roboterorchester der Welt gebaut und den Organisatoren des Festivals einige Maschinen ausgeliehen. Das Ensemble ist ein Open Source-Projekt, die Logos Foundation stellt jede Bauanleitung zu jeder neuen Erfindung ins Netz.

In einem zweiten Saal befinden sich die Musikmaschinen des deutschen Set-Designers Roland Olbeter, der gerade an einem automatisierten Puppentheater arbeitet. Auch die Kuratoren, das Berliner Duo Gamut Inc, haben ihre Musikroboter mitgebracht. Noch geben die Maschinen keinen Ton von sich. Nahezu alle sind an Laptops angeschlossen, der Klang entsteht analog an den Instrumenten selbst, aber ohne Software und Künstler bleiben sie stumm.

Und sie sind Mangelware: „Um gute Musikroboter zu bauen, braucht man viel Ingenieurswissen, Fabriken, Werkstätten”, sagt Marion Wörle, eine zierliche Frau mit kurzen schwarzen Haaren und leuchtenden Augen. Sie verkörpert eine Hälfte von Gamut Inc. „Man braucht ganz andere Fähigkeiten als Musiker. Das macht es dem Genre schwierig, deswegen bringen wir Künstler, die wir spannend finden, mit den Musikrobotern zusammen, die von Leuten mit viel Know-How gebaut wurden.”

Die Robotermusik-Szene ist auf der ganzen Welt verstreut – und sie wächst. Nur mit der Vernetzung klappe es noch nicht so gut, sagt Wörle. Das soll das Festival ändern. Sieben Musiker haben explizit für die Musikmaschinen auf dem Event Stücke komponiert. Einige bringen ihre eigenen Roboter mit, andere erweitern ihr übliches Set um die Logos- und Olbeter-Roboter.

Allmählich füllt sich der Konzertsaal, es gibt es nicht genug Sitzplätze, das Licht wird noch weiter gedimmt. Auftritt des selbstspielenden Flügels: Ein computergesteuertes Pianola spielt in übermenschlicher Geschwindigkeit Studien des mexikanischen Komponisten Conlon Nancarrow, der seine Kompositionen Mitte des 20. Jahrhunderts eigenhändig in die Notenrollen des Player Piano einstanzte. Die Zuschauer schauen gebannt in Richtung Flügel, an dem niemand sitzt. Das Klavier spielt, wie es ein Instrumentalist nicht könnte. „Dafür können sie andere Dinge nicht, zum Beispiel Interpretation,” sagt Maciej Sledziecki. Der hochgewachsene gebürtige Pole ist der zweite im Bunde bei Gamut Inc.

Nach dem Klavierkonzert kommt die erste Logos-Maschine zum Einsatz. Am Laptop sitzt der Belgier Kristof Lauwers, vom Scheinwerferlicht fällt aber auf das Hybr. Die elektroakustische Pfeifenorgel wurde 2014 gebaut, wie bei allen Musikmaschinen blinken an mehreren Leiterplatten LED-Lampen. Der Saal füllt sich mit tiefen Sci-Fi-Orgelklängen. Sie ist immer noch da, die unsichtbare Mauer, die bei Konzerten Performer und Zuschauer trennt. Sie verschwindet nicht durch die Symbiose von Mensch, Maschine und Software.

Das ändert sich mit den DADA MACHINES. Das deutsche Duo ist der Publikumsmagnet der Konzertpause. Die App-gesteuerte Baukasten-Musikmaschine in Form eines großen Tisches ist ein rhythmisch klapperndes Wunderwerk, bestehend unter anderem aus Lego, leere Kaffee-Dosen, Blechschüsseln, mehreren Xylophonen und einer leeren Flasche Club-Mate (ja wirklich).

Über ein Tablet und einen MIDI-Controller lassen sich die durch Stromimpulse aktivierten Instrumente abspielen. „Das, was die Menschen begeistert, ist: Anfassen und es passiert was”, sagt der Münchner Musiker Taison Heiß. Tatsächlich: Senioren und Hipster wechseln sich am iPad und am Board ab, jeder will mal. Für die DADA MACHINES ist das Event auch willkommene Publicity: Per Kickstarter-Kampagne wollen sie ihren Robotermusik-Baukasten auf den Markt bringen.

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Mit einem ohrenbetäubenden Knall treten plötzlich Hacklander \ Hatam auf den Plan. Normalerweise steht das Duo nur mit Laptop und Schlagzeug auf der Bühne. Farahnaz Hatam, gebürtige Iranerin mit sanfter Stimme, arbeitet mit SuperCollider, einer Open-Source Software für algorithmische Komposition. Drummer Colin Hacklander ist für den analogen Sound zuständig.

Aus gegebenem Anlass spielen sie heute zusätzlich mit drei Logos-Maschinen:  Psch, einer Konstruktion aus mehreren steuerbaren Donnerblechen, Troms, einem Percussion-Roboter aus sieben zusammengebauten Trommeln, und Temblo, automatisierten chinesischen Templeblocks. Der Dialog zwischen dem analogen Schlagzeug und den Musikmaschinen klingt wie ein Gewitter. „Wir interessieren uns vor allem für Lärm”, sagt Colin Hacklander. „Uns inspirieren alle möglichen Genres, die Computermusik der letzten 50 Jahre, Industrial, Rock, Punk. Es ist schwierig, zu sagen, was für Musik wir machen, aber an irgendeiner Stelle wird es immer laut.”

Nach dem Percussion-Duo stehen noch weitere Künstler auf dem Programm, zum Beispiel der US-Komponist Bryan Jacobs, der eine Maschine aus computergesteuerten Flöten mitgebracht hat. Nach einer rhythmuslastigen Eröffnung soll es am letzten Tag mehr Pop zu hören geben, unter anderem wird das deutsche Kollektiv Sonic Robots und damit tanzbarer Electro erwartet. Für Gamut Inc ist es genau die richtige Zeit für ein Robotermusik-Festival. „Einerseits findet die Robotik jetzt gerade überall Einzug, gleichzeitig gibt es aber dieses Phänomen der digitalen Ermüdung. Die Leute gucken nur noch auf Bildschirme, was dazu führt, dass man wieder mehr Technologie zum Anfassen haben will,” sagt Maciej Sledziecki. Die Maschinen in der Musikbrauerei verbinden beide Sehnsüchte.

Das Festival "Wir sind die Roboter" findet bis zum 1. Oktober in der Musikbrauerei in Berlin statt.

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