Jemand musste Franz K. verleumdet haben. Anders lässt es sich nicht erklären, warum der Hashtag #Kafka plötzlich tagelang neben Dumpftags wie #YogaChallenge, #Sonnenbrand und #HappyKadaver in den Trends klebte. Kurz gesagt:
Tatsächlich ist der Schriftsteller am 3. Juni vor 91 Jahren gestorben, bei Twitter wartet man erfreulicherweise nicht zwanghaft auf irgendwelche runden Jubiläen, um an jemanden zu erinnern. Auch wenn zahlreiche Gimpel ihm gleich noch zum Geburtstag gratulierten. Der ist aber erst in einem Monat.
So richtig zum Aufregen und dampfenden Brassen ist der Twittertrend #Kafka natürlich nicht, verlässlich behämmert ist dagegen oft, was daraus entsteht, wenn alte und neue Welt zusammenprallen. Und Social Media, dieses fraßgierige Riesenschlundtier, sich wie üblich Dinge einverleibt, die da irgendwie schief sitzen. Das passiert sehr oft, wenn längst verstorbene Schriftsteller, die das Internet selbst nicht mehr erlebten, plötzlich auf Deibel komm raus mitsamt ihrer Werke in tweetbare Schwundformen gedengelt werden. Das passiert natürlich auch offline — man denke nur an den armen, schlimm depressiven Antoine de Saint-Exupéry, den unzählige dumpftranige Standesbeamte in ihren Stumpfsinnsreden längst zum arglosen Kitschonkel verschmunzelt haben, dessen bester Satz „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist unsichtbar für die Augen“ ist.
Wenn sich die verkürzende, hastige Social-Media-Welt über den Autor hermacht, resultiert das mitunter in E-Mails wie „Thomas Bernhard is now following you on Myspace“. Ich weiß noch, wie ich damals im Furor sofort eine tieftraurige Moser-Band gründen wollte, nur, um diesen schockierenden Mail-Betreff als Titel unseres ersten Albums verwenden zu können. Denn wenn der Königsgrantler Bernhard eines sicher niemals getan hätte, dann ist es: einem ungebeten auf Myspace zu folgen. Die endlosen, endlosen Wuttiraden aus seinen Büchern widersetzen sich immerhin der Tweet-Häppchen gerechten Verknappung, da ist nichts zu machen, da passt nichts in 140 Zeichen. In der Kafka-Würdigung passierte vergangene Woche dagegen öfter mal diese brennglashafte Einschmurgelung des Werkes auf einen Satz. Immerhin: einen ganz schönen Satz.
Vermutlich war Kafka ja eher der Tumblr-Typ: serienweise Einträge aus tiefster Seele. Auch ein Instagram-Account hätte ihm vielleicht Spaß gemacht, mit lauter traurigen Bürostühlen und Pragansichten im Graufilter. Doch tatsächlich muss man sagen, dass — zumindest gemessen an seinen Tagebucheinträgen — Franz Kafka eventuell auch einen durchaus passablen Larmoyanz-Twitterer abgegeben hätte.
Immerhin das bewegte der kafkaeske Twittertrend: die Anregung dazu, seine Bücher mal wieder rauszukramen. Wenn dazu die Verknüpfung mit aktuell kursierenden Witzbildchen oder Emo-Hemdchen nötig ist, will ich ausnahmsweise mal nicht so sein.
Zwischen all den Nervbeiträgen liefert der Twitter-Suchbegriff Kafka am Ende schließlich auch die absolute Anhörempfehlung fürs Wochenende — für all die lieben, sonnenscheuen Gesellen, die lieber drinnen bleiben und sich in Käferstarre aufs Sofa legen.
Im letzten #Bashtag regte sich Anja Rützel über die dümmliche Dämonenbeschwörung der #CharlieCharlieChallenge auf.