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Die Futuristin / Im Technologie-Test aus der Zukunft: das Monaden-Haus

von Maria Delius
Partikeltransfer, Hydropower, Vergangenheitswahrnehmungsloop: Bei WIRED-Kolumnistin Mara Delius ist das, was wir Zukunft nennen, bereits angekommen. In ihrem futuristischen Technologie-Test nähert sie sich diesmal dem Phänomen Monaden-Haus. 

Angekommen. Ruhe war sicher der falsche Ausdruck, er ging auf ein Konzept zurück, das es nicht mehr gab. Ohne lineare Vorgänge in der Wirklichkeitsstruktur konnte niemand irgendwo ankommen, jenseits von Minuten und Sekunden und ihren Bruchteilen, jenseits der Zeit. 

Sie saß jedenfalls – so viel war zu erkennen – im hellen Inneren eines Hofes. Absolute Lautlosigkeit. Farben hatten Geräusche geschluckt, das war eines der Merkmale in dieser Gegend von PT 201, der lange Zeit so zukünftigen und nun hautnah gegenwärtigen Welt. Die hügelige Küstenlandschaft wich hier einer unendlichen Wüste, gleißendes Grün stach in ihre Augen, die müde brannten, das Ergebnis ihrer Reise, trajektpartikellang, nicht ans Ende der Nacht, sondern, es schien so, an ihren nie enden wollenden Anfang. 

Es war einer der typischen Vergangenheitswahrnehmungsloops: Im Grün vor ihr flackerte ein Schein von dem auf, was sie aus dem Transmitterzug heraus gesehen hatte. Gamma-Gewitterschauer huschten über Felder, durchwirbelt von einem Wind, der ununterbrochen stark, dabei aber eigenartig still war. Am Übergang zur Wüs­tenebene sei das üblich, hatte man ihr gesagt: Die Zeitstrahlung sei hier eine andere, auch deswegen wurde die Besiedlung der monadenartigen Wabenkonglomerate dünner. Dieses hier würde das letzte sein, das man sehen konnte, bevor der Horizont nur noch weißlichen Boden spiegelte. Im Inneren der Monadenstruktur, die sie jetzt umgab, im grünen Rund, das in der Mitte ausgelassen war: eine Stille, die sie an die Gärten erinnerte, die sie einmal gekannt hatte. Orte der Sorgfalt und der unhinterfragten Zugehörigkeit zu dem, was draußen lag. 

Die Helligkeit vor ihr speiste sich vor allem aus dem Grün, der einzigen Farbquelle – auf dem Hinweg im Zug hatten sich noch je nach Lidschlag die Farben vor ihren Augen geändert. Die Wunder der Erde in 30 Meter Höhe, die Wunder des Meeres in 30 Meter Tiefe – das hatte sie früher mal in einem Gespräch gehört – haben fast nur das wilde, ursprüngliche Auge zum Zeugen, das alles, was Farbe ist, auf den Regenbogen zurückführt. Diese verschiedenen Stufen der Sinneswahrnehmung übersetzten sich in Ideen, die deutlich genug konturiert sind, um der Erscheinung der Außenwelt einen Wert beizumessen. 

Wie bei Alberto Giacometti sei das: die Skulpturen selbst karg, dürr, deformiert, ihre Schatten aber eigene, volle Welten, die sich ausbreiteten, abhängig von den Licht­strahlen, die sie schufen. Bald werde man in einem Wachtraum leben, nach innen gerichtet. So hatte man in der Zeit vor PT 201 gedacht. Eine Rechnung, die noch an der Sonne orientiert war, ein verblasster Gedanke. Inzwischen erzeugte man Licht über Partikeltransfer.  

Es war die Fortführung dessen, was damals als „intelligente Materialien“ erfunden worden war: mobile, monadenartige Gebilde, lebendige Spiegel des Universums.

Um sie herum leuchteten runde Wände, Licht trat durch die Struktur, der Boden aus Plexinanoperm, durchsichtig. Jeder Boden sah anders aus, je nachdem, wo die Struktur ab­gestellt war. Es war die Fortführung dessen, was damals als „intelligente Materialien“ erfunden worden war: mobile, monadenartige Gebilde, lebendige Spiegel des Universums. 

Hier, in der Nähe des Pazifiks, mit der aus dem Meer gezogenen Hydropower, glichen sie grauen Strukturen. Gürteltierähnlich, Häuser wie die Panzer von Urzeittieren, dachte sie. Keine Ornamentik, glatt, an die Atmosphäre anpassbar – „atmosphärenaktiv“, so waren sie beworben worden. Das Prinzip war in Anlehnung an die medizinischen Mikromodule entwickelt worden, die in menschliche Körper eingesetzt wurden: hautzellengroße Elektrokapseln, die unter die Haut gebracht wurden und Nervensignale aufnahmen. Jede Sinneserfahrung war abrufbar, wiederholbar. 

Denn so viel war klar: Jede Erfahrung war ein Update einer anderen, vorher gemachten. Es war nichts Neues mehr zu erwarten. Und sie saß da, im Inneren der Struktur, blickte auf das Grün, das es draußen nicht mehr gab, in einem monadenartigen Haus am Rande der Wüste. Auf der Suche nach einem Leben, das mit dem Wechsel der Atmosphäre, mit der Entstehung von PT 201, verschüttet worden war. 

Mara Delius studierte in Stanford und London, schreibt heute u. a. als Redakteurin für „Die Welt“. Für diese WIRED-Kolumne testet sie Erfindungen, die noch nicht (ganz) erfunden sind.     

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