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Die ganze Geschichte: Wie „Star Wars“ von der Saga zur Serie wird

von Adam Rogers
Kathleen Kennedy hat in ihrem Leben schon viele Drehbuch-Pitches gehört. Sie arbeitete lange für Steven Spielberg, produzierte unter anderem die Indiana-Jones-Reihe, die Jurassic-Park-Filme und E.T. – Der Außerirdische. Es war für sie also keine allzu ungewohnte Situation, als – eines Tages Ende 2012 – John Knoll in ihr Büro kam. Knoll ist Chief Creative Officer bei Lucasfilm.

Der Firma, deren Leitung Kathleen Kennedy kurz zuvor übernommen hatte. George Lucas hatte sie 1971 für die Produktion der Filmsaga gegründet, die in Deutschland lange Krieg der Sterne genannt wurde, heute aber auch hier unter dem internationalen Namen läuft: Star Wars.

Schon 2012, nachdem Lucasfilm von der Walt Disney Company gekauft worden war, stand fest: Es soll neue Star-Wars-Filme geben. „Ich habe nur eine einfache Idee“, sagte Knoll zu Kennedy, als er die Bürotür geschlossen hatte. „Es geht um die Spione der Rebellen. Die am Anfang von Eine neue Hoffnung die Pläne für den Todesstern stehlen.“ Kennedy wusste sofort, was Knoll meinte: Er sprach von der berühmten Anfangsszene des ersten Star-Wars-Films, in der ein durchs Weltall ziehender Lauftext den Ausgangspunkt der Handlung erklärt: „Spionen der Rebellen ist es gelungen, Geheimpläne über die absolute Waffe des Imperiums in ihren Besitz zu bringen, den Todesstern.“ Allerdings: Von den Spionen ist später nie wieder die Rede.

„Eine großartige Idee, John“, sagte Kennedy. Und gab grünes Licht. So einfach kann es sein, einen Star-Wars-Film machen zu dürfen.
Wobei: Der aktuelle wurde es dann doch nicht. Das lang und manisch erwartete Epos, das am 17. Dezember in die deutschen Kinos kommt, ist nicht die Spiongeschichte von Knoll, sondern Episode VII – Das Erwachen der Macht von Regisseur J. J. Abrams, der siebte Teil der Saga. Aus Knolls Idee wurde Rogue One, voraussichtlich ab Dezember 2016 zu sehen. Ein eigenständiger Film, laut Lucas-Terminologie Teil der Anthologie, nicht der Saga. 

Der erste Star Wars erschien 1977. Er und seine Fortsetzungen (und die TV-Serien und Comics und Spielzeuge und Bettwäsche-Sets) haben tiefe Spuren in der Popkultur hinterlassen. Doch wenn es nach Disney geht, dem Lucasfilm-Eigentümer seit 2012, war die ers­te, sechs Filme starke Star-Wars-Phase nur der Prolog. Disney hat mehr vor, viel mehr: Solange das Interesse anhält, will das Unternehmen jedes Jahr einen neuen Star-Wars-Film herausbringen. Was bedeuten würde: Wenn der Erfolg groß genug ist und wenn Sie (so wie ich) alt genug sind, um den ers­ten Star-Wars-Film bewusst miterlebt zu haben, werden Sie den letzten sicher nicht mehr erleben. Gewissermaßen das James-Bond-Prinzip.

Mit einem Unterschied: Die neuen Filme werden nicht einfach nur Fortsetzungen sein – so funktioniert das transnationale Entertainmentbusiness heute nicht mehr. Heute geht es um Serien, die niemals enden. Disney ist ja zugleich Eigentümer von Marvel Comics, und im Lauf des nächs­ten Jahrzehnts dürften aufs Publikum rund 17 weitere, miteinander verwobene Filme über Iron Man und seine Heldenfreunde zukommen, darunter Captain America: Civil War, zwei weitere Avengers-Filme, noch ein Ant-Man und ein Black Panther. Nicht zu vergessen: fünf neue TV-Serien. 

Aufgrund von komplizierten Lizenzvereinbarungen liegen allerdings nicht alle Rechte für Marvel-Filme bei Disney. 20th Century Fox hat weitere Filme über die X-Men und verwandte Mutanten wie Gambit und Deadpool in Planung. Bei Warner Brothers, Eigentümer von DC Comics, ist ebenfalls ein rundes Dutzend miteinander verwobene Filme in der Pipeline, darunter Batman vs. Superman: Dawn Of Justice und Suicide Squad für 2016, Wonder Woman und später der zweiteilige Team-Film Justice League. Außerdem versucht Warner (noch einmal), Godzilla auf King Kong treffen zu lassen. Paramount bastelt weiter am Universum für seine Transformers-Roboter. Und Universal arbeitet daran, wenn auch mit mäßigem Erfolg, Verbindungen innerhalb seines berühmten Bestiariums zu schaffen (Frankenstein, Dracula, Wolf Man, die Mumie und andere). Die Studios suchen händeringend nach Kreativen, die in der Lage sind, Figuren und Handlungsstränge zu Jahrzehnte überspannenden Gebilden aus Vorgeschichten, Nebengeschichten, TV-Serien, Games, Spielzeugen und allem möglichen anderen zu klöppeln. Marken werden bis ins Letzte ausgereizt, um den Tropf niemals versiegen zu lassen, an dem das Publikum hängt: vertraute Charaktere, unendliche Geschichten.

Diese narrativen Großuniversen stehen für etwas, was in Hollywood in den letzten Jahrzehnten selten geworden war: eine neue Idee. Entstanden ist sie nicht aus den Erzähltechniken von Autoren- oder Blockbuster-Filmen, sondern aus den Prinzipien der Comics, der Fernsehserien. Die auf Kinofilme zu übertragen, ist schwierig. Man braucht dafür andere Typen von Drehbuchautoren und Regisseuren. Einen neuen Blick auf die Struktur des Geschichtenerzählens an sich.

Nicht-Fans finden den Gedanken vielleicht albern, aber das Universum von Star Wars hat eben nicht nur ein Publikum – es hat eine Gefolgschaft. Es ist also eine durchaus beängstigende Aufgabe, hier in die Neuentwicklung zu gehen. Fast so, als müsse man ein paar neue Kapitel für die Bibel schreiben. „Die erste Frage, die J. J. uns allen gestellt hat, als wir uns zusammensetzten, war: ,Was wollen wir fühlen?‘“, sagt Produzentin Kennedy. Die Antworten des Kreativkonsortiums: eine Aura des Neubeginns. Dringlichkeit. Aber auch: Humor. In Zusammenarbeit mit Lawrence Kasdan, der die Drehbücher für Das Imperium schlägt zurück (Film zwei) und Die Rückkehr der Yedi-Ritter (Film drei) geschrieben hat, entwickelte Abrams weitere Kriterien: „Wir wollten das Grundgefühl der ersten Trilogie wiederbeleben“, sagt Kasdan. „Spaß, Vergnügen. Höllisches Tempo und wenig Gegrübel und Haarspalterei.“


In der Schlussphase der neuen Produktion arbeitet Kathleen Kennedy meist an einem Stehtisch in den Pinewood Studios bei London. Dort hat sie einen 4K-Monitor und Zugriff auf die Schnittplätze und Serverfarmen, auf denen Abrams Das Erwachen der Macht zusammensetzt. Ein Stück weiter den Flur herunter läuft schon die Vorproduktion von Episode VIII, außerdem wird an Spin-off-Einzelfilmen über den jungen Han Solo und den beliebten Kopfgeldjäger Boba Fett gearbeitet. Klingt komplex. Wie es scheint, sage ich zu Kennedy, wird Lucasfilm mehr als nur Gefühl brauchen, wenn all das funktionieren soll.
„Toll, dass Sie gleich davon ausgehen, dass alles funktioniert!“, sagt Kennedy und lacht. „Oh Gott, es gibt so viel, was hier schiefgehen kann. Aber wie heißt es sinngemäß in Jäger des verlorenen Schatzes? Die Lösungen werden wir uns unterwegs überlegen.“

Rückblick: Wir schreiben das Jahr 1978. Lawrence Kasdan überreicht George Lucas den ersten Entwurf seines Drehbuchs für Jäger des verlorenen Schatzes, den ersten Indiana-Jones-Film (ja, auch das ist von ihm). Lucas legt das frische Skript zur Seite, er hat gerade ein größeres Problem. Ob Kasdan eine Fortsetzung zu Star Wars schreiben wolle? Und, ähem, sofort damit anfangen könne? 

Die ursprünglich vorgesehene Sequel-Autorin Leigh Brackett ist an Krebs gestorben. Die Filmsets werden schon gebaut. Aber es gibt kein Drehbuch. Kasdan hatte sechs Wochen Zeit. Was ihm am besten gefiel? „,Darth Vader ist Lukes Vater‘, sagte George zu mir. ,Wirklich?‘, fragte ich. Das war das Tollste, was ich je gehört hatte.“ Kasdan begriff, dass der Imperium-Film der zweite von drei Akten werden sollte. „Akt zwei ist immer der beste“, sagt er, „weil darin alles schiefgeht und der Film am Ende auf die große, existenzielle Frage rausläuft, die nicht beantwortet wird.“ Zurück ins Jahr 2012. Wieder spricht Kasdan mit Lucas, dann mit Kennedy. Die zwei wollen, dass Kasdan noch einen – noch einen! – Star-Wars-Film schreibt. George Lucas, mittlerweile 68, sitzt offenbar seit Längerem auf einem ganzen Sack voller Ideen dafür. Kasdan darf sich eine aussuchen, er entscheidet sich für einen Plot, der in Han Solos Kindheit spielt. Man wird sich einig, aber Kasdan soll noch mehr tun: Könnte er vielleicht auch noch ein bisschen bei Episode VII aushelfen? Als Berater? Und als Flüsterer, der J. J. Abrams überredet, Regie zu führen? 

Der Grund für die überstürzte Anfrage war ganz ähnlich wie 34 Jahre vorher bei Imperium. Michael Arndt, der für Episode VII vorgesehene Autor, hinkte dem Zeitplan hinterher. Kasdan und Abrams sprangen ein. „Wir machten gemeinsam lange Spaziergänge, spielten Gedanken-Pingpong über die mögliche Story und nahmen alles mit dem Iphone auf“, sagt Kasdan. „Keine Ahnung, wie viele Kilometer wir dabei zurücklegten. Einmal quer durch Santa Monica, Manhattan, später Paris und London.“ Die einzige Vorgabe sei gewesen, Han Solo, Chewbacca, Luke Skywalker und Prinzessin Leia zurückzuholen. „Am ersten Tag sagte ich zu J. J.: ,Am Ende dreht sich alles um – Spaß. Das muss unser Kriterium sein, für jede Szene: Macht sie Spaß?‘“

Natürlich sahen sich Abrams und Kasdan hier mit einer völlig neuen Art von Druck konfrontiert. Sie schrieben keinen zweiten Akt. Sie schrieben, gewissermaßen, ein neues Ende und einen neuen Anfang. „Verglichen mit den Autoren, die nach uns kommen, liegt auf Larrys und meinen Schultern mehr Last“, sagt Abrams. „Wir müssen eine Story finden, die ein geeigneter Anfang für all das ist, was in den nächs­ten drei Filmen kommt.“ 

Hollywood-Studios waren schon immer von ihrer Natur her Fließbandfabriken. Doch wie Abrams und Kasdan bald merkten, brauchten sie für das neue Vorhaben einen vollkommen neuen Satz an Werkzeugen. Sie sind nicht die Einzigen, die solche Probleme lösen müssen. Ein anderes Beispiel ist Captain America: The First Avenger, ein Marvel-Film von 2011. Die Autoren Stephen McFeely und Christopher Markus waren begeistert von der Idee, einen Superheldenfilm in den 40er-Jahren anzusiedeln. Das hieß allerdings nicht, dass sie mit der Story machen konnten, was sie wollten. Im Gegenteil. Sie adaptierten einen kanonischen, feststehenden Korpus: sieben Jahrzehnte Captain-America-Comics. Vaterfigur? Schon da: Abraham Erskine, der Wissenschaftler, der den kleinen Steve Rogers zu Captain America macht. Handlungsmotor? Schon da: der realitätsverzerrende Cosmic Cube. Bad Guy? Red Skull. Alle Eckpfeiler tief im Boden.

Als der Captain-Film entwickelt wurde, hatte Marvel Productions schon eine umfassendere Strategie dafür. Der Film sollte einerseits die große Datenbank der Comic-Geschichte anzapfen, aber auch Bezüge und Querverweise zum aktuellen und künftigen Marvel-Kinokosmos enthalten. „Wir wussten, dass ein Avengers-Film kommen würde, und daraus folgten Vorgaben und Referenzpunkte für unsere Story“, sagt McFeely. „Wenn ich weiß, dass Steve Rogers in diesem Film irgendwann ins Eis einfrieren muss, damit er im nächsten wieder auftauen kann, gibt uns das einen Anhaltspunkt, auf den wir zusteuern können.“ 

Viele Kreativarbeiter, die mit solchen Querverweis-Filmen zu tun haben, schwören darauf, dass auch jeder Einzelteil qualitativ für sich selbst stehen können muss. Das kann knifflig werden. Wie soll man sich zum Beispiel einen Plot auszudenken, der als Dritter in der zweiten Phase eines anscheinend nie endenden Zyklus heraus­kommen soll? Wen darf man sterben lassen? Und wie schafft man es, Samuel L. Jackson so in Iron Man einzubauen,  dass er dort über die Avengers sprechen kann – das Ganze aber nicht völlig unmotiviert wirkt? „Regisseur Jon Favreau sagte damals: ,Wie zum Teufel soll das in die Story passen?‘“, erzählte mir Kevin Feige, der Leitende Produzent von Marvel. „Wir haben dann gesagt: ,Gar nicht, machen wir es doch am Ende der Credits.‘“ Solche Seitenblicke auf andere Storys gab es im Hollywood-Tagesgeschäft früher nur in Ansätzen. Bei den aktuelleren Marvel-Filmen aber sind sie längst ein fester Bestandteil. 

Die neuen Anforderungen bringen oft große Probleme für Auftakte, Mittelteile und Endstücke mit sich. Niemand schreibt heute mehr einen echten dritten Akt – denn ein Universum hört nie wirklich auf. Es pulsiert weiter, mit vielen auf Einzelfiguren konzentrierten Filmen. Das Quantenreich in Ant-Man bildet die mystische Welt von Doctor Strange. Die Alien-Abstammung von Asgard in Thor grundiert den Science-Fiction-Rahmen für Guardians Of The Galaxy.
In diesem Modell muss der Allein­autor dem Teamplayer weichen.

Der Mythos des Drehbuchschreibers, der mit Kaffee-Infusion in der Gummizelle verschwindet, um nach ein paar Jahren mit einem Skript wieder aufzutauchen, hat mit den neuen Arbeitsbedingungen beim Entwickeln von Universen nichts mehr zu tun. Paramount hat sein Transformers-Team demonstrativ so strukturiert, dass es wie der Writers’ Room einer Fernsehserie funktioniert. Es gibt einen Showrunner und mehrere Autoren, die jeweils an einzelnen Geschichten sowie dem Gesamtbogen arbeiten. Dabei folgen sie einer sogenannten Storybibel, die Themen, Stimmungen, Figuren und sogar Wendungen im Handlungsstrang definiert. Sie schreiben Texte für einen festen Kontext.  

Es ist fast wie im Buddhismus: „Star Wars“ kann alles sein, was du willst 

Beim Großprojekt Star Wars ist die Zusammenarbeit nicht weniger intensiv. J. J. Abrams hatte Kasdan und Kennedy, dazu die Story Group von Lucasfilm, ein Team, das formatübergreifend Continuity und Plot-Verlinkungen beaufsichtigt. Hinzu kommen die Autoren und Designer, die schon an zukünftigen Filmen arbeiten. Sie alle müssen sich ständig austauschen, um herauszufinden, wie ihre Geschichten miteinander zusammenhängen können. Abrams hat auch die TV-Serien Alias und Lost geschrieben, also frage ich ihn: Ist das Schreiben einer TV-Pilotfolge ähnlich wie das Schreiben eines ganz neuen Films? 

„Ja. Obwohl man fairerweise sagen muss, dass ein TV-Pilot natürlich kein befriedigendes Finale braucht, weil man dem Publikum ja gerade sagen will, dass es nächste Woche wieder einschalten soll“, sagt er. „Bei einem Film muss man zumindest irgendeinen plausiblen Schluss präsentieren.“ Was bei Filmreihen ebenfalls schwieriger ist: die Wahrung einer cinematografischen Corporate Identity, über Jahrzehnte hinweg – im Fall von Star Wars über rund 40 Jahre. „Ob es um Requisiten ging, um einen Hintergrund oder um eine bestimmte Farbe, es gab ständig Diskussionen: ,Nein, nein, nein, das sieht nicht nach Star Wars aus‘“, sagt Kennedy. „Diese ganze Idee war sicher ein Teil von dem, was George intuitiv getrieben hat. Man könnte auch sagen, natürlich nur im Scherz: Es war die Macht.“  

Pardon, aber: Wieso natürlich?

Sowohl Abrams als auch Gareth Edwards, der Regisseur von Rogue One, geben zu, wie sehr sie die ersten Tage am Star-Wars-Set emotional mitnahmen: den echten Harrison Ford im Han-Solo-Kostüm zu sehen, auf einen Trupp Stormtroopers zu treffen. Irgendwann, sagen beide, wurde auch dieser Film zum Job – bei dem die Aura des Gewaltigen jedoch nie ganz verloren ging. 
Edwards steht, von einer Zeltplane vor dem britischen Sturmregen geschützt, neben einem hohen Set (das ich leider nicht näher beschreiben darf). Er ist schwarz vom Dieselruß,  schwer beladen mit Technik – und sieht glücklich aus. „Ich habe das Gefühl, dieses Universum zu kennen“, sagt er, „Es fühlt sich an, als wäre ich zurück nach Hause gekommen. An den Ort, wo man sein Fantasieleben lebt.“

Das, wovon die Beteiligten hier sprechen, ist mehr als ein Kino-Franchise. Es ist ein Parakosmos – Psychologensprache für eine imaginäre, in sich geschlossene Welt. Kreative Kinder erfinden solche Universen, Autoren ebenso: Denken Sie an Narnia, Westeros aus Game Of Thrones oder William Faulkners Yoknapatawpha County. Die Mittelerde von J. R. R. Tolkien mit ihren vielen Sprachen, Kulturen und Tausenden Jahren Geschichte ist das bekannteste Beispiel.  

Wie Sagen aus Mittelerde scheinen auch die Geschichten von vor langer Zeit aus einer weit, weit entfernten Galaxie die Grenze zwischen dem Hier und dem Dort überwunden zu haben. Eine neue Hoffnung erzielte den Effekt damals durch Anspielungen auf an­dere Handlungsstränge, Stämme und Personen, so wie es heute auch Marvel und DC Movies machen. Beim Start der Reihe bezogen sich die Referenzen jedoch auf einen Kanon, der noch gar nicht existierte. Man kann es sich heute kaum noch vorstellen, aber als die Kinobesucher 1977 erstmals vom Imperialen Senat oder den Klonkriegen hörten, hatten sie keine Ahnung, was das sein sollte – und die Filmemacher auch noch nicht wirklich. „Schon wenn man den ersten Star Wars zum ersten Mal sieht, spürt man sofort, wie viele Dinge da sind, die sich jenseits des Bildschirms abspielen“, sagt Kiri Hart, Leiterin der Lucasfilm Story Group. 

„Es fühlt sich echt an.“ Die aufschimmernden Sub-Plots wirken fremdartig, aber doch irgendwie vertraut, ähnlich wie die futuristischen Werbespots in Blade Runner oder die imaginären Landkarten in Game Of Thrones.
Fernsehen kann besonders para­kosmisch sein. Nach meiner Zählung gibt es etwa 710 Stunden an offiziellen Star-Trek-Filmen und TV-Folgen, die zusammen (dank Zeitreisen und Spiegeluniversen) 14 Milliarden Jahre Geschichte umfassen. Ein moderner Meister des TV-Parakosmos ist für mich Chris Carter, Erfinder von Akte X. Ihm gelang es, aus Einzelfolgen mit abgeschlossenen Geschichten große Erzählstränge zu konstruieren, mehrere parallel, staffelübergreifend. Damit erschuf er ein Universum, das sich riesengroß anfühlt.
Tatsächlich sind die Writers’ Rooms, die sich im TV-Serien-Business etabliert haben, für den Bau von Parakosmen ideal. Jeder Autor kümmert sich um eine konkrete Facette des Universums, der Showrunner sorgt währenddessen dafür, dass Qualität und Tonlage auf dem richtigen Level bleiben, so wie es jetzt auch Kevin Feige bei Marvel und Kathleen Kennedy bei Lucasfilm machen. Dass viele in diesem Bereich erfolgreichen Regisseure und Autoren aus der Welt des Fernsehens stammen (zum Beispiel Buffy-Erfinder Joss Whedon, die für Captain America und die Avengers tätigen Russo-Brüder und Abrams selbst), ist ganz bestimmt kein Zufall.

Wenn ein Produktionsteam Struktur und Organisation im Griff hat, heißt das natürlich noch lange nicht, dass ihm hohe Qualität gelingt. Gerade bei Das Erwachen der Macht muss der Bullshit-Detektor bei allen besonders hoch eingepegelt sein. „Wenn man zu sehr nach links abdriftet, ist es plötzlich nicht mehr Star Wars“, sagt Rogue-One-Regisseur Gareth Edwards, „und etwas zu weit rechts wird es zur Karaoke-Nummer.“

Alle Bullshit-Detektoren müssen bei "Star Wars" hoch eingepegelt sein

Die größte Gefahr ist jedoch, dass ein Parakosmos tatsächlich den Geschmack des Massengefertigten bekommt. All die Welten und Figuren könnten sich wie branded content  anfühlen – als wäre jeder Kinofilm, jede TV-Folge und jeder Lego-Bausatz nur Werbung für den nächsten Film, die nächste Folge, den nächsten Bausatz. „Wir dürfen nicht in die Wer-wird-Millionär?-Falle tappen“, sagt Marc Evans,   Präsident der Paramount Motion Picture Group. „Als die Show in den USA neu war und nur einmal pro Woche lief, wollte ich sie immer sehen. Sobald sie praktisch jeden Abend kam, war nichts Besonderes mehr an ihr.“ Dies ist die große gemeinsame Bedrohung für alle intertextuellen Story-Universen: Dutzende Filme mit engmaschigen Vernetzungen, die in einem Meer aus unendlichen Re­makes, Reboots, Zweitverwertungen treiben. 
Denen von uns, die eine emotionale Verbindung zu den Figuren und ihren Welten aufgebaut haben, würde es das Herz brechen. Wie bei dem berüchtigten Staubsauger-Werbespot von 1997, in dem Fred Astaire tanzt.
Da ist noch etwas, das alle Parakosmen gemeinsam haben: ihre Nerds.

Das hat wohl damit zu tun, dass das Genre seine Wurzeln in der Comickultur hat. Zu Recht wird Stan Lee und seinen Marvel-Mitstreitern das Verdienst zugeschrieben, in den 60er-Jahren eines der ersten stark intertextuell verästelten Universen gebaut zu haben, in dem Helden mit eigenen Heften zugleich als Avengers oder Defenders oder was auch immer miteinander kooperieren konnten. Spider-Man und die Menschliche Fackel waren Freunde, die Avengers hatten an der Fifth Avenue ein Hauptquartier mit regem Publikumsverkehr. Bei DC Comics erlebten Batman und Superman schon in den 40er-Jahren gemeinsame Abenteuer. 

Star Wars begann damals als der persönliche Parakosmos von George Lucas – heute leben wir alle darin. 

Die Details verblassen hinter der schieren Menge an geistigem Eigentum, die mittlerweile dort draußen herumschwirrt – fast ein Jahrhundert an kreativer Arbeit, Geschichten, Zehn-, eher Hunderttausende an Seiten, die alle in Wechselbeziehungen zueinander stehen. Die Goldader, die von den heutigen Autoren abgebaut wird. „Ich habe Captain America ja nicht erfunden“, sagt Stephen McFeely. „Wir halten vielmehr eine Tradition aufrecht, eine Überlieferung.“

Star Wars begann damals als der persönliche Parakosmos von George Lucas – heute leben wir alle darin. Was vom Prinzip weniger ans Co­miclesen erinnert, mehr an epische Spielwelten wie Dungeons & Dragons. Einzelne Serien-Universen und Parakosmen überschneiden sich, bilden Teilmengen voneinander, verweisen in weitere, nicht immer bis ins Letzte ausdefinierte Kosmen. Den Rest erledigt unsere Fantasie – weshalb wir am Ende nicht nur Konsumenten sind, sondern aktiv teilnehmen. Die Star-Trek-Filme, die J. J. Abrams 2009 und 2013 gedreht hat, waren okay. Heute aber gibt der Regisseur zu, dass der rationale, wissenschaftliche Trek-Parakosmos bei ihm nichts ausgelöst hatte, als er ein Kind war. Bei Star Wars ist es anders – nach wenigen Minuten mit Abrams ist klar, dass er ein Stück seiner Seele 1977 auf dem Wüstenplaneten Tatooine vergessen hat und uns nun alle dorthin mitnehmen will, um es zurückzuholen. Natürlich mit TIE-Jägern und X-Flüglern, Lichtschwertern und niedliche Droiden. Romantik, Abenteuer, Tempo und allerlei Schicksals-Dingsbums.

Außerdem haben Abrams und sein Star-Wars-Team einen entscheidenden Trumpf im Ärmel: Zeit.

Nicht Produktionszeit. Sondern die Historientiefe im Parakosmos selbst. Um junge Kino-Parallelwelten wie die der Transformers zu beurteilen, ist es noch zu früh, aber die gängigen Comicstrip-Universen werden alle irgendwann Probleme bekommen, wenn die Geschichten voranschreiten. Es liegt an dem, was Stan Lee als „Illusion des Wandels“ bezeichnet hat: Man bekommt als Leser zwar ständig signalisiert, dass sich die Dinge entwickeln, weil der Held einen Gegner nach dem anderen besiegt. In Wirklichkeit wird jedoch (unbemerkt) immer wieder alles auf null zurückgedreht. Spider-Man geht nie ins Altersheim. Im Comic steht quasi die Zeit still. 

Im Star-Wars-Universum dagegen bewegt sie sich. Han Solo, Prinzessin Leia, Luke und die Schauspieler dahinter können sich von unreifer Jugend bis zum weisem Alter entwickeln – und dann den Stab weitergeben. Ganz wörtlich sogar: In Das Erwachen der Macht darf man mit einer Szene rechnen, in der einer der Alten einem der neuen Jungen ein Lichtschwert überreicht. Der Kosmos hat das Potenzial, sich von dem Punkt aus, an dem Luke den ers­ten Todesstern zerstört, 10 000 Jahre weit in jede Richtung auszudehnen.

Jedes Film-Universum kann expandieren, aber die spezielle Struktur des Star-Wars-Parakosmos bringt es mit sich, dass er sich entlang der x-Achse ausbreiten kann. Comic-Universen expandieren in der Regel nur entlang der y- oder z-Achse, sozusagen – mit mehr Figuren oder neuen Spielorten. Robert Downey Jr. kann den Iron Man nicht ewig spielen – irgendwann braucht man einen neuen, während die Star-Wars-Figuren einfach altern dürfen. „Hier ist Spielraum für Millionen unterschiedliche Künstler und Geschichten“, sagt Skriptautor Kasdan. „Fast wie im Buddhismus: Star Wars kann alles sein, was du willst.“

Kasdan muss es wissen. Außer Lucas selbst gibt es wohl keinen anderen Menschen, der mehr dafür getan hat, das Star-Wars-Universum auszudefinieren. Es überrascht also etwas, dass seine Lieblings-Skriptzeile aus dem eigenen Werk ausgerechnet in Jäger des verlorenen Schatzes vorkommt. Es ist dieselbe, die Kennedy zitiert hat: „Das werde ich mir unterwegs überlegen.“ „So und so werde ich mich verhalten, das bin ich bereit, für meinen Lebensunterhalt zu tun, das nicht“, sagt Kasdan. „Was für eine gewaltige Idee: Das größte Abenteuer, das man erleben kann, ist, sich sein eigenes Leben auszudenken.“
Episode VIII soll sein letzter Star Wars sein, hat Kasdan angekündigt. Mal abwarten, ob er die Abstinenz dieses Mal durchhält.

Und dann werde ich mit ihnen an Indiana Jones arbeiten.

Produzentin

George Lucas ging in den Siebzigern volles Risiko. Sein jungfräulicher Parakosmos – mit dem Universum, in dem ein Farmerjunge mit Fliegertalent zum missionarischen Kampfpries­ter wird – passte gar nicht zu den düsteren Geschichten, die seine Zeitgenossen erzählen wollten. „Der Film kos­tete acht Millionen. Ein Blockbuster war nicht geplant“, sagt Kennedy. „Es war eine zutiefst persönliche Sache für George. Er suchte nach Sinn. Der Film sagt sehr viel über ihn aus.“

Das ist die Zukunft, die vor Kathleen Kennedy liegt: ein Universum auszubauen, das jemand so sehr geliebt hat, dass er dafür gesorgt hat, dass alle anderen es auch lieben müssen. Es mag eine Ehre sein, aber es ist auch eine Last. Vielleicht, sage ich, hätte sie ja gern, dass Lucasfilm irgendwann auch etwas anderes macht. Etwas Neues?

„Ich habe darüber mit jedem bei Disney gesprochen. Alan (Horn, der operative Leiter der Disney Studios) ist sehr dafür. Gleichzeitig hat er aber recht, wenn er sagt, dass wir noch viel vor uns haben“, sagt Kennedy. Sie atmet tief ein. „Und dann werde ich mit ihnen an Indiana Jones arbeiten.“

Ein neuer Indiana Jones. Lassen Sie mich mal kurz durchschnaufen.  

Ein ausführliches, exklusives Interview mit Star-Wars-Regisseur J.J. Abrams findet ihr hier. Außerdem haben wir das Arsenal an Sci-Fi-Waffen, die in „Episode VII“ auftauchen, in einer Bilderkollektion zusammen gefasst

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