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Reise in die Zukunft: Mit dem Startup-Bus durch Afrika

von Lars Gaede
Afrika ist auf dem Weg in die digitale Zukunft: eine Reise mit 60 Startup-Gründern durch den Kontinent – im Bus. Unser Redakteur Lars Gaede ist mitgefahren.

Dieser Artikel erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe des WIRED Magazins im Dezember 2015. Wenn ihr die Ersten sein wollt, die einen WIRED-Artikel lesen, bevor er online geht: Hier könnt ihr das WIRED Magazin testen.

Ganz am Ende, auf den letzten Metern in diesem Bus, in dem sie fast eine Woche lang geackert, gelacht, gestritten und gesungen haben, ist es plötzlich zum allerersten Mal: still. Draußen in der Hitze der nigerianischen Hauptstadt Lagos bewegt sich der Verkehr zur Melodie seines eigenen Hupkonzerts. Drinnen in der Kühle der Aircondition herrscht konzentrierte Ruhe.

Da ist Joseph Zotoo, dieser stets auffällig gut gekleidete Mann aus Ghana, der nun mit geschlossenen Augen noch mal seinen Pitch durchgeht. Da ist die Nigerianerin Jennifer Obado-Joel, die sich gerade so ablenkt, wie sie es immer tut, wenn sie aufgeregt ist: Iphone raus, Facebook auf. Da ist der ghanaische IT-Student Prince Agbata, der auf dem Laptop noch mal durch seine Powerpoints flickert wie ein Pokerspieler durch seine Karten. Und da sind all die anderen Passagiere, die in ihren Sitzen vor sich hinbrüten und sich entweder auch darauf vorbereiten, gleich ihre Startup-Ideen vor einer Jury präsentieren zu können; oder die den anderen nur zuschauen können, weil ihre Pitches nicht ausgewählt wurden.
An denen haben sie hier im Bus tage- und nächtelang gearbeitet, allein und im Gespräch mit anderen Teilnehmern und Mentoren. Sie alle hoffen, dass ihre Ideen nicht nur ihr Leben zum Besseren verändern könnten. Sondern vielleicht auch das eigene Land, am besten ganz Afrika. Um nicht weniger geht es bei der Reise: 60 Menschen fahren fünf Tage lang durch fünf westafrikanische Staaten, von Côte d’Ivoire bis Nigeria, um währenddessen neue Lösungen für oft alte Probleme zu finden, die den Kontinent weiter im Griff halten.
Der Bus hält nun ein letztes Mal. „Los geht’s!“, ruft jemand. Die Jury wartet. Das Finale beginnt.

Fünf Tage zuvor, ein verregneter Morgen in Abidjan, Côte d’Ivoire. Auf dem Parkplatz stehen die 60 Reiseteilnehmer und sollen Kennenlernspielchen machen. Albern, aber doch aufschlussreich. Also alle mal im Kreis aufstellen, in immer neuen Reihenfolgen: nach Alter sortiert (19–40), nach der Zahl der Geschwister (0–11) und der schon gegründeten Startups (0–7). Schließlich nach Herkunft: Ghana, Liberia, Côte d’Ivoire, Burkina Faso, Tschad, Nigeria, Tunesien, Benin, Senegal, Frankreich, Deutschland. Joseph Zotoo sagt, er sei hier, „weil ich etwas lernen und Leute kennenlernen will, mit denen man vielleicht was auf die Beine stellen kann“.

Wie alle anderen hat er sich bei Ampion beworben, einer Berliner Non-Profit-Organisation, die mehrere solcher Touren im Jahr durch Afrika organisiert. Die sollen eine Mischung aus Roadtrip, Brainstorming-Bootcamp und Hackathon sein. Ampion-Gründer Fabian-Carlos Guhl sagt: „Wir hoffen, dass auf den Touren Unternehmen entstehen oder Leute zumindest das Know-how dafür mitnehmen.“ Unterstützt wird Ampion von verschiedenen deutschen Ministerien und der Gesellschaft für Internatio­nale Zusammenarbeit (GIZ), vor allem aber von Firmen wie Microsoft, SAP oder Merck. Letztere wollen vielleicht nicht nur das Leben vieler Menschen verbessern, sondern auch ihren Zugang zu den afrikanischen Märkten.

Als der Bus sich in Bewegung gesetzt hat, knarzt und klopft es bald aus den Lautsprechern. Ifeanyi Oteh, der Leiter des Organisationsteams, erklärt zunächst, wie der rollende Hackathon genau ablaufen soll: „Das Prinzip heißt Design Thinking!“ Will sagen: Ziel ist es, Konzepte zu entwickeln für Produkte oder soziale Initiativen, die typische afrikanische Probleme beheben helfen und erfolgreich sein könnten. Die elf besten Ideen werden am ersten Abend bestimmt, dann werden Gruppen gebildet, die sie fortentwickeln. Am Ende der Reise steht der Pitch vor der Jury. Der Sieger darf sein Projekt dann am Folgetag in Lagos vor Investoren präsentieren, auf der Demo Africa, der größten Tech-Messe Afrikas.

Als Ifeanyi ausgeredet hat, beginnt ein wild-produktives Gewusel: 60 Menschen stehen gekrümmt im Gang, halten sich an Gepäckfächern fest, hocken zusammen, schaukeln umher. Sie grübeln allein und diskutieren miteinander. Die Ergebnisse schreiben sie mit Markern von innen auf die Busscheiben oder kleben sie auf Post-its dagegen: „Arbeitslosigkeit“ steht da, „Armut“, „bad governance“.

Die Probleme, die man von Afrika erwartet. Während die Scheiben immer bunter werden, bestätigt die Realität jenseits der Fenster die Debatten im Bus. Als draußen ein müllübersäter Strand vorüberzieht, klebt Prince Agbata einen Zettel auf die Busscheibe: „poor waste management“. Für den Müll, sagt Prince, „müsste es doch mal eine Lösung geben“. Der 24-Jährige ist Student, betreibt aber daneben eine NGO, deren Freiwillige in Ghana und Nigeria Bibliotheken in Schulen einrichten und Schülern Programmieren beibringen. „Weil es ja sonst niemand tut“, sagt Prince. Er plant bereits ein neues Projekt zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit, doch jetzt wird er erst mal über Afrikas Abfall nachdenken.

Joseph Zotoo kippelt nervös auf einer Armlehne im Bus, bevor er den anderen die Idee vorstellt, die er schon lange in seinem Kopf bewegt: „Habt ihr mal überlegt, wie viele Menschen in Afrika leben, deren Haus keine Adresse hat und die man so auch nicht auf Google Maps finden kann? Irre viele!“ Joseph weiß das beinahe zu gut. Als er noch ein Kind war, musste seine Familie von einer Mittelstandsgegend in einen Slum umziehen. Josephs Vater hatte den Job als Lkw-Fahrer verloren, die Mutter verdiente als Kioskverkäuferin nicht genug. „Plötzlich wohnten wir in einem einzigen Zimmer und hatten nicht immer genug zu essen.“ Slum bedeutete: keine Infrastruktur, keine richtigen Straßen und eben keine Adressen. Als es eines Tages bei den Nachbarn brannte, verloren die alles. Die Feuerwehr wusste einfach nicht, wohin sie fahren sollte zum Löschen. Joseph ist heute 23 und studiert Geografie, doch noch immer beschäftigt ihn die Frage: Wie kann man dafür sorgen, dass man in afrikanischen Städten die Leute findet, die man sucht? Nicht nur die Feuerwehr muss sich bis heute oft durchfragen: „Was ist mit Lieferservices, die sind ein riesiger Zukunftsmarkt?“, sagt Joseph.

Die Investitionen in die afrikanische Tech-Branche steigen rasant. Auf VC4Africa, einer Online-Plattform für Startups, verdoppelte sich zuletzt das jährlich eingesetzte Venture Capital: 2013 flossen zwölf Millionen Dollar, 2014 bereits 26,9 Millionen. Gemessen an den Milliarden im Silicon Valley, ist das nichts – aber viel, wenn es vor Kurzem noch gar kein Kapital gab. Erste afrikanische Firmen wie die Payment-Plattform M-Pesa oder Jumia, eine Art nigerianisches Amazon, sind bereits international bekannt.


Die Digitalisierung ist die beste Verheißung für den Kontinent seit Langem. Auch wenn sie zunächst von außen kommt wie die Entwicklungshilfe, die diese Busreise darstellt. Doch die Digitalisierung muss kein neues Kapitel der Kolonialgeschichte werden. Afrikaner gestalten sie selbst. Die Mittelschichten wachsen, immer mehr Menschen besitzen Smartphones, in Nigeria schon jeder Vierte. Und der Kontinent ist irre jung, die Hälfte der Afrikaner ist unter 20. Viele träumen weiter von einem besseren Leben anderswo, doch viele wollen nun auch bleiben – und Unternehmer werden wie die Leute im Bus. Fast forward ins digitale Zeitalter!


Auf dem Weg müssen Grenzen überwunden werden. Nach fünf Stunden Fahrt an kargen Feldern und leuchtendgrünen Wäldern vorbei ist die nach Ghana erreicht. Der Bus hält, am Straßenrand werden Nüsse in Flaschen verkauft und Wasser in Plastikbeuteln. In einem Häuschen sitzen die Zöllner und warten – auf Bestechungsgeld. Erst wenn die Höhe stimmt, geben sie die Pässe zurück. Nach zwei Stunden. So stößt man in Afrika immer wieder auf verschiedene Geschwindigkeiten, zwischen Stadt und Land, Neu und Alt. Das Tempo in den Köpfen der Buspassagiere kennt keine Grenzen mehr, doch womöglich ist das anderen zu schnell.

Vom obersten Stock des iSpace, eines Co-Working-Gebäudes in Accra, hat man einen fantastischen Blick über die Hauptstadt Ghanas bis zum Meer. Bloß das Internet, das funktioniert nicht. Tobias Dickmeis schaut ratlos auf sein Smartphone und sagt: „Es wäre gut, wenn man mal recherchieren könnte, ob es unsere Lösungsidee schon gab.“ Dickmeis ist 39 und betreibt in Berlin die App Tandem, mit der man Sprachpartner finden kann. Auf den Trip ist er aus

Interesse mitgekommen, nun gehört er neben einem weiteren Deutschen, einem Tunesier und einem Franzosen zu Josephs Gruppe, die sich eine netzbasierte Lösung dafür ausgedacht hat, wie man in Afrika sein Zuhause auch ohne eine Postanschrift auffindbar machen könnte: Man geht auf die Plattform, pinnt seinen Aufenthaltsort auf eine Karte und fügt eine Beschreibung des Weges hinzu von der nächstgelegenen Landmarke. Daraus wird ein Code generiert, den man verschickt. Dieser führt den Empfänger auf eine Seite mit allen Informationen, die er braucht, um den Ort zu finden.  

Ohne Netz wird das nicht funktionieren. Doch ob so ein Adressdienst, wie er Joseph vorschwebt, überhaupt auf Nachfrage stieße, muss er eh ganz altmodisch direkt bei den Leuten erfragen. Er schnappt sich Block und Stift und läuft hinunter ins Viertel, um eine kleine Umfrage in der Nachbarschaft zu machen. Staubige Straßen, kleine Häuser. In einer Bar sitzen zwei ältere Herren. Joseph will von ihnen wissen: Stimmt seine Annahme, dass hier keiner eine Adresse hat? Und stört das irgendwen? „Es ist kompliziert“, antwortet einer der Herren. „Ich sage immer: Ich wohne drei Häuser rechts vom Getränkeladen. Den kennt eigentlich jeder. Obwohl es ihn gar nicht mehr gibt.“

Die Jugendlichen, die Joseph als Nächstes anspricht, wissen ebenfalls nicht, wie die Straße heißt, in der sie gerade abhängen. „Sie sollten sie nach mir benennen“, sagt einer. Alle lachen. Joseph notiert sich die Antworten. Für ihn könnte es keine bessere geben.
Zurück im iSpace, beginnt seine Gruppe, Mock-ups zu bauen. Wie könnte eine App aussehen, was sollte sie können? Josephs Gruppe wird wie alle anderen von den fünf Mentoren unterstützt, die mitreisen. Die wirken wie ein Tech-A-Team: ein Pariser Anwalt mit Venture-Capital-Know-how, ein Berliner Ex-Berater, der ein Startup betreibt, zwei nigerianische New Yorkerinnen – die eine Expertin für Organisationsentwicklung, die andere für User Experiences – und ein in Dubai lebender Italiener mit eigenem Mikroversicherungs-Startup. Tagsüber helfen sie den Gruppen bei der Strukturierung der Pitches und beim Entwickeln der Businessmodelle. Abends fungieren sie als Übungsjury, die den Gruppen immer wieder Feedback gibt zum Stand ihrer Überlegungen. An diesem Abend allerdings nicht im, sondern vorm Hotel. Weil der Strom ausgefallen ist, pitchen die Teams auf dem Parkplatz, im Scheinwerferlicht des Busses.

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Josephs Gruppe bekommt gutes Feedback von den Mentoren, er strahlt. Doch die Konkurrenz ist groß, die anderen Konzepte sind auch stark: eine Jobvermittlungsplattform für Jugendliche etwa; eine Mikroversicherungsplattform, die Menschen mit Kleinst­einkommen übers Telefon krankenversichern will; und eine Dating-App für Afrikaner in der Diaspora.

Prince Agbatas Gruppe hat den Plan ausformuliert, wie man die Leute davon abbringen könnte, ihren Abfall einfach in die Landschaft zu schmeißen, weil es keine Müllabfuhr gibt: Man könnte den Menschen Geld für ihren vorsortierten Müll zahlen. Die könnten online eine Abholung ordern. Princes Startup würde den Abfall dann an Müllverbrennungsanlagen verkaufen.
Jennifer Obado-Joel wiederum arbeitet mit ihrem Team daran, „den Bankensektor zu revolutionieren“. Da viele Menschen in Afrika Banken nicht vertrauen und es auf dem Land nicht mal Filialen gibt, sparen die Leute stattdessen gemeinsam: unter Kollegen, im Dorf, in der Nachbarschaft. Jemand sammelt regelmäßig Geld ein. Doch statt dafür Zinsen zu bekommen, zahlen die Leute dem Einsammler Gebühren dafür, dass er ihr Angespartes später wieder an sie auszahlt. Das sei doch verrückt, sagt Jennifer. Ihre Lösung: ein Sparkonto, das man per Handy eröffnen kann. Geld einzahlen und auszahlen soll man am Kiosk per MobileMoney, denn Kioske gibt es überall. „So hätten endlich auch Leute auf dem Land Zugang zu Bankdienstleistungen. Und wenn man landesweit kleine Ersparnisse einsammelt, könnte man damit richtig Geld verdienen.“

My name is Joseph, and I want to make sure you get never lost in Africa again.“ Mit diesen Worten beendet Joseph am Ende der Reise im IdeaLab in Lagos seine Präsentation vor der Jury, die aus örtlichen Unternehmern, Bankern und dem deutschen Konsul besteht. Jubel brandet auf. Doch Joseph wird nur Zweiter.  Prince siegt mit seinem Müllprojekt, Jennifer landet mit ihrem Handykonto nicht unter den ersten dreien. Auf der Demo Africa Ende September wird Prince nach seiner Messepräsentation von einem Mitarbeiter der Stanbic Bank aus Nigeria angesprochen: Er könne sich gut vorstellen, in die Idee zu investieren, sagt der. Seither arbeitet Prince mit seinem Team an der Webanwendung und der Handy-App, sie verfeinern den Business­plan, sprechen mit potenziellen Müllsammlern und Abnehmern. Schon im Februar 2016 soll das Projekt starten.
Jennifer Obado-Joel schreibt fünf Wochen nach dem Bustrip aus Lagos: „Wir arbeiten an der SMS-Plattform und planen den Launch für das dritte Quartal 2016.“ Das Testgebiet für ihr Handykonto hat sie bereits bestimmt, „wir beginnen in drei ländlichen Communities im Südwesten Nigerias und wollen es nach dem ersten Jahr auf weitere Gemeinden erweitern“.

Und Joseph Zotoo hat wie Prince Agbata die Web-Anwendung für seine Idee schon fast fertig. Seine Lokali­sierungsplattform FindMe ist Teil des BizSpark-Programms geworden, mit dem Microsoft Startups unterstützt. Joseph sagt: „Ich glaube, FindMe könn­te ein großer Player in Ghana werden, in Westafrika überhaupt, ja sogar in entwickelten Ländern und Märkten.“
Warum klein denken, wenn man groß träumen kann? Ohne den Trip mit dem Ampion-Bus hätte Joseph sein Konzept vielleicht nie zu Ende gedacht und wäre wohl auch nicht mit Microsoft in Kontakt gekommen. Jennifer muss noch ohne solche Unterstützung auskommen, doch es sieht nicht so aus, als ließe sie sich aufhalten. Und Prince hat nur noch ein Problem: Wie soll er Studium, NGO und Müll-Startup zeitlich unter einen Hut bekommen?
Die Zukunft hat für diese drei Afrikaner begonnen. Nun muss ihnen ihr Kontinent nur noch dorthin folgen.

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