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Play-Kolumne / Thomas Glavinic will nicht einsehen, dass er im Ausland keine Streamingdienste nutzen kann

von Thomas Glavinic
Vor 20 Jahren war das Internet der letzte Schrei. Heute bringt es uns dafür zum Brüllen.

Irgendwann in den Neunzigern erfuhr ich, dass ein Internet eingeführt worden war. Die Nachricht berührte mich nicht. Es werden laufend Dinge erfunden. Die allermeisten von ihnen bemerke ich nicht, denn normalerweise verschwinden sie bald wieder.

Dieses jedoch blieb. Wie schon davor bei anderen Erfindungen, die sich allmählich in den Alltag integriert hatten (CDs etwa), wich mein Desinteresse erst der Skepsis und die Skepsis an jenem Tag der Neugier, an dem meine mehr als technikfeindliche Freundin ihr Interesse an elektronischer Post bekundete.

Und wenn jemand, für den Autorennen und Schnurlostelefone Götzenanbetung sind und der sich nur mit Honigseife wäscht und die Verwendung von Plastiktüten für verurteilenswerter hält als balkanische Kriegsver­brechen, sich dem Internet öffnet, ist dies womöglich ein Zeichen für dessen Alltagstauglichkeit. Daher wollte ich es auch haben. Noch immer ohne genau zu wissen, was es war.

Zuallererst, erfuhr ich, braucht man eine E-Mail-Adresse. Ein Mensch an der Uni gab mir eine Diskette, darauf stand WinSock, die bräuchte ich für die E-Mail-Adresse und für das Internet. WinSock! Wie aufregend! Ich erinnere mich gut an meine erste E-Mail-Adresse und daran, dass ich nie Post bekam, und daran, dass ich mich immer fragte, ob man durch die Steckdose allein online sein konnte. 1997 gab ich den WinSock auf.

Erst ab 1999 hatte ich eine ungefähre Ahnung, welche Anwendungsmöglichkeiten das Internet bot. Bekanntlich hat sich das Internet mittlerweile einigermaßen durchgesetzt. Ich war ja vor Kurzem noch der Ansicht, Internet ist Internet, aber das stimmt auch wieder nicht.

Die Italiener kennen Netflix nur vom Hörensagen. Sie halten es vermutlich für einen Hoax.

Ein kurzer Arbeitsurlaub in Kroatien. In meinem Beruf gibt es keinen reinen Urlaub und durch den charmanten Hobbycharakter meiner Tätigkeit auch keine reine Arbeitszeit im engen Sinne, und darüber bin ich sehr froh, kann ich so doch selbst das Ansehen eines Fußball-Länderspiels als Arbeit bezeichnen. Da das kroatische Fernsehen keine Spiele der österreichischen Nationalmannschaft überträgt, wollte ich mich beim Match gegen Schweden mit dem Livestream des ORF begnügen. Wollte ich. Durfte ich aber nicht. „Aus rechtlichen Gründen darf dieses Programm nicht im Ausland ausgestrahlt werden.“

Ich frage mich, wozu es dann einen Livestream gibt. Wenn ich in Österreich sitze, schalte ich einfach den Fernseher ein. So sauer war ich, dass ich auch auf den Service der Live-Aktualisierung des Spielstandes verzichtete und stattdessen auf Netflix ging, um mir eine Folge Torchwood zu gönnen.

Ein noch größeres Debakel: „Leider steht Netflix in diesem Teil der Welt noch nicht zur Verfügung.“Wochen später: Vier Tage sogenannte Arbeit am Meer in Italien. Dieselbe Meldung. Die Italiener kennen Netflix nur vom Hörensagen. Sie halten es vermutlich für einen Hoax.

Wieso ich in Kroatien ein Produkt nicht abrufen kann, für das ich sowieso bezahle, verstehe ich trotzdem nicht.

Ich meine: Wofür gibt es denn dieses Internet, wenn nicht für so etwas? Fußball und Serien und so. Wenngleich ich das nicht gutheiße, verstehe ich doch, dass es Twitter oder Facebook in manchen totalitären Staaten nicht gibt, weil die ihren Leuten das vorsichtshalber abknipsen. Aber Netflix? Ist das wieder so eine Rechtesache?

Urheberrechte — okay, das akzeptiere ich. Ich habe mal einer prominenten Piraten-Politikerin via Facebook die Frage gestellt, wie sie sich das denkt mit den Gratisdokumenten und Texten und Büchern im Internet. Weil ich und ein paar andere ja von den Rechten an unseren kreativen Leistungen leben müssen. Leider habe ich keine Antwort gekriegt. Vielleicht hat die Frau damals aber auch in irgendeiner Facebook-freien Zone gelebt.

Wieso ich in Italien und in Kroatien ein Produkt nicht abrufen kann, für das ich sowieso bezahle, verstehe ich trotzdem nicht. Zum Glück gibt es dokumonster.de. Ich habe den ganzen Urlaub hindurch Mayday — Alarm im Cockpit geschaut. Auch am Pool. Es lagen nicht viele Leute in meiner Nähe.

Thomas Glavinic lebt als Schriftsteller in Wien. Sein letzter Roman „Das größere Wunder“ erschien 2013. Für WIRED schreibt er regelmäßig über seinen Alltag mit der Technologie.

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