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Kosmos-Kolumne / Hakan Tanriverdi weiß: Im Internet zählt jede Sekunde!

von Hakan Tanriverdi
Ja, Apple und Facebook agieren als selbstlose Anwälte der Nutzer. Nein, wir glauben es auch nicht. Denn die beiden kennen keine Freunde. Sie kennen nur Apple und Facebook.

Wenn ich mich beeile, brauche ich knapp zehn Sekunden, um die Seite onesecond.designly.com einmal durchzuscrollen. Die Seite zeigt mir im Vorbeifliegen an, wie viele Youtube-Videos gerade geschaut, wie viele Facebook-Likes gedrückt, Suchanfragen bei Google gestartet werden. Mein Scrollen ist unendlich viel langsamer als die Geschwindigkeit, mit der die Impulse durchs Netz zischen, aber was ich trotzdem mitkriege: Jede Sekunde zählt. Je schneller ich Zugriff auf den Content habe, desto mehr kann ich aufsaugen.

Wenn also zwei der großen Tech-Firmen plötzlich auf genau diese Sekunden pochen, klingt das erst mal vernünftig. Facebook will mit seinen Instant Articles Nutzern ermöglichen, auf den Seiten des Netzwerks zu bleiben, Ladezeit zu sparen. Und Apple hilft mit seinem Content-Blocker, erhältlich mit dem Betriebs­system iOS 9. Werbung kann gesperrt werden, Seiten werden megabytemäßig schmaler, laden schneller.

Vielleicht ist die Erkenntnis wenig überraschend, aber trotzdem: Die großen Gesten sind nichts weiter als knallharte, wenn auch gut verkaufte PR-Tricks. Apple ist zwar einen Tick glaubwürdiger. Aber auch nur, weil das Produkt, um das es geht, so schlecht ist.

Zuerst Facebook. Am liebsten will das Unternehmen, dass große Medienhäuser ihren kompletten Inhalt direkt auf seiner Plattform posten – so wie die Washington Post es vorhaben soll. Noch mehr nach dem Geschmack des Konzerns wäre es freilich, wenn er passend dazu gleich noch die Werbung ausspielen könnte, die die Verlagshäuser für ihre Inhalte akquiriert haben. Und wenn Facebook dafür einen Cut vom Gewinn bekäme.

Nun ist Facebook als Werbenetzwerk mit Sicherheit vertrauenswürdiger als all die obskuren Firmen, die mir beim Surfen durchs Netz den Browserverlauf mitschneiden. Doch der Verweis auf lange Ladezeiten und User-Service wirkt schon dann wie ein zynischer Scherz, wenn man betrachtet, wie der Social-­Media-Konzern sich in anderen, vergleichbaren Fällen gegenüber seinen Kunden verhält. Beispiel: die „Do not track“-Ini­tiative, 2009 von drei Forschern angestoßen.

Am Ende soll das offene Web, wie wir es kennen, dem Element weichen, das durchs Iphone so stark geworden ist: Apps.

Das Ziel: Nutzer sollten einem Browser klar kommunizieren können, wenn sie beim Surfen nicht verfolgt werden wollen. Die New York Times berichtete, dass die Arbeitsgruppe am Ende von großen Firmen wie Adobe, Google und eben Facebook kontrolliert wurde – das Ergebnis strotzte vor Ausnahmeregeln.

Wer es noch nicht geahnt hat, merkt es spätestens jetzt: Face­book geht es nicht um die Sekunden der Nutzer. Sondern darum, so viele Inhalte wie möglich auf die eigene Seite zu ziehen. Kein Helfer, eher ein Despot. Apple wiederum hat zuletzt demonstriert, wie die Firma sich um die Privatsphäre der Nutzer sorgt: Smartphones werden verschlüsselt, Chef Tim Cook sprach sich gegen Geschäftsmodelle aus, die auf Tracking basieren. Und dann Content-Blocking.

Doch auch Apple geht es nicht um die Sekunde. Erstens darf der Nutzer hier stets selbst für die Privatsphäre bezahlen, über die immensen Gerätekosten. Außerdem hat Apple mit IAd durchaus sein eigenes Werbenetzwerk, das sich nur in einem wichtigen Punkt von der Konkurrenz unterscheidet: Es funktioniert miserabel. Apple ist auf Werbeerlöse auch nicht angewiesen — und arbeitet im zugehörigen Markt mit einer Politik der verbrannten Erde. Am Ende soll das offene Web, wie wir es kennen, dem Element weichen, das durchs Iphone so stark geworden ist: Apps. Eine Welt mit eigenen Regeln, auf teuren Geräten.

Nebenbei: Werbung, die per IAd ausgespielt wird, lassen die Content-Blocker natürlich durch. Werbung, die über Apps kommt, auch. Wenn Apple und Facebook sich also im kühlen Morgenrot als Freunde der Nutzer aufspielen, die alle Zeitdiebe und Gierhälse aus dem Netz fegen wollen — dann darf man nur eines nicht vergessen: Apple und Facebook kennen keine Freunde. Sie kennen nur — Apple und Facebook.

Hakan Tanriverdi arbeitet als freier Journalist unter anderem für das Digital-Ressort von „Sueddeutsche.de“, er twittert unter @hakantee. Für Wired schreibt er regelmäßig über Netz- und Technologie-Themen.

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