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Gadget-Kolumne: Anja Rützel über die Kaufsucht im digitalen Zeitalter

von Anja Rützel
Wir shoppen so viel mehr und so viel schneller als früher — wie behält man da bitte schön den Überblick?

  Achtung, Vergreisungsgefahr: Es muss am Alter liegen, dass ich mich nach dem Quelle-Katalog sehne. Nach dem satten Flopp-Geräusch, mit dem er im Herbst auf dem Küchentisch landete: diese Produkt-Instanz, das amtliche Warenbrikett, das verbindliche Konsumlexikon, das alles zeigte, was es gab. Dass kaufbare Dinge jenseits des Quelle- oder Otto-Kataloges existieren könnten, erschien mir zumindest als Kind un­vorstellbar.

Die Warenwelt war damals ein sorgfältig eingefriedetes, überschaubares Gärtchen, in dem man entspannt spazieren gehen konnte. „Wir hatten damals ja nichts!“, denkt mein einkaufssüchtiges, Novelty-gehetztes Raff- und Sammelhirn da nostalgisch im Rückblick. Früher in dieser prädigitalen Zeit, da war es noch völlig klar, wie die Waren zu uns kommen: Man blätterte durch einen Katalog und bestellte, was darin so feilgeboten wurde, oder man ging in einen Laden, und kaufte eben, was es dort gab. Was auch sonst? 

Heute hopsen wir eben mal zur Trödeljagd nach London oder klicken uns in zehn Minuten durch mehr Läden, als eine ganze Shoppingmall zu bieten hätte. Die Produkthatz, das Abstecken der Jagd- und Kaufgründe, ist zu einer eigenen Aufgabe geworden, einer Herausforderung und Lebensdisziplin, in der man sich gut oder schlecht schlagen kann.

Wenn ich heute prokrastinierend durch meine Wohnung mäandere, frage ich mich zuweilen, wie der ältliche Barschrank, die Nachttischlampe in Kaninchenform oder die knallgelben Schuhe denn eigentlich noch mal zu mir gefunden hatten. Einfach schnöd beim offensichtlichsten Onlineshop für trotzjugendliche Mittelalter geordert — oder doch in der Winzboutique in Helsinki hinter einem Stapel verwitterter „The Teens“-Platten hervorgezogen?  

Heute hopsen wir eben mal zur Trödeljagd nach London oder klicken uns in zehn Minuten durch mehr Läden, als eine ganze Shoppingmall zu bieten hätte. 

Es ist nicht mehr klar: Wie finden die Dinge eigentlich zu uns? Wie erfahren wir von neuen Produkten und ob sie zu uns passen — und wie könnte dieser Prozess in Zukunft verbessert werden? Brauchen wir ein besseres algorithmisiertes Empfehlungssystem, um endlich wieder ein wenig Überblick zu bekommen — oder doch wieder altmodische Kataloge?

Weil ich heute keine Ahnung mehr habe, was es alles gibt, denke ich ständig, dass ich etwas verpasse, weil ich potenziell alles haben kann, und das ist — First-World-Problems olé! — ganz schön anstrengend. Nichts ist mehr heilig oder exklusiv, selbst der lila Turban mit türkisen Tapiren drauf, den irgendeine überdrehte Poptrulla in ihrem neuen Musikvideo trägt, lässt sich potenziell irgendwo aufstöbern, verfügt man nur über entsprechende Google-Skills und ein mit Besessenheit flirtendes Ausdauervermögen. 

Manchmal komme ich mir darum vor wie in diesem Buch, das ich einmal las oder vielleicht nur davon träumte: Sein Protagonist muss hippe Restaurantkritiken schreiben, fühlt sich aber aufgrund von Menschenhass nicht in der Lage, diese wirklich zu recherchieren und zu besuchen – also erfindet er die abstrusesten Lokale, die kurz nach Erscheinen seiner Besprechung dann wundersam tatsächlich existierten.

So geht es mir heute mit Produkten, alles, was ich mir vorstellen kann, gibt es auch zu kaufen, egal, wie krude, man muss es nur finden. So wie neulich das Elvis-Hundekostüm oder den Morgenmantel mit dem Gesicht von Scientology-Gründer L. Ron Hubbard im Alloverdruck. Ich kann nicht mehr nachvollziehen, welcher Surfverlauf mich dorthin führte, aber ich habe beides gefunden.

 Wehmütig denke ich beim ermatteten Befüllen meiner 156 Pinterest-Boards mit kaufwürdigen Objekten daran, wie ich vor 35 Jahren bereits dasselbe tat — nur verwendete ich damals eine Nagelschere, einen Pritt-Stift, ein ausrangiertes Tapetenmusterbuch und eben einen dicken Versandhauskatalog. Kaufsüchtig war ich vermutlich wohl schon immer. Nur war ich früher schneller damit fertig und  hatte mehr Zeit, mir „Die Wombels” im Fernsehen anzuschauen. Da fällt mir ein, eigentlich hätte ich gerne ein Teeservice, auf dem die putzigen Schnauzentiere abgebildet sind. Gleich mal schauen, muss es ja irgendwo geben.

Anja Rützel verfällt beim Warensuchen manchmal in Trancezustände. Nur so kann sie sich erklären, dass sie das Elvis-Hun­dekostüm und den Hubbard-Mantel wirklich kaufte. In der Oktober-Ausgabe wünscht sie sich alternative Wohnstrukturen, damit sie einen Piguin halten kann. 

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