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Apple-Music-Chef Jimmy Iovine gründet mit Dr. Dre eine Akademie für die Leader von Morgen

von Jason Tanz
Jimmy Iovine ist ein Pop­kulturphänomen. Als Toningenieur nahm er Alben von John Lennon und Bruce Springsteen auf. Als Labelboss machte er Eminem zum Superstar. Als Firmengründer erfand er mit Dr.Dre die Beats-Kopfhörer. Nun ist Iovine Chef von Apple Music — und sorgt sich um die Zukunft. Also hat er mit Dre eine Akademie für die Leader von Morgen ins Leben gerufen.

Jimmy Iovine hat einen Lieblingsspruch. Eigentlich hat er sogar eine ganze Menge Sprüche auf Lager. Dass der 62-Jährige heute Apple Music leitet, markiert den vorläufigen Höhepunkt einer Karriere, in deren Verlauf es Iovine vom Tontechniker zum Gründer der Plattenfirma Interscope Records und schließlich zum Erfinder von Beats Electronics brachte. Doch Iovine ist eben auch Sohn eines Hafenarbeiters aus Brooklyn, und die ausschweifende Lust am Erzählen, die man den Menschen dort nachsagt, steckt ihm im Blut. Über die Jahre ist eine lange Playlist von Iovine-Bonmots zusammengekommen. Sie umfasst seine Philosophie für den Umgang mit divenhaften Künstlern („Wenn die Haufen größer werden als die Katze, muss die Katze gehen“) und den Rat an Dr. Dre, lieber Kopfhörer als Turnschuhe zu entwerfen („Fuck sneakers, let’s make speakers“).

Aber den Spruch, der hier gemeint ist, nutzt Iovine gewöhnlich, um sein Lebensziel zu beschreiben: „Wenn die Popkultur eine Schallplatte ist, dann habe ich nie mehr gewollt, als ab und zu den nächsten Song anzuspielen.“ Das klingt fast bescheiden. Doch das täuscht: Bleibt man in dem von ihm bemühten Bild, dann hat Iovine es ausschließlich auf die Sorte von Songs abgesehen, die rund um den Erdball die Menschen begeistern. Songs, die nicht nur ändern, welche Musik die Leute gerade hören — sondern auch, welche Kleidung sie tragen, wie sie sich bewegen und sich verhalten, was sie denken, wie sie leben. „Er verbeißt sich in eine gute Idee, lässt alles andere sausen und verbreitet diese Idee um die ganze Welt, bis ihr niemand mehr entkommt“, sagt Luke Wood, heute Präsident von Beats Electronics. Nach seiner eigenen Zählung hat Iovine das mit dem Weltverändern in den vergangenen Jahrzehnten viermal geschafft. Indem er (1) Snoop Dogg, Tupac und Dr. Dre zu Weltstars machte, (2) die Karrieren von Nine Inch Nails und Marilyn Manson betreute, (3) Eminem aufbaute und (4) die Firma Beats aus der Taufe hob, die Kopfhörer in Modeaccessoires verwandelte und in dem Segment in den USA aktuell einen Marktanteil von 34 Prozent hält.

Es gibt zwar heute noch Popstars, doch deren Musik bestimmt die Massenkultur nicht mehr. Womöglich brauchen wir in einer Zeit, in der Milliarden von Menschen weltweit gleichzeitig miteinander kommunizieren können und Apps über Nacht Millionen Kunden erreichen, auch gar keine Musik mehr, um die Welt zu verändern. Früher träumten Teenager davon, der nächste Jimmy Page zu werden, heute heißt ihr Vorbild Larry Page. Die jungen Menschen von heute werden eines Tages nostalgisch an den Tag zurückdenken, an dem sie das erste Mal Snapchat benutzt haben — und nicht den Moment, in dem sie zum ersten Mal einen Song wie Smells Like Teen Spirit gehört haben.„Wenn du heute einen Jugendlichen vor die Wahl stellst, ob er Musik oder Instagram will, wird er nicht die Musik nehmen“, sagt Iovine. „Es gab Zeiten, da wäre Musik für jeden zwischen 15 und 25 die erste, zweite und dritte Wahl gewesen. Das ist vorbei.“

Tech-Firmen bezeichnet Iovine jedoch als „ungeschickt in kulturellen Dingen“: Sie seien gut darin, messbare Informationen zu sammeln und zu teilen, aber unfähig, die weniger quantifizierbaren Werte Emotion und Geschmack zu verstehen. Die Musikindustrie wiederum, die umgekehrt einen linkischen Umgang mit neuen Technologien hat, ist weiter in der Krise: Ihre Einnahmen sind in den USA von 38 Milliarden Dollar im Jahr 1999 auf 15 Milliarden im Jahr 2014 gesunken. „Die vergangenen 15 Jahre, in der die Musikindustrie es versäumt hat, den Ball vorwärts zu spielen, werden die Kultur weiter prägen“, meint Iovine. „Gut möglich, dass das Genie des nächsten Prince in etwas völlig anderem liegt.“ Also: nicht im Musikalischen.

Das glaubt auch Dr. Dre: „Ich habe nicht das Gefühl, dass in dem Bereich gerade viel Spannendes passiert“, sagt er. „Viele der wahren Künstler haben derzeit kein Interesse daran, in einem Studio Musik aufzunehmen. Sie haben richtige Jobs.“

Iovine hofft nun, auf der alten Schallplatte Popkultur noch einmal einen neuen Song zu finden. Doch diesmal nicht, indem er einzelne Künstler fördert, sondern gleich die ganze Musikindustrie erneuert. Der Schlüssel dafür liege darin, die Kluft zu überbrücken, die zwischen den Welten der Kunst und der Technologie verlaufe. Darum hat er zusammen mit Dr. Dre die Firma Beats aufgebaut, die er sowohl als Unternehmen der Kultur- wie der Unterhaltungselektronik-Branche sieht. Und aus demselben Grund haben die beiden Beats dann 2014 für drei Milliarden Dollar an Apple verkauft, das Iovine für das einzige Tech-Unternehmen mit tieferem Verständnis für Popkultur hält. Apple Music ist nun im Grunde eine Wette darauf, ob es Iovine und seinem Team aus techbegeisterten Musikgeschmacksbeeinflussern gelingt, die emotionale Bindung zwischen Musikern und ihren Hörern wiederherzustellen. Darüber hinaus stifteten Iovine und Dre 2013 der University of Southern California (USC) 70 Millionen Dollar, um die Einrichtung The Jimmy Iovine and Andre Young Academy of Arts, Technology and the Business of Innovation ins Leben zu rufen. Ziel der Akademie ist es, eine neue Generation kreativer
Führungskräfte hervorzubringen, die gleichermaßen viel von den Künsten, Wirtschaft und Technologie verstehen. Dies, so Iovine, wird sein eigentliches Vermächtnis sein. „Sollte diese Akademie scheitern, dann betrachte ich die Musikindustrie als gescheitert, dann bleibt uns nichts mehr übrig, als um ein paar Freaks zu beten, die uns retten. Das ist aber kein Businessplan.“

An einem Nachmittag im Juni sitzt Iovine in seinem Büro in der Beats-Zentrale im kalifornischen Culver City und tauscht sich mit ein paar Ex-Kollegen von Interscope aus. Es ist zu diesem Zeitpunkt ein Jahr her, dass Apple Beats gekauft hat. Zumindest das Office-Dekor musste danach nicht groß angepasst werden: Das helle Holz, die silberglänzende Beleuchtung und die weißen Kunststofffronten erinnern an einen Apple-Store. Iovines Büro ist allerdings sehr Apple-untypisch vollgestopft, und zwar mit Memoribilia: In einer Ecke steht John Lennons Mellotron unter einem gerahmten, handgeschriebenen Brief von Tupac Shakur und einem signierten Patti-Smith-Plakat. Iovine hat ein Händchen dafür, erfolgreich Geschäfte mit komplizierten Persönlichkeiten zu machen: Lennon, Springsteen, Eminem, Steve Jobs.

Iovine traf Jobs im Jahr 2002, als er in seiner Funktion als
Interscope-Boss Gespräche mit den Chefs diverser Tech-Firmen führte: Iovine versuchte ihnen klarzumachen, welch große Bedrohung Tauschbörsen wie Napster und Kazaa für die Musikindustrie darstellten. Damals verzweifelte er schier an der Tatenlosigkeit der anderen Plattenfirmen, die partout keine eigenen Konzepte für die digitale Verbreitung von Musik entwickelten — sondern bloß ihre Anwälte gegen die Tauschbörsen losschickten. Doch auch die Treffen mit den Tech-Bossen stimmten ihn nicht wirklich optimistischer. Les Vadasz beispielsweise, seinerzeit CEO von Intel, beschied Jimmy Iovine damals schlicht: „Nicht jede Branche ist dafür gemacht, ewig zu überleben.“ 

Steve Jobs hingegen, das spürte Iovine, war anders: ein Techie, der nicht nur musikbesessen war, sondern auch kulturell etwas bewirken wollte. „Das war mir nach zwei Sekunden klar“, erzählt Iovine. „Leute sagen ja gern: ,Oh, ich mag Musik.‘ Ach echt? Sie mögen auch Spaghetti und Fleischbällchen, doch das macht sie noch nicht zu Köchen. Nur weil man etwas mag, heißt das nicht, dass man es auch begriffen hat. Bei Steve war das anders. Er verstand, was Popkultur ist und wie man sie voranbringt.“

Jimmy war damals vermutlich der wichtigste Mann im Musikgeschäft

Doug Morris, Sony-CEO

Zu jener Zeit versuchte Jobs gerade seinerseits, Plattenfirmen zu überzeugen, mit Apple zu kooperieren — und auf Itunes Alben nicht mehr nur als Ganzes anzubieten, sondern auch Einzeltracks für 99 Cent. Iovine wurde für Jobs in der Sache zu einem Verbündeten. „Jimmy war damals vermutlich der wichtigste Mann im Musikgeschäft“, sagt Sony-CEO Doug Morris. „Die Branche sah genau hin, wenn er etwas machte, denn in der Regel lag er goldrichtig.“ Für jemanden, der die Massenkultur verstand, war mit der Vorstellung des Ipod im Jahr 2001 klar: Dieses Stück Unterhaltungselektronik würde den Umgang mit Musik völlig verändern. Die Hardware (das Abspielgerät) wurde ein ebenso wesentlicher Teil der Musik-erfahrung wie die Software (der Song).

Auch Kopfhörer sind Hardware. Iovine und Dre kannten sich schon lange, bevor sie im Jahr 2006 Beats gründeten. Iovine hatte wenig über HipHop gewusst, als er Dres Album The Chronic 1992 zum ersten Mal gehört hatte, war aber gleich beeindruckt von Dres Leistung als Produzent — als einstiger Tontechniker konnte er die beurteilen. Mit Inter-scope hatte er dann lange die Platten von Dres Label Death Row vertrieben, als Iovine und Dre sich 2006 zufällig am Strand von Malibu begegneten. Dres Anwalt hatte ihn gerade dazu ermuntert, eine eigene Sneaker-Linie zu gestalten, doch Iovine schlug ihm aus einer spontanen Eingebung heraus vor, lieber Kopfhörer zu machen – eben Speakers statt Sneakers. Beide hatten sich schon länger darüber aufgeregt, dass jüngere Leute offenbar keinen Wert auf Klangqualität legten, weil sie die mitgelieferten Ohrstöpsel des Ipods benutzten. „Es machte mich wahnsinnig, dass meine eigenen Kinder sich auf diesen Kopfhörern meine Musik anhörten“, sagt Dre. „Ich dachte damals: ,So sollte das aber nicht klingen – dafür habe ich nicht all die Zeit im Studio verbracht.‘ Also beschlossen wir, etwas dagegen zu unternehmen.“ 

Die Klangperformance der Beats-Kopfhörer gehört zur schlechtesten auf dem Markt

Tyll Hertsens, Chefredakteur Innerfidelity.com

Wie gut die Kopfhörer von Beats nun wirklich sind, sei dahingestellt. Die Audiophilen-Gemeinde belächelt sie eher abschätzig. „Ihre Klangperformance gehört zur schlechtesten auf dem Markt“, sagte etwa Tyll Hertsens, Chefredakteur der Audio-Website innerfidelity.com, 2011 gegenüber der New York Times. „Sie sind wirklich außergewöhnlich schlecht.“
Iovine kontert, dass Geeks wie Hertsens das Wesentliche nicht begreifen: Sie argumentierten mit kalten technischen Daten, dabei seien Beats-Kopfhörer daraufhin entwickelt, wie sich Musik auf ihnen anfühlt. „Ich habe sechs Wochen gebraucht, um Refugee aufzunehmen (Tom Pettys Single aus dem Jahr 1980 – Anm. d. Red.)“, sagt Iovine, „und weitere acht Wochen, um den Song zu mischen. Wenn ich ihn heute auf unseren Kopfhörern höre, dann klingt der Song genauso aufregend, wie er klingen sollte.“ (Hertsens beurteilt neuere Beats-
Modelle übrigens wohlwollender.)

Völlig unumstritten ist dagegen die Popularität von Beats. Ähnlich wie der iPod verdanken die Kopfhörer ihren Erfolg ihrem Design und Marketing so sehr wie ihrer Technik. Iovine überzog die Medien mit Werbekampagnen und baute ein ganzes Netzwerk an hochkarätigen Testimonials auf, darunter der Basketballer LeBron James, der Footballspieler Richard Sherman, aber auch Popstars wie Nicki Minaj und Will.i.am. Letzterem gewährte Iovine sogar eine Teilhaberschaft an Beats, woraufhin der sich mit einem Namedropping im Black-Eyed-Peas-Hit Boom Boom Pow bedankte.

Heute sagt Iovine, dass er Beats Electronics 2006 bereits in der Hoffnung gegründet habe, dass die Firma irgendwann von
Apple übernommen würde. Als er dann sah, dass Itunes im Vergleich zu Spotify und Rdio ins Hintertreffen geriet, machte er Anfang 2014 seinen eigenen Streaming-Dienst Beats Music auf. Mit 300 000 Abonnenten wurde der für sich genommen zwar kein echter Erfolg, erfüllte aber schlussendlich das vorrangige Ziel: Am 28. Mai 2014 gab Apple bekannt, das gesamte Unternehmen Beats für drei Milliarden Dollar zu übernehmen sowie Iovine und Dre an Bord zu holen. Dass Apple ihn dann bevollmächtigt habe, mit Apple Music einen eigenen Musikdienst mit seinem Team um Trent Reznor als Chief Creative Officer aufzubauen, sei ein Beweis dafür, dass die Firma die Vorstellungen ihres Gründers Steve Jobs in Ehren halte, sagt Iovine: „Apple hat die besten Leute der Popkultur. Ob das nun ein Erfolg wird oder nicht — es ist der Anfang dessen, wie die Zukunft aussehen sollte.“

Es war ein bisschen, als würde man bei der Mondlandung zusehen

Charlie Warzel, Buzzfeed

Tatsächlich scheint Apple Music sowohl ein Blick in die Zukunft zu sein als auch in die Vergangenheit. Als der Dienst am 30. Juni startete, erzielte die größte Aufmerksamkeit ausgerechnet Beats 1, das eigentlich altmodische Radioprogramm. Und nicht die vielen anderen neuen Features: die kunstvoll zusammengestellten Playlists etwa oder die im Stil von Pandora algorithmisch gesteuerten Stationen. Wie sich herausstellte, war die mit Abstand überzeugendste Funktion von Apple Music, mit Beats 1 eine gemeinschaftliche, welt-umspannende Musikerfahrung zu kreieren – also exakt das, was einst mal MTV geschafft hatte. „Es war ein bisschen, als würde man bei der Mondlandung zusehen“, schrieb Charlie Warzel von Buzzfeed.

Einige Monate nach dem Start bleibt abzuwarten, ob Musikfans sich heute von Iovines Idee einer von oben kuratierten Popkultur angesprochen fühlen. Denn Kurator ist ja auch nur ein anderes Wort für gatekeeper, und was das Netz von denen hält, wissen wir alle. Zwar kennt Iovine die psychologische Verfasstheit der Branchen sehr genau: „In der Unterhaltungsindustrie sind alle verzweifelt unsicher, während die Leute im Silicon Valley ein wenig zu selbstbewusst scheinen“, sagte er 2014. Das Debakel, das Apple erlebte, als es Itunes-Usern das U2-Album Songs Of Innocence ungefragt aufdrängte, gab ihm ungewollt recht. Selbst bei Apple, räumt Jimmy Iovine ein, sei es nicht immer einfach, die Welten von Tech und Pop zu verbinden. 

Im dritten Stock des Ronald Tutor Campus Center auf dem USC-Campus mitten in Los Angeles ist die Zukunft der Musikindustrie eine Hausaufgabe. Hier ist seit 2014 das Zuhause der Iovine und Young Academy, hier beißen sich seither junge Leute wie Matt Stern an Fragen die Zähne aus, auf die die Musikindustrie selbst kaum Antworten hat. Sterns Biografie: Er sammelte mit einer von ihm initiierten Kampagne 10 000 Dollar zum Bau von Schulen in Afrika und macht als DJSterntables Musik. Seine Mitstudierenden sind nicht weniger beeindruckend: Montana Reed hat eine Firma, die Gartenmöbel aus Fundstücken baut, und eine weitere für Gebäudeinstandhaltung; Arjun Mehta ist Mitbegründer von stoodle.org (aufgekauft von der CK-12 Foundation) und PlaySpan (aufgekauft von Visa); Caitlin Tran hat als Beraterin für Best Buddies gearbeitet, einer internationalen Non-Profit-Organisation. 

Zwar belegen alle von ihnen unterschiedliche Kurse in unterschiedlichen Fachbereichen, doch den Kern des Programms bilden Gemeinschaftsprojekte. Alle zwei Wochen bekommen die Studierenden eine neue Challenge: Im laufenden ers-ten Studienjahr entwickelten sie Ideen für tragbare medizinische Geräte, ein umfassendes Integrationskonzept für Skateboarding auf dem USC-Campus sowie Methoden zur Digitalisierung kostbarer Kulturartefakte.

Ich dachte: Da läuft doch etwas grundlegend falsch

Jimmy Iovine

Ihre allererste Aufgabe jedoch bestand darin, sich vorzustellen, wie Musik wohl in zehn Jahren konsumiert werden wird. Bei den Gruppenpräsentationen wurden unter anderem Konzepte für kabellose Ohrstöpsel zum gemeinsamen Hören vorgestellt und eine Plattform, die es Künstlern ermöglichen soll, ihre Alben einem A/B-Test zu unterziehen. Einige Studenten regten zudem einen virtuellen Marktplatz an, auf dem Musiker direkt mit ihren Fans inter-agieren können – nicht unähnlich der Connect-Plattform von Apple Music. „Während Jimmy seine Keynote hielt (auf der Apple-Entwicklerkonferenz im Juni – Anm. d. Red.), haben wir gescherzt, wann er wohl der Iovine and Young Academy danken wird“, sagt Stern. „Da gab es eine Menge Parallelen.“

Iovine hatte die Idee zur Gründung dieser Akademie, weil er fand, dass die meisten Hochschulabsolventen sich während des -Studiums fälschlicherweise zu stark spezialisieren mussten. „Als wir nach Personal für Beats suchten, waren die Bewerber entweder reine Techniker oder kannten sich nur mit Musik aus“, sagt Iovine. „Ich dachte: Da läuft doch etwas grundlegend falsch. Denn natürlich verstehen die Leute, die bei Beats das Sagen haben, beide Aspekte: Trent -Reznor, Will.i.am … Es gibt einfach nicht genug von ihnen.“ Also begann Jimmy Iovine, nach einer Universität Ausschau zu halten, die ein neuartiges Programm unterstützen würde, und entschied sich ziemlich schnell für die USC. 

Erst recht, nachdem er Erica Muhl kennenlernte, die Iovine „ein verdammtes Wunder“ nennt. Muhl, Komponistin, Dirigentin und Leiterin der Roski School of Art and Design an der USC, half dabei, ein ambitioniertes Curriculum auszuarbeiten. Dafür wurde Lehrpersonal verschiedener Fach-bereiche zusammengezogen, aus den Ingenieurs- und Wirtschaftswissenschaften ebenso wie von den Kunstschulen. Vier Jahre dauert das fakultätsübergreifende Studium, an dessen Ende viele der Studierenden bereits ihre eigene Firma gegründet haben sollen. Die Probleme der Musikindustrie mögen die Akademie-gründung inspiriert haben, aber das übergeordnete Ziel ist weiter gefasst: Den Studierenden sollen einerseits Tech-Kompetenzen vermittelt werden, andererseits werden sie dazu ermutigt, ihre eigene Kreativität zu erforschen. 

Ein Blick in die „Garage“, einen kreisrunden, zur Werkstatt umgewidmeten Klassenraum, macht klar, dass es funktioniert. Die Studierenden demonstrieren stolz ihre Gruppenprojekte, etwa den Papp-Prototypen eines mobilen Druckers; ihre Arbeitsplätze sind übersät mit Monitoren, wo sie an ihren Skills im Videoschnitt -feilen; es gibt 3D-Drucker, Laser-Cutter, Metallsägen. Das Ganze vermittelt den Anschein einer bestens ausgestatteten Montessori-Schule. Das sei kein Zufall, sagt Erica Muhl. Ihr Sohn besuchte als Junge eine Schule, die interdisziplinäres Denken propagierte. Um den Schülern wechselnde Blickwinkel zu ermöglichen, waren die Sitzordnungen in den Klassenzimmern um eine zentrale Plattform -herum arrangiert. In den Büros der neuen Apple-Zentrale oder -denen von Pixar in Emeryville sind die Mitarbeiter übrigens genauso platziert.

Da draußen gibt es eine neue Generation von Kids. Eine Generation, die Technologie als Kulturgut versteht.

Erica Muhl, Academy-Direktorin

Mit das Erste, was Iovine ihr bei den Academy-Planungen -gesagt habe, erzählt Erica Muhl, sei Folgendes gewesen: „Da draußen gibt es eine neue Generation von Kids — eine Generation, die Technologie als Kulturgut versteht und die keine starren Grenzen zwischen Kunst und Technik mehr zieht.“ Dieses Jahr haben sich mehr als 300 junge Menschen auf die 22 Studienplätze beworben. Einige hätten Angebote von Elite-Universitäten abgelehnt, um die Akademie besuchen zu können, sagt Muhl. Und dass der Erfolg des Programms nicht nur davon abhänge, eine gute Ausbildung anzubieten, sondern auch davon, vorher die richtigen Studenten auszuwählen. Was das betrifft, ist die Akademie einer Plattenfirma gar nicht so unähnlich: „Jimmy sammelt kreative Köpfe“, sagt Will.i.am. „Was will er mit einer Schule voller Programmierer, Designer und Entwickler? Ich glaube, damit zeigt er, dass er immer den richtigen Riecher dafür hat, was als Nächs-tes kommt. Und das wird sicher keiner sein, der Songs schreibt.“

Natürlich klingt das alles furchtbar hip: eine Akademie, die nach einem Hip-Hop-Superstar benannt ist, mit Prominenten wie dem Snapchat-Gründer Evan Spiegel als Gastdozenten und Werbematerialien, in denen steht, man mache dort einen Abschluss im Fach „Betriebsstörung“. Iovine, der vier Jahrzehnte Erfahrung in der Kunstform des Ego-Managements von Rockstars hat, fürchtet sogar selbst, den Studenten könne der ganze Glamour zu Kopfe steigen. Vergangenes Jahr lud er die Studierenden zu sich nach Hause zum Grillen ein, als Überraschungsgäste kamen Will.i.am und Dr. Dre. „Wenn ich das rückgängig machen könnte, würde ich es tun“, sagt Iovine heute. „Ich möchte die Köpfe dieser Kids ja nicht vergiften.“

Doch Menschen einzuwickeln, sie massenhaft zu verführen: Plattenkäufer, Kopfhörerträger und nun Streaming-Abonnenten – das ist Jimmy Iovines Kunst. So verändert er die Kultur. Indem er seine Ideen – egal ob früher Musik oder heute eine neue Bildungsphilosophie – mit allen Mitteln ins öffentliche Bewusstsein rückt. Seine Methoden mögen sich geändert haben. Sein Glaube ist ungebrochen. 

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