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Gadget-Kolumne / Anja Rützel über größenwahnsinnige Technologie-Proleten

von Anja Rützel
Man kennt die Protzelsen und Prahlehanseln aus ältlichen Sketchen, Werbespots für Bausparverträge oder vielleicht tatsächlich aus dem Neureichenhäuschen nebenan. Jene Vögel, die zahnreich grinsend ihr neues Dickauto so breit auf dem Bürgersteig parken, dass man den eigenen Beulewagen um die Ecke abstellen muss; die mit ihren Prunk-Bugaboos so festlich durchs Viertel paradieren, als stünde die Königin von Saba vor den Toren der Stadt; und die von allen Dingen nie die schönsten oder praktischsten anschaffen — sondern immer nur die teuersten.

Sie scheinen wie ein Klischee aus den American-Psycho-80ern: Menschen, die mit ihrem Reichtum protzen und vor Ärmeren mit ihren Geldbündeln winken. Dass sich das nicht gehört, dumm ist und ordinär, darauf kann man sich leicht einigen. Wie steht es aber mit dem Tech-Wissen und den neuesten Gadgets, die nicht unbedingt teuer sind, dafür aber unfassbar innovativ und ahead? Muss man die auch vor technisch unbedarfteren Menschen herunterspielen, damit die sich nicht hinterwäldlerisch fühlen, wenn man sie und ihr klappriges Fahrrad auf seinem Hovertrax überholt? Also nicht nur physisch, sondern gleich auch noch metaphorisch?

Käme es zu einem Kampf der Protzgiganten mit Porschloch in der einen, Google-Glasshole in der anderen Ecke: Wem würde man die Daumen halten? Nun könnte der Tech-Freund anführen, dass er durchaus einen aufklärerischen Anspruch habe. Den Trollos, die immer noch mit den alten Nokia-Knochen hantieren, müsse doch irgendwer erklären, was in den letzten 15 Jahren so passiert sei, während sie irgendwo tiefgekühlt in der Kältekammer eines verrückten russischen Wissenschaftlers gefangen waren. Das stimmt allerdings nur so lange, bis die freundliche Demonstration zum missionarischen Vortrag gerät, der je nach Ausprägung des Sendungsbewusstseins zwischen grinsepenetranter Avon-Beraterin und erpichtem Eingeborenen-Bekehrer schwanken kann.

Die schlimmsten Gadget-Ausführer sind allerdings jene, die ihre Pionierbereitschaft auch noch als Opfer verkaufen. Und in gespielter Klage scheinbar beiläufig ihre Apple Watch aufblitzen lassen: Ach ja, das Ding hier, MUSS ich leider tragen, hab ich von meinem Chef bekommen, voll nervig eigentlich.

Gnarf, jetzt habe ich mir tatsächlich Rotwein über mein iPad 2 Gold History Edition geschüttet! #Schussel.

Ein typischer Humblebrag

Prahlerei wird tatsächlich noch unerträglicher, wenn sie mit scheinbarer Dezenz verquickt wird: Schaut her, was ich Tolles habe — ist aber nichts Besonderes! Ich besitze so geile Sachen — aber ich bin so bescheiden! Der leider früh verstorbene Harris Wittels, unter anderem Produzent der lustigen Serie Parks And Recreation, prägte für diese Spezies den Begriff humblebrag: Typen oder Typinnen, die zugleich Papst und Gegenpapst sein wollen, den Hype predigen und ihn negieren.

Humblebrags twittern Dinge wie „Gnarf, jetzt habe ich mir tatsächlich Rotwein über mein iPad 2 Gold History Edition geschüttet! #Schussel“ und sind das zeitgenössische Äquivalent zu Schmierlappen, die früher mal „versehentlich“ ihren Autoschlüssel fallen ließen, wo es gerade sozial günstig schien. Hopperla! Da mag man doch fast die unverhohlenen Angeber lieber. Fragt sich aber, welche Leute das sind, die sich für ihre Protzangelegenheiten extra die App von BRAG Selfie laden, einer Foto-Community, die ungefähr wie Instagram funktioniert — allerdings ausdrücklich auf jedwede Anfälle von Bescheidenheit verzichtet. Prahlerei soll endlich gesellschaftlich akzeptiert werden, so das Ziel der BRAG-Gründer.

Wenn jemand damit prahlt, dass er über mehr Kapital verfügt als der andere, bleibt das vermutlich immer unsympathisch. Ganz gleich, um welche Art von Kapital es sich handelt. Ob um schnödes ökonomisches oder soziales wie etwa ein imposantes Netzwerk voller Dickfische oder eben das technisch-kulturelle Kapital des Early Adopters: Nobody likes a show-off. Und es ist völlig egal, ob er seine neue Finca nun auf der Apple Watch oder einem speckigen Fotoabzug präsentiert.

Anja Rützel hat prinzipiell ein Herz für Prahlhänse, wenn sie etwas Spektakuläres tun. Ihr liebster Angebe-Akt: Salvador Dalí führte 1969 einen Ameisenbär an der Leine durch Paris. Hier geht es zur ihrer vergangenen Kolumne. 

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