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Diese Filme wurden nie gedreht — aber jetzt kann man sie hören!

von Caroline Winter
Es gibt zahllose brilliante Drehbücher, die seit Jahren in Schubladen von Produzenten und Studioverantwortlichen liegen — eigentlich für immer verloren. Franklin Leonard will diese unverfilmten Meisterwerke davor retten, dass Hollywood sie vergisst. Mit einem Podcast.

Cape motherfucking Cod, außen, sonniger Tag, ein Strandparkplatz, vollgestopft mit teigigen Touristen in Badesachen … Mit dieser Schauplatzschilderung beginnt das Drehbuch von Balls Out, einer derben Komödie aus dem Jahr 2009 um einen gescheiterten Versicherungskaufmann, der durch eine Nahtoderfahrung herausfindet, dass es kein Leben nach dem Tod gibt. Daraufhin startet er einen maßlosen Feldzug mit dem Ziel, eine Beförderung, ein neues Auto und die hübsche Kollegin aus seinem Büro zu ergattern.

Geschrieben haben das Skript einst Malcolm Spellman und Tim Talbott, in Hollywood auch als Autorenduo Robotard 8000 bekannt. Die Sache ist bloß die: Balls Out wurde nie verfilmt. Das Drehbuch liegt seit sechs Jahren in den Schubladen von Studioverantwortlichen und Produzenten, und keiner von denen hat es da je wieder herausgeholt. Bis Franklin Leonard kam. Der hat es jetzt immerhin vertont. Für seinen neuen Podcast The Black List Table Reads hat er Schauspieler das komplette Skript szenisch einlesen lassen wie ein Hörspiel.

Der 36-jährige Leonard ist als Schutzheiliger für Drehbuchautoren in Hollywood bekannt, seitdem er 2004 die Annual Black List erfand. Damals arbeitete Leonard als Assistent in einer Künstler­agentur und hatte die Aufgabe, für Leonardo DiCaprio passende Stoffe zu finden. Das tat er auch im Urlaub, und so bat er vor einer Reise mal einige Branchen-Insider, ihm unter allen ihnen bekannten, aber bis dahin nicht verfilmten Skripten die bes­ten zu schicken. Als Gegenleis­tung würde er ihnen die Gesamt­liste zurücksenden, so hätten alle was von Leonards Urlaubslektüre.

Mittlerweile ist die Annual Black List eine Institution, für die jedes Jahr Hunderte Filmleute Vorschläge einreichen. „Wir sind an kleinen, aber gut geschriebenen Skripten genauso interessiert wie an möglichen Kassenschlagern“, sagt Leonard. Und ganz Hollywood liest seine Liste: Von den 987 Drehbüchern, die es in den vergangenen zehn Jahren darauf geschafft haben, wurden 295 verfilmt, darunter die von Argo, The Imitation Game und Slumdog Millionaire. Insgesamt 223 Oscar-Nominierungen und 43 Oscar-Trophäen haben Filme von der Liste eingeheimst. Daran verdient Leonard nichts. „Durch uns werden die Stoffe nicht besser, also halten wir uns da raus“, sagt er. Das Ziel sei nur, dass mehr gute Bücher die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen.

43 Oscars gab es bereits für Filme, die mal auf Leonards Black List standen. Die aus seinem Podcast aber müssen erst mal überhaupt gedreht werden.

Trotzdem erwuchs aus Leonards Liste im Laufe der Zeit ein eigenes kleines Unternehmen mit fünf Angestellten. Der jährlichen schwarzen Liste stellte Leonard bereits blcklst.com an die Seite, eine Plattform, auf der sich Autoren und Produzenten miteinander vernetzen können. Drehbuchschreiber bezahlen 25 Dollar im Monat dafür, dass ihr Skript dort vertreten ist, und können es für 50 Dollar professionell beurteilen lassen. Mehr als 20 000 wurden bereits auf der Seite hochgeladen. Studios wie Warner Bros. und Disney haben schon Autoren direkt von der Seite weg angeheuert, andere haben es von dort mit ihren Drehbüchern zumindest auf die Annual Black List geschafft. Und gerade ist bei HBO die erste Verfilmung eines Stoffes gelaufen, die von der Bezahlplattform stammt: Nightingale. David Oyelowo, der für seine Darstellung von Martin Luther King in Selma für einen Oscar nominiert war, spielt die Hauptrolle, koproduziert wurde Nightingale von Brad Pitt. Der Autor hingegen ist ein bis dahin völlig Unbekannter: Der 56-jährige Frederick Mensch hatte zuvor noch nie ein Drehbuch geschrieben.

Für seinen Podcast, der im April auf der Kulturwebsite wolfpop.com mit Balls Out startete, hat Leonard das Autorenduo in ein Radiostudio zum Interview gebeten. Spellman und Talbott erzählen dort von der düsteren Zeit, in der das Drehbuch entstand. „Wir waren am Boden“, sagt Spellman. Ende des vergangenen Jahrzehnts waren den beiden nach ein paar durchaus erfolgreichen Jahren plötzlich die Aufträge ausgegangen. „Wir haben daraufhin immer extremere Sachen geschrieben“, erinnert sich Spellman. Balls Out geriet dem Duo gar derart heftig, dass ihre Agenten sich zunächst weigerten, das Skript herumzuschicken, weil es ihnen zu krass war. „Mein Manager meinte, ich müsste eine Sondergenehmigung von meinem Chef bekommen, um etwas derart Obszönes zu verbreiten“, sagt Talbott.

Also gestalteten die beiden Schreiber eine rudimentäre Website, „die aussah, als hätte sie ein zurückgebliebener Roboter gemacht“ – daher der Name Robotard 8000 –, und stellten das Buch ins Netz. Ein paar Studioleute entdeckten es und reichten es herum. Innerhalb von neun Monaten gefiel Balls Out genügend Hollywood-Executives, dass das Skript auf der Annual Black List landete. Inzwischen ist es von einer Produktionsfirma immerhin optioniert worden. Doch das garantiert längst nicht, dass es auch produziert wird, Optionen werden in Hollywood oft genug am Ende nicht gezogen. Vielleicht aber sorgt The Black List Table Reads nun ja für den letzten Push. Es könnte natürlich auch sein, dass der Podcast das Gegenteil bewirkt: Schließlich kennt nun jeder Zuhörer schon die Gags aus Balls Out.

Zumindest ist der Podcast ein Versuch, Filmfans in den Auswahlprozess einzubeziehen, welche Drehbücher gekauft, verfilmt und gezeigt werden. Jeden Monat wird Leonard dafür ein neues aussuchen. Die Schauspieler, die es live vor Publikum einsprechen, sind durchaus bekannt, Lauren Lapkus, Paul Scheer und Jason Mantzoukas sind darunter und einige andere, die in Serien wie Orange Is The New Black und Parks And Recreation mitspielen. Die Autoren des vorgestellten Skripts behalten die Rechte an ihren Stoffen und kriegen 50 Prozent der Werbeerlöse. „Kommt ihre Episode gut an, kann sich das für die Autoren sofort auszahlen“, sagt Leonard. Außerdem verkauft er Tickets für die Live-Lesungen.

Die Entscheidung für Balls Out lag auf der Hand, meint Leonard: „Es ist eine sehr testosteronge­triebene Komödie und gleichzeitig eine brillante Satire darüber.“ Auch wegen dieses Urteils freuen sich Talbott und Spellman, von Leonard für den Podcast ausgewählt worden zu sein – und empfinden es nicht als Makel, dass Balls Out noch unverkäuflicher wirken könnte. „Alles, was einen mit der Black List in Verbindung bringt, ist gut“, sagt Spellman. Und Leonard freut sich auch: darüber, einen neuen Kanal gefunden zu haben für das, was ihm am Herzen liegt – gute Drehbücher.

Eines Tages will er auch selbst als Produzent welche verfilmen. Doch im Moment bleibt es beim Podcast. „Das Medium fasziniert mich, weil man dafür nicht gleich 100 Millionen Dollar braucht.“ Und ein gutes Hörspiel ist ja immer noch besser als ein übles Hollywood­-Machwerk, das womöglich beim Film-Podcast besprochen wird, den Paul Scheer betreibt. Dessen Titel fragt fassungslos: How Did This Get Made? 

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