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Niemand weiß, was ein Showrunner ist — Steven DeKnight von „Daredevil“ erklärt es euch im Interview

von Dirk Peitz
Steven DeKnight war Showrunner der ersten Staffel der Netflix-Serie „Daredevil“. WIRED Germany sprach mit ihm darüber, was das Fernsehen vom Kino gelernt hat — und was das Kino heute von Serien lernen könnte.

WIRED: Showrunner zu sein, also der Gesamtverantwortliche für eine Fernsehserie, scheint der neue Traumberuf für Filmleute zu sein. Wie sind Sie zu dem Job gekommen?
Steven DeKnight: Ich bin 2000, 2001 zum Autorenpool von Joss Whedon (dem Erfinder und Showrunner unter anderem von „Buffy the Vampire Slayer“ und „Angel“, d. Red.) gestoßen. Bei US-Serien gibt es seit langem die Tradition, dass sie von einem Autorenpool geschrieben werden, mindestens einer Handvoll Leute. In Europa ist das anders, da verfassen eher Einzelne die Drehbücher für ganze Serien. Ich bin dann von Joss Whedon zum Showrunner regelrecht ausgebildet worden. Er wollte, dass seine Autoren den gesamten Prozess des Serienmachens verstehen und begleiten, vom Casting über die Drehs bis zum Schnitt. Und er gab einigen von uns die Chance, zum ersten Mal Regie zu führen, auch mir. Wir sollten so viel wie möglich lernen, damit wir zugleich bessere Autoren werden. 

WIRED: Was macht man als Showrunner eigentlich genau?
Steven DeKnight: Man erlaubt in erster Linie den anderen Beteiligten, ihren Job zu machen. Ich zum Beispiel bin schlicht kein Kameramann. Ich kann einem Kameramann lediglich erklären, was für eine filmische Idee ich von einer Szene habe. Doch ich möchte, dass er die dann nicht bloß sklavisch umsetzt, sondern eine bessere Lösung findet, als meine ursprüngliche es war. So hat es auch Joss immer gehalten: Er hatte die Ideen und war sehr darin involviert, sie umzusetzen — doch er gestattete seinen Mitarbeitern, ihre jeweiligen Talente zur Entfaltung zu bringen. Das ist das Geheimnis eines guten Showrunner, glaube ich. Das Schlimmste, was man als solcher tun kann, ist zu versuchen, sich in kleinste Details einzumischen. Da kann man nur scheitern.

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WIRED: Ist der Showrunner heute das, was der Auteur, der Autorenfilmer, früher fürs Kino war? Der Künstler mit der großen, verzeihen Sie den Ausdruck, Vision?
Steven DeKnight: Der Auteur ist schon etwas sehr Kino-Spezifisches. Man muss sich nur ein paar Minuten einem Film von Martin Scorsese ansehen und weiß, wer der Regisseur ist. Dafür muss man nicht erst den Abspann lesen. Man erkennt die visuelle Handschrift. Serien hingegen gehen eher von den Autoren aus und diverse Regisseure inszenieren dann die Episoden einer Staffel. Die sind in einer eher dienenden Funktion, wenn man so will. Doch natürlich braucht auch eine Serie eine visuelle Handschrift, eine Stimme, und die gibt eben der Showrunner vor. Im Unterschied zum Kino kann man in einer Serie aber noch eine Reihe weiterer Stimmen und visueller Handschriften hinzufügen, was ich persönlich gut finde, denn ein produktiver Widerstreit von Meinungen macht etwas immer besser. Doch am Ende muss der Showrunner stets ja oder nein sagen. Sonst versinkt alles im Chaos. 

Das Schlimmste, was man als Showrunner machen kann, ist, sich in Kleinigkeiten einzumischen.

Steven DeKnight

WIRED: Sind Fernsehserien heute 
das bessere Kino?
Steven DeKnight: Es ist ein Geben und Nehmen. Das Fernsehen leiht sich nach wie vor viel vom Kino, das darf man nicht vergessen. Aber das Kino reagiert natürlich auch aufs Fernsehen, das stimmt. Da hat sich einiges verändert, früher blickte das Kino aufs Fernsehen herab — diese Zeiten sind definitiv vorbei. Pay-TV-Sender wie HBO und nun Streaming-Dienste wie Netflix und Amazon Instant Prime haben die Verhältnisse verändert. Nicht nur Schauspieler, auch Autoren und Regisseure wechseln nun zumindest zeitweise die Seiten und arbeiten fürs Fernsehen. Aber das Fernsehen verdankt dem Kino weiterhin unglaublich viel. Auch bei „Daredevil“ ist das so, da gibt es eindeutige Bezüge zu „Taxi Driver“, „Hundstage“, „French Connection“, den klassischen harten New-York-Filmen also … Aber es gibt auch neuere Bezüge, in der zweiten Folge etwa sieht man einen Kampf in einem Flur, und da spielen wir auf die indonesischen „The Raid“-Filme von Gareth Evans an und auf „Oldboy“ des Südkoreaners Park Chan-wook. 

WIRED: Was sollten Kinofilme von Serien lernen? Dass sie zum Beispiel Charaktere nicht so tief entwickeln können, weil ihnen dafür schlicht die Zeit fehlt — und sich deshalb lieber auf andere Dinge konzentrieren sollten?
Steven DeKnight: Filme und Serien sind zwei derart unterschiedliche Sachen, dass man sie nur schwer vergleichen kann. Es ist richtig, bei Serien hat man den Luxus der Zeit. Doch bei einem Film kann man unvergleichlich prägnant und dringlich erzählen. Nehmen wir ein klassisches Beispiel wie eben „Hundstage“ von Sidney Lumet mit Al Pacino aus dem Jahr 1975: Dieser Film zeigt einem alles, was man über die Figuren wissen muss, und er tut es auf eine geradezu klinische, chirurgisch präzise Weise. Nach zwei Stunden ist alles gesagt, was zu sagen war. Filme verzeihen aber auch wesentlich weniger Fehler als Serien, ein Film kann sich in seinen zwei Stunden nicht eine einzige falsche Szene leisten, nicht eine falsche Wendung. Sonst ist er hinüber. Eine Serie hingegen hat genug Zeit, sich von falschen Entscheidungen noch zu erholen. Dennoch muss ich zugeben, dass ich bei der ersten Staffel von „Daredevil“ durchaus Filmgedanken hatte: Ich habe mir vorgestellt, ich würde einen 13-stündigen Film drehen. 

Filme verzeihen wesentlich weniger Fehler als Serien. 

Steven DeKnight

WIRED: Und nun laufen schon die Vorbereitungen für die zweite Staffel.
Steven DeKnight: Ja, doch die werde ich leider nicht betreuen, zwei meiner Autoren übernehmen, Doug Petrie und Marco Ramirez.

WIRED: Wieso?
Steven DeKnight: Ich werde einen Film drehen, einen Psychothriller. Wie gesagt: Es ist ein Geben und Nehmen zwischen Filmen und Serien und bei mir führt der Weg nun einstweilen zurück zum Kino.

Während Steven DeKnight an ein Geben und Nehmen zwischen TV und Kino glaubt, will Netflix-Chef Reed Hastings das Kino erobern. Im Interview erklärt er, wie er die weltweite Revolution des Fernsehens anführen möchte. 

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