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Techno: Der neueste Retro-Trend

von Lars Gaede
Immer, wenn im Pop die Ideen fehlen, blickt man einfach zurück. Das neueste Opfer des Retro-Wahns: der Techno

Ein bleicher, etwas unbeholfen wirkender junger Mann steigt aus einer Stahlluke, hinter der Bässe wummern. Wald. Nebel. Verstrahltes Stapfen ins Morgenlicht. Cut. Paul, der blasse Junge, und seine Clique lassen sich immer von diesen Frühe-90er-Untergrund-Raves verschlucken: am Ende von S-Bahn-­Linien, in Höhlen, an Lagerfeuern. Ihr Leben: Cherchez la fête! Irgendwo in Paris. Cut. Als Teil des DJ-­Duos Cheers beginnt Paul Garage auf Privatpartys aufzulegen, im Radio, in Clubs, immer größeren. Cut. Cheers auf dem Zenit: eigene Partyreihe! New-York-Tour! Ruhm, Konfetti, zwei Nasen tanken Koks!

Doch so schnell, wie es mit der Partykarriere bergauf ging, so qualvoll langsam geht es dann gen Abgrund. Und während sich der Film, um den es hier geht, dabei genauso hoffnungslos zwischen ewig gleichen Frauen-, Party- und Drogengeschichten verliert wie sein Protagonist, wird immer klarer, dass es der Regisseurin Mia Hansen-Løve mit Eden (deutscher Kinostart: 30.4.) wohl nie darum ging, eine möglichst spannende Geschichte zu erzählen. Sondern eine möglichst wahre.

Das macht Eden nicht packender, aber trotzdem sehr interessant. Was hier als Spielfilm getarnt daherkommt, ist ein quasidokumentarischer Einblick in die wilden ­Anfänge der französischen Techno- und Elektroszene. Diese hat die Regisseurin als Raverin in den frühen 90ern genauso hautnah mit­erlebt wie ihr Bruder Sven Løve, dessen Leben als (Ex-)DJ des einst tatsächlich existierenden Duos Cheers die Vorlage für den Plot von Eden lieferte – und der konsequenterweise auch gleich am Drehbuch mitschrieb.

So inszenieren die Geschwister Løve ihren Film nicht wie gute Geschichtenerzähler fürs Kino, sondern eher wie gewissenhafte Chronisten für den History Channel: Die original Partylocations von damals, die Musik, die aufgelegt wird, die Fanzines und Flyer, die Looks der Leute und ihren Vibe auf den Tanzflächen haben die beiden genauso akribisch rekonstruiert und nachgestellt wie die Auftritte der damals tatsächlich präsenten Sänger und Produzenten. Allen voran Daft Punk, die anders als ihre Kollegen von Cheers zu Weltstars werden, aber – Running Gag im Film – trotzdem immer von den Türstehern der Clubs abgewiesen werden. Fluch der Maske: Am Gesicht erkennt sie eben niemand.

„Eden“ ist aber mehr als bloß ein biografisch motiviertes Projekt der Familie Løve: Der Film funktioniert wie ein sorgsam sortiertes Bewegtbilderbuch für alle, die damals dabei gewesen sind (oder zumindest so tun) und im Kino noch mal detailgetreu ihre goldene Zeit an sich vorbeiziehen lassen möchten: ­Ellenbogenpikser zum Sitznachbarn – „Weißt du noch?“

Damit steht Eden für eine ganze Reihe von aktuellen Platten, Büchern, Ausstellungen und Partys, die einen historisierenden Blick auf den Techno und seine Vorgänger werfen. Man kann quasi in Echtzeit dabei zusehen, wie die elektronische Musik gerade umgedeutet wird: vom musikalischen ­Genre der Gegenwart – dem einzigen, in dem überhaupt noch neue, spannende Sounds ausprobiert werden – zur Projektionsfläche für Nostalgiker und Vergangenheitsfetischisten. An sich ist das logisch: Mit der elektronischen Musik passiert nun eben auch das, was andere popkulturellen Kräfte wie Soul und Rock ’n’ Roll schon lange hinter sich haben: Sie wird zur Geschichte erklärt, aus der eigenen Gegenwart gelöst. Techno wird retro. Und damit als letzte aller musikalischen Entwicklungen zur Ressource für alle, die begriffen haben, dass man im Pop vom Blick zurück schon immer am besten leben konnte.

Was sagen uns die Geschichten, die hier geschrieben werden? Lernen wir irgendetwas, das uns hilft, die Musik besser in die Zukunft zu schieben?

In Berlin tanzt man auf Partys zu sogenanntem Retro-Techno (das galt mal als Oxymoron). Der Elektronikpionier Giorgio Moroder unterbricht den Ruhestand und produziert doch noch mal ein neues Album: 74 Is The New 24 (das noch 2015 erscheinen soll), komponiert Musik für ein Videogame und beginnt als Mittsiebziger noch eine globale DJ-Karriere. Weil es seit ­seinem „And then I put a click“-­Monolog auf der letzten Daft-Punk-Platte selbst 19-Jährigen ein An­liegen zu sein scheint, den gro­ßen Meister noch mal live zu sehen (und dafür viel Geld zu ­bezahlen) – auch wenn sie ihn vorher gar nicht kannten. Moroder nimmt das leicht verwundert, aber erfreut zur Kenntnis: „Das Auflegen macht ja schon auch Spaß, wenn dann alle so mitgehen.“ Man sieht ihn auf You­tube-Videos seiner Auftritte freundlich-amüsiert hinter seinem DJ-Pult. Die Crowd natürlich: Arme hoch!

Der deutsche DJ-Pionier Westbam, eben 50 geworden, erzählt die Geschichte des Techno konsequenterweise gleich an sich selbst. Die Macht der Nacht heißen seine gerade erschienen Memoiren, in denen man Maximilian Lenz aus Münster dabei verfolgen kann, wie er sich vom Wave liebenden Teenagepunker mit vaselineverstärkter Stachelfrisur in Westbam verwandelt.

Das ist in Teilen amüsant, weil Westbams Leben nicht gerade arm ist an irren Anekdoten: Da sind die Hippieeltern, die alte Dinge sammelten wie zum Beispiel eine ausrangierte Liege aus Klinikbeständen, was in der Nachbarschaft zu dem Gerücht führte, dass diese „bei spookigen Hippie-Séancen und Teufelsbeschwörungen mit Gruppensex zum Einsatz käme“. Da ist die Techno-WG mit Marusha, die das gemeinsame Bad von Fans neu kacheln ließ, weil Westbam Salmonellen vom Wienerwald eingeschleppt hatte. Und da sind Hunderte legendärer Namen und Orte, die Westbam an seinen Lesern vorbeiziehen lässt wie einen Loveparade- Truck. Bei Leuten, die damals mit Leuchtstäben und Buffalo-Schuhen in ihre Abende gestartet sind, hinterlässt das sicher rosige Wangen.

Bei allen anderen hinterlässt die Retro-Maschine eher ein Gefühl der Tristesse.

Bei allen anderen hinterlassen all diese Klänge, Töne und Geschichten aus der Retro-Maschine eher ein Gefühl der Tristesse. Denn was sagen uns denn die Geschichten, die hier geschrieben werden? Lernen wir daraus irgendetwas, das uns hilft, die Musik besser in die Zukunft zu bringen? Etwas, das über die Selbstbestätigung der eigenen Biografien hinausgeht, die wir im Spiegel der Popvergangenheit erfahren?

Die klarste Antwort darauf fand man überraschenderweise auf dem musealsten aller retrospektiven Techno-Events. Kraftwerk traten im Januar 2015 an acht Abenden in der Neuen Nationalgalerie in Berlin auf, um ihr Gesamtwerk zu spielen. Und so, wie die Gruppe schon in den Siebzigern den Hippies demonstriert hatte, dass man im Takt klampfende Musiker auch gleich durch Roboter ersetzen kann, wirkten die Abende eher wie eine große Softwaredemonstration. Wenn es hier eine Performance gab, dann waren es die immer länger werdenden Gesichter der Zuhörer, die ewig an der Museumstür angestanden hatten, nur, um herauszufinden, dass sie in den wilden Nächten von damals wohl doch nichts Spannendes verpasst haben.

So trivial die Erkenntnis ist, dass die Verklärung und Fetischisierung des Alten nur zur Langeweile führt, so einfach ist der Ausweg heraus. Denn anders als Eden, Westbam, Kraftwerk kann man aus dem Blick zurück ja etwas Neues, Aufregendes generieren. Man kann in Retromania, dem Standardwerk des britischen Popforschers Simon Reynolds nachlesen, dass das ja schon Elvis Presley oder Marvin Gaye machten. Man kann aber auch einfach Leuten wie zum Beispiel RP Boo zuhören. Wenn der visionäre Elektroproduzent in Chicago in seinen verspulten Track Eraser ein Paul-McCartney-Sample einbaut, entsteht immerhin ein Brückenschlag, der in die Zukunft weist. Oder zumindest bis in die After Hour. 

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