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Geekipedia / Kommt da was? Hessische Asteroidenjäger evakuieren dich

von Haluka Maier-Borst
Begonnen hat alles mit nächtlichen Radtouren. Immer, wenn der Himmel besonders klar war, radelte Matthias Busch durch die hessische Provinz von Einhausen nach Heppenheim. An der letzten Laterne schloss der damals 14-Jährige sein Fahrrad ab und kraxelte den Berg hoch. Freunde mochten schlafen oder Partys feiern – Matthias lief zu seinen Sternen, hinauf zum Observatorium.

Heute, 32 Jahre später, fährt Busch Auto und verdient sein Geld als Informatiker, doch sobald die Nacht aufklart, ­zieht es ihn zurück zur Sternwarte. „Dieses Gefühl ist unbeschreiblich“, schwärmt er. „Wenn du da hochguckst in diese unendlichen Weiten, dann begreifst du, wie winzig und unbedeutend du bist.“
Relativ gesehen. Busch mag dem Universum schnuppe sein, doch für unseren Planeten hat er eine wichtige Aufgabe übernommen: Er ist Asteroidenjäger. Mit circa 20 weiteren Amateur-Astronomen aus ganz Europa sorgt Busch dafür, dass unsere Welt ein bisschen sicherer davor ist, vom Einschlag kosmischer Gesteinsbrocken überrascht zu werden.

So bliebe — sollte mal etwas auf Kollisionskurs sein — zumindest die Chance, noch zu reagieren: Mögliche Einschlagsregionen könnten evakuiert werden, größere Asteroiden ließen sich vielleicht ablenken etwa, indem man ihnen Satelliten in den Weg manövriert.

 

In Trainingsjacke und Jogginghose sitzt er vor dem Rechner, um die Welt womöglich vor einem Impact zu warnen.

Fürs kosmische Spähen dürfen Busch und sein Team an vier Näch­ten im Monat das TOTAS-Obser­vatorium der europäischen Raumfahrtagentur ESA auf Teneriffa nutzen – aus der Ferne. Stehen am nächsten Morgen die hochauflösenden Fotos des Nachthimmels auf einem ESA-Server bereit, macht Busch sich daheim in Hessen noch vor dem Frühstück ans Werk. In Trainingsjacke und Jogginghose sitzt er vor dem Rechner, um die Welt womöglich vor einem Impact zu warnen.

Die Asteroidenjagd beginnt recht unspektakulär. Busch schickt die Aufnahmen zunächst durch eine Analysesoftware, die er selbst entwickelt hat. Sie sucht nach Movern — Lichtpunkten, die sich innerhalb einer Bilderserie bewegen — und vergleicht ihre Bahnen mit Reisewegen bekannter Asteroiden, um Übereinstimmungen zu finden. Meldet die Software ein neues Objekt, beginnt der spannendste Teil der Arbeit. Per Internet können sich die anderen Teammitglieder einloggen und mit Mausklicks entscheiden, ob der Punkt, der als GIF aus vier Bildern über den Monitor wuselt, tatsächlich ein unentdeckter Asteroid sein könnte. Oder ob er ein Staubkorn ist, ein Lichtreflex, ein anderer Fehler, der die Software verwirrt. „Wenn man ein bisschen Übung hat, sieht man sofort den Unterschied zwischen einem Asteroiden und einem Artefakt“, sagt Busch. Zwecks Qualitätskontrolle checkt er dennoch jeden vermeintlich neuen Asteroiden gegen.

Bestätigte Entdeckungen bringen Anerkennung auch über die Amateurgemeinde hinweg. Als im Herbst 2011 ein NEO-Gesteins­brocken, der der Erde besonders nahe kam, zum ersten Mal von Amateuren gesichtet wurde, verwies die ESA prominent auf Busch, die von ihm ausgetüftelte Software und die Gruppe freiwilliger Asteroidenjäger. Viele sitzen darum ebenfalls gleich morgens vor dem Rechner und warten ungeduldig auf den Moment, in dem sie losklicken können, um Dutzende von möglichen Kandidaten zu identifizieren. „Sobald die Bilder auf der Seite stehen, sind binnen weniger Minuten alle Mover analysiert“, sagt Busch.

In den vergangenen fünf Jahren hat sein Team mehr als 2000 bis dahin unbekannte Asteroiden aufgespürt. Eine Bilanz, die sich sehen lassen kann – vor allem, da ähnliche Projekte in den USA nur von Profis betrieben werden. Sogar einen eigenen Kometen hat die Gruppe entdeckt; er fliegt inzwischen mit dem Namen Totas durch das All. „Ohne die Hilfe der Hobbyastronomen um Matthias wäre das alles nicht möglich gewesen“, sagt Astronom Detlef Koschny anerkennend, der bei der ESA das TOTAS-Projekt betreut.

Sollte die ESA Verstärkung benötigen, kann sie wohl auf Buschs Tochter Christina zählen. Kaum von der Schule zurück, setzt sie sich neben den Vater und analysiert am eigenen Laptop Bilder vom Blick in die Sterne. Christina ist neun Jahre alt. Sie hat schon fünf Asteroiden entdeckt. 

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