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Twentysomething / Lloret de Mars

von Tom Hillenbrand
Seit drei Stunden kraxeln wir den verdammten Berg hoch. „Lass kurz haltmachen“, rufe ich meiner Freundin zu. Claudine dreht sich um, runzelt die Stirn. „Schon wieder?“

„Nur fünf Minuten.“
„Dae-Jung, wenn wir dauernd anhalten, erreichen wir nie den Gipfel.“
Das ist mal wieder typisch. Sie hat sich überhaupt nicht informiert, was sie hier erwartet. Ist wieder alles mein Job.
„Du weißt schon, wie hoch der ist?“
„Nö.“
„Mons Olymp ist der höchste Berg des Sonnensystems. 26 Kilometer. Selbst wenn wir täglich acht Stunden kraxeln, brauchen wir vermutlich den ganzen Urlaub bis oben.“
Sie setzt sich auf einen Felsen am Rand des Trails und schaut missmutig über die unter uns liegende rostfarbene Tharsis-Ebene.
„Immer noch besser, als wieder stundenlang mit dem Meißel Kalksteinplatten zu spalten. Ich hab’ schon genug Fossilien für drei Wohnzimmer!“
Ich werfe die Hände empor. „Herrgott, was hast du denn bitte gedacht, was man auf dem Mars macht?“
Sie blickt zu Boden. „Ich dachte, es gäbe wenigstens ein paar schöne Restaurants. Shopping. Kultur.“
„Ich hab’ doch gesagt, lass uns in Rio Strand-urlaub machen.“
„Da gibt’s keinen Strand.“
Spitzfindig, meine Claudine. Aber ein Punkt für sie. In den Klimawandel-Prognosen sagten die Wissenschaftler damals Stürme, Artensterben und Überflutungen voraus. Aber keiner wies auf die wohl ärgste Konsequenz hin: Wenn das Wasser steigt, gehen alle Strände flöten. Weswegen wir nun diese Urlaubskrise haben.
„Mag sein“, erwidere ich. „Aber Nachtclubs. Museen. Sogar Shopping.“
Wortlos setzt sie ihren Rucksack wieder auf. Wir haben drei Wochen Mars im Mirrorspace gebucht. Der Trail ist völlig verlassen. Nicht, weil keine anderen Touris hier wären, sondern weil wir die Option Alleine auf dem Mars gewählt haben. Wegen der Romantik.
„Wir könnten einfach ausklinken“, sagt Claudine, „und zu Hause abhängen.“
Ich schnaube ärgerlich. „Hast du vergessen, wie teuer der Scheiß hier ist?“
„Nein. Aber so bringt das doch nichts.“
Ich bleibe stehen. „Außerdem können wir nicht zurück.“
Sie dreht sich um und schaut entgeistert. „Was soll das bitte heißen?“
„Das Apartment ist vermietet. Flatshare.“
Zugegeben, ich wollte Claudine mit dieser Marsnummer beeindrucken: Suite im Le Kepler, Flug durch die Valles Marineris, Sonnenuntergang-Special in Aescuris Planum. Ein teurer Spaß, weswegen ich unser Apartment an Brasilianer vermietet habe, während wir in der Mars-Spiegelung sind.
„Ich fass’ es nicht!“ Wütend tritt sie gegen einen kleineren Stein. „Und jetzt sitzen wir hier fest, oder was?“
„Falls du nicht ein paar Hunderttausend Euro übrig fürs Hotel hast.“
Stumm schaut sie dem Stein hinterher, der in zweihundert Metern Entfernung in einer rostroten Staubwolke aufschlägt. „Concierge“, ruft sie.
Ein Mann in einem silbrigen Astronautenanzug erscheint. „Miss Debussy?“
„Wenn wir stornieren, was gibt’s zurück?“
„Leider nichts, da Sie die Spiegelung bereits gestartet haben“, sagt der Concierge.
„Und wenn wir was anderes nehmen?“
„Es ist Hochsaison, Madame. Leider ist fast alles ausgebucht.
Ich lege ihr eine Hand auf die Schulter. „Komm, vergiss es.“
Claudine schüttelt sie ab und schaut den Concierge an.
„Sie sagten ‚fast alles‘. Was gibt’s noch?“
„Nur noch Lloret de Mar.“

Ich stöhne vernehmlich.
„Dae, du kannst gerne weiter Sternenstaub schlucken. Aber ich hau’ ab.“
„Nach Lloret? Da fahren doch nur asiatische Teenies hin.“
„Mag sein. Aber es liegt auf der Erde.“
Ich kapituliere. Vielleicht gibt’s an der virtuellen Costa Brava zumindest einen Strand.

Tom Hillenbrand ist Schriftsteller, sein Buch „Drohnenland“ spielt in einem hoch technologisierten Europa der nicht allzu fernen Zukunft. In dieser Zeit lebt auch PR-Profi Dae-Jung Leclerq, der seine Alltagserlebnisse hier regelmäßig schildert.

 

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