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Gadet Kolumne / Anja Rützel über die Hemdchen der Stars

von Anja Rützel
Lasst den Stars ihre Hemdchen — ein „Kale“-Shirt macht Lumpenlieschen überraschenderweise nicht zu Beyoncé.

So schön tanzt sie in ihrer Unterbuxe auf dem Balkon. Klatscht die Hände überkopf zum lustigen Hampelmann zusammen, vollführt Bürzelbops und Kniefaller, wie es nur Beyoncé kann. Im Video zu ihrer Single 7/11 trägt sie neben Leopardenschlüpfer ein blaues Sweatshirt. „Kale“ steht darauf, im Original-Yale-Schriftzug, eine Anspielung auf die aktuelle Grünkohlbesessenheit der Instagram-Menschen, die das Kräuselblattgemüse dort in Smoothie- und Chipsform präsentieren. Kaum war Beyoncés Schlüpfertanzvideo auf Youtube erschienen, boten mehrere Onlineshops schon mehr oder minder gelungene Replikate ihres Kohlshirts an — und waren damit sogar noch schneller als die GEMA-bedingte Sperrung des Videos.

Den gleichen Pullover wie Beyoncé tragen — das widerspricht natürlich dem wichtigsten Starqualitätenkriterium: der Distanz zu den Nicht-Stars eben. Ganz simpel: Stars machen Sachen, die Nicht-Stars nicht tun, und sie haben Dinge, die für Lumpenlieschen unerschwinglich sind. Ein konsumgefällig volldurchdemokratisierter Star ist keiner mehr.

Manchmal rieseln Brotsamen vom hohen Celebrity-Style-Tisch herab, Dinge, mit denen man etwas mehr Anteil, eine kleine Gemeinsamkeit mit seinem Star haben kann. Shirts zum Beispiel, auf die Beyoncismen wie „Surfbort“ gedruckt sind, das ihre Aussprache im Lied Drunk In Love parodiert. Und eben das „Kale“-Shirt, das man ihr nachkaufen kann wie eine nicht sehr einfallsreiche Freundin.

Bei Beyoncé rattert die Kopistenmaschine besonders gut, auch andere Promihemden gehen in Serienproduktion. Es gibt einen eigenen Jake-Watch-Shop, der sich auf nachgemachte Jake-Gyllenhaal-Privatkleidung spezialisiert hat. Zum Beispiel ein T-Shirt mit der Aufschrift „I was a gay cowboy before it was cool“, das bei Nicht-Gyllenhaal-Trägern nur Sinn ergibt, wenn sie zufällig auch in Brokeback Mountain mitgespielt haben. Genau wie das „Just say no to drugs“-Shirt, im Original vom schlimmen Mädchen Lindsay Lohan getragen, nur bei ähnlich verwegenen Spinginsfelderinnen seine volle Wirkung entfaltet.

Das Paradox des Celebrity-Shirts geht dabei noch tiefer: Man sieht den Star in seinem Shirt, möchte es reflexartig ebenfalls besitzen und tragen — und hat gleichzeitig keine Chance, es innerhalb des sehr kleinen Zeitfensters zu bekommen, in dem es noch cool ist, das Stück zu tragen. Damit liefert das Celebrity-Shirt gleichzeitig die absolute Bejahung und komplette Verneinung des Konsums. Und liefert auf kleinstem Leibchenraum eine komprimierte Metapher für die immer kürzere Halbwertszeit eines Trends.

Ein gewisses Maß an Unerreichbarkeitsfrust gehört dazu, damit das System Fan-Star funktioniert. Das gilt nicht nur für reale Menschen, sondern auch für Serienfiguren. Schön, dass es Blogs gibt, in denen die Bezugsquellen für Sherlock Holmes’ Pilzlehrtafel angegeben sind, die in der BBC-Serie an der Wand hängt. Tumblr, die identifizieren, welchen Nagellack Femme Fatale Irene Adler in der Folge A Scandal In Belgravia trägt (St. James von Nails Inc. oder Winter Berries von Jessica, die Expertenmeinungen gehen auseinander) und wo man ihre Reitgerte bekommt. Gut, dass nicht alles nachkaufbar ist: DER Sherlock-Mantel zum Beispiel, mit dessen hochgeklapptem Kragen man so träumerletief auf schottischen Hügeln herumstehen kann und dessen Schöße so schön flattern, wenn man von einem Krankenhausdach springt, ist unwiderruflich ausverkauft. Wäre ja noch schöner, wenn jeder Modegeck mit mühsam ausgezehrten Wangenknochen damit herumlaufen dürften. Kleider machen Leute, das war schon immer ein Unsinnsspruch, und im Falle der Celebrity-Shirts gilt er noch weniger als sonst. Wer es nicht glaubt und sich jetzt trotzlig sein Kohlshirt über die Schmolllippe zieht, muss nur mal 7/11 bis zum Ende anhören und auf die letzten Zeilen achten: „Fresher than you, I’m fresher than you.“ Gibt es übrigens auch als T-Shirt.

Anja Rützel ist sich zu fein dazu, T-Shirts von Stars nachzukaufen. Ihre eigene Shirt-Kollektion mit dem „Adorno-Fanclub Main-Spessart“-Aufdruck scheiterte in den Neunzigern. In der letzten Folge ihrer Gadget-Kolumne sinnierte Anja über Sinn und Zweck von Visitenkarten.

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