Hinweis zu Affiliate-Links: Alle Produkte werden von der Redaktion unabhängig ausgewählt. Im Falle eines Kaufs des Produkts nach Klick auf den Link erhalten wir ggf. eine Provision.

Philosoph Armen Avanessian will den Kapitalismus mit dem Internet überwinden

von Jan Drees
Der Philosoph will das System des Kapitalismus überwinden — mit Facebook-Hacks und Marx auf Meth.

Proteste hält Armen Avanessian für überholt. Warum nicht lieber das Pentagon hacken, um Kriege zu verhindern? Für den neuen Star-Philosophen des digitalen Zeitalters sind Edward Snowden und Julian Assange Role Models — weil sie einen gehörigen Tick schneller waren als ihre Verfolger. „Sie verstehen den Quellcode unserer Gegenwart“, sagt Avanessian. Nicht das superöde Gerede von der angeblich so nötigen Entschleunigung und dem Immer-Weniger könnten unserer Gesellschaft noch eine Perspektive zur Veränderung geben. Sondern, im Gegenteil: Beschleunigung.

Bildungsstürmer: Jetzt nimmt Avanessian sich die Uni vor — „einen Blindenfettfleck des Denkens“

(Überschrif,Merve, 2014)

Auch Avanessian redet so schnell, dass man ihm kaum folgen kann, springt von Facebook zu Chomsky, von DNA zu Marx. Die Geschwindigkeit gehört zum Konzept. Das erste Manifest der neuen Bewegung, #Akzeleration, erschien im Merve Verlag, der auch Schriften von Jean Baudrillard, Gilles Deleuze oder Michel Foucault verlegt. Innerhalb von nur vier Wochen war die erste Auflage des von Avanessian herausgegebenen Sammelbandes aus­verkauft. Die Ideen könnten eine philosophische Grundlage für eine Zeit werden, in der digitale Technologie mit rasender Geschwindigkeit immer mehr zum Machtinstrument wird. „Gerade noch war der Akzelerationismus ein Theorieplankton“, sagt Avanessian. „Jetzt sind wir überall.“ Anders als von 1968 beeinflusste Linke, die ihre Utopien im autonomen Dorf im Grünen verwirklichen wollen, verorten sich Akzelerationsanhänger inmitten der modernen Welt — mit Technowissenschaft als Instrument der Befreiung. Die Zukunft, meint Avanessian, sollten wir uns nicht weiter von Google, Facebook oder Apple erfinden lassen — sondern die Konzerne links überholen.

Zum Beispiel Facebook: Datensammelei und Werbung machten nur Mark Zuckerberg und seine Aktionäre reich. Dabei könnte sich ein soziales Netzwerk seinen Nutzern verschreiben, statt Opium fürs Volk zu sein. Dafür müsste das Volk aber die Technologie verstehen, die Algorithmen — um sich ein eigenes Facebook zu erschaffen. Der linke Gedanke dahinter: Die Internettechnologie könnte sehr nützlich sein für die Revolution. „Politischer Aktivismus mit Grüppchensitzung und Zettelverteilen interessiert mich nicht“, so Avanessian. „Es ist eher ein Schritt zur Selbstbemächtigung, wenn man weiß, wie man sein Iphone auseinander- und wieder zusammenbaut, oder ich wüsste, wie ich meine DNA verschmutzen kann – das würde ich gerne probieren.“ Die großen Debatten führt er mit Gleichgesinnten auf Facebook oder Twitter, philosophische Fachbegriffe werden zu Hashtags. Statt den Kapitalismus bloß zu kritisieren, setzt Avanessian auf die schnellstmögliche Selbstzerstörung des alten Systems. Umso eher könne etwas Neues entstehen. Das ist ein bisschen so, als hätte man Karl Marx Crystal Meth verabreicht.

Eine Übersicht aller Innovatoren der Februar-Ausgabe von WIRED gibt es hier.

GQ Empfiehlt