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Gadgets-Kolumne / Alain de Botton fordert mehr Gleichberechtigung für das Restleben neben den Handys

von Alain de Botton
Ein neues iPhone, ein neuer Deal: Warum wir anderen Aspekten unseres Lebens die gleiche Aufmerksamkeit schenken sollten wie unseren Telefonen.

ALAIN DE BOTTON lebt als Philosoph und Schriftsteller in London. Auf Deutsch erschien von ihm zuletzt das Buch „Religion für Atheisten“. Er twittert unter @alaindebotton.

Jede Präsentation einer neuen iPhone-Generation wird von unglaublicher Aufregung begleitet. Dieses Interesse am kontinuierlichen technologischen Fortschritt ist ein gutes Zeichen. Denn es nährt unsere Hoffnung, dass wir auch andere Dinge in den Griff bekommen können: Kriege, soziale Ungleichheiten, Batterielaufzeiten, Wut, Funklöcher und – das ist das Wichtigste: klammheimlich auch uns selbst.

Natürlich: Es ist etwas eigenartig, in Aufruhr zu geraten, nur weil ein Produkt anders aussieht, das – bei allen kleinen Fortschritten – seinen Vorgängern unter der Oberfläche sehr ähnelt. Dahinter steckt das unausgesprochene Eingeständnis, dass echte Quantensprünge unerträglicherweise eher selten gelingen.

Wo bleiben die Rakete, die uns nach Australien bringt, und der bionische Anzug, mit dem Gelähmte laufen können?

Es ist deprimierend, wie zutiefst trügerisch technologische Durchbrüche sind. Jahrhunderte hat es gedauert, um vom Esel auf den Zug umzusteigen. Dekaden, um ins Auto wechseln. Und noch ein paar mehr, um zum Flugzeug aufzusteigen. Wo bleibt die längst versprochene Rakete, die uns nach Australien bringt? Wie steht es um den Ein-Mann-Helikopter und wie um den bionischen Anzug, mit dem Gelähmte laufen können? Wir können uns so viel mehr vorstellen, als wir am Ende tatsächlich haben.

Vielleicht wäre alles einfacher, wenn die Zukunft einfach ausbliebe. Doch sie kommt. Nur zu langsam für uns. Eines Tages wird uns eine radikal neue Art der Fortbewegung in der Zeit nach Sydney bringen, die es dauert, diesen Satz zu vollenden. Aber eben erst in 300 Jahren. Es wird Medikamente geben, die Kahlköpfigkeit und den Tod heilen werden – 2190. Alle, die nach uns kommen, werden uns wahrscheinlich so sehr dafür bedauern, wie schwer wir es doch hatten, wie wir über diejenigen denken, die an Beulenpest starben und auf Nachttöpfen saßen. Wir sind seltsam gefangen zwischen Zukunftseuphorie und Alltagsresignation.

Weil unsere messianische Sehnsucht irgendwo hin muss, landet sie heute oft in unseren Telefonen.

Weil unsere Hoffnungen so hoch zielen, können wir nicht anders, als uns heimlich zu wünschen, dass technologische Entwicklungen bedeutsamer und folgenreicher sein mögen, als sie tatsächlich sind. Und weil diese messianische Sehnsucht irgendwo hin muss, landet sie heute – solange sich kein besseres Ziel anbietet – oft in unseren Telefonen.

Natürlich, Technologie ist brillant. Aber es ist schon erstaunlich – wenn man einmal darüber nachdenkt –, dass sie eigentlich nur einen kleinen Teil unserer Bedürfnisse stillt. Kommunikation bringt so viele Probleme mit sich, die einem iPhone egal sind. Ein Telefon kann dich nicht beruhigen, wenn du in Rage bist. Es bewahrt dich nicht davor, zu deinem Partner schlimme, verletzende Dinge zu sagen, die dir schon fünf Minuten später schrecklich unangenehm sind. Es hilft dir nicht dabei, tröstende Worte für einen trauernden Freund zu finden, ein Kind zu beruhigen oder eine heikle Situation im Büro zu entschärfen.

Es gibt vieles, was wir selbst sofort ändern können. Wir müssen nicht ständig auf Apple warten.

Es gibt vieles, was wir selbst sofort ändern können. Wir müssen nicht ständig auf Apple warten. Große Technologieunternehmen sind extrem darauf fixiert, Geschwindigkeit, Komfort und Reichweite zu verbessern. Doch wir haben so viele andere Bedürfnisse. Wir sollten lernen, bestimmte Aspekte unseres Lebens mit der gleichen unerschrockenen Energie anzugehen, mit der Apple den Herausforderungen der Mobiltechnologie begegnet. Es ist an uns, unsere Beziehungen wenigstens ein wenig zu verbessern – gleich jetzt. Wenn wir schon neue Hoffnung schöpfen, weil der Akku 30 Minuten länger hält, sollte es auch möglich sein, sich eine Stunde pro Woche weniger zu streiten. 

Wir sollten trotzdem weiter begeistert sein, wenn unsere Kommunikationsgeräte immer besser werden. Es geht nur darum, anderen Aspekten unseres Lebens die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken wie unseren Telefonen: als Dinge, die wir verbessern können. Vielleicht fangen wir ja damit an, unsere Persönlichkeit zu reparieren. Schritt für Schritt. Jetzt sofort. 

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