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So will Airbnb uns zu Weltbürgern machen – und sich zur Topmarke

von Karsten Lemm
Zimmer vermieten – abgehakt. Da geht noch viel mehr, hofft Airbnb. Künftig will der Sharing-Economy-Primus seinen Kunden komplette Erlebnisse vermitteln, die ihnen das Gefühl geben, in der Fremde zu Hause zu sein. Gleich nach der Ankunft. Wie das gehen soll, erklären Top-Manager im Gespräch mit WIRED.

Bernal Heights kann so schön sein. Wenn Menschen, die San Francisco besuchen, nur wüssten, wie zauberhaft die Cafés, Parks und Boutiquen in diesem Stadtteil sind, sie würden Fisherman’s Wharf und den Union Square glatt links liegenlassen – glaubt Joe Zadeh. „Ich höre immer wieder von Leuten, die nach San Francisco kommen und Bernal Heights nie verlassen“, erzählt er, „weil es da so lebhaft und so bunt zugeht.“

Zadeh arbeitet daran, lokale Sehenswürdigkeiten wie Bernal Heights, die im Touristen-Alltag leicht untergehen, stärker ins Blickfeld der Airnbn-Nutzer zu rücken, überall auf der Welt. Als oberster Produktmanager ist der Kalifornier dafür verantwortlich, die Versprechen einzulösen, mit denen sein Arbeitgeber um Globetrotter wirbt. „Fahr nicht nur hin. Lebe dort!“, lautet der Slogan der jüngsten, weltweit angelegten Marketingkampagne. Wer mit Airbnb unterwegs ist, soll ankommen und sich sofort zu Hause fühlen, Insider sein, nicht einfach als Tourist durch die Straßen laufen.

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Ein ehrgeiziges Ziel, das zeigt, wie Airbnb sich wandeln will: von der Internetplattform, die Übernachtungen in Privatunterkünften vermittelt, zum TUI für Millennials. Konsequentes Auswerten von Nutzerdaten und stärkeres Einbinden der Gastgeber-Community soll Airbnb die Quadratur des Kreises ermöglichen – ein Pauschalanbieter zu werden, der alles im Angebot hat und doch jeden Reisewunsch individuell erfüllt. Statt sich mit der Buchung vor der Abreise zu begnügen, wollen die Kalifornier immer an der Seite ihrer Nutzer bleiben, unentbehrlich werden, wenn Menschen das Fernweh packt und sie mehr suchen als nur ein Dach über dem Kopf.

„Die große Chance ist, Reisen viel stärker zum Erlebnis zu machen“, erklärt Zadeh. „Mit unseren Gastgebern haben wir eines der größten Netzwerke von ortskundigen Experten überhaupt. Wir sehen sie als unsere wichtigsten Partner an.“ Zadeh sitzt auf einer gelben Couch in einem Konferenzzimmer namens „Rio de Janeiro“. Der Raum ist eingerichtet wie ein Wohnzimmer, mit Holztisch und Bildern an der Wand, ganz nach dem Vorbild echter Apartments, die bei Airbnb zu mieten sind – so wie alle Meeting Rooms in der Firmenzentrale, die mehrere Etagen in einem ehemaligen Lagerhaus in San Franciscos Innenstadt einnimmt.

Viermal ist Zadeh mit Airbnb bereits umgezogen, er war einer der frühesten Mitarbeiter, als er 2010 zum Startup stieß, das immer neue Leute einstellte und immer mehr Platz brauchte. Das Konzept, Wohnraum per Internet in Hotelzimmer zu verwandeln, war damals noch neu, die Sharing Economy ein Begriff vom Rande der Zukunft. Heute zählt Airbnb fast 2500 Mitarbeiter, 80 Millionen Kunden und hat 2,5 Millionen Übernachtungsmöglichkeiten im Angebot – von der Villa in der Toskana und dem Hausboot in Holland bis zum Baumhaus in Frankreich.

Mit einer Bewertung von mehr als 25 Milliarden Dollar gehört das Unternehmen aus San Francisco zu den teuersten Startups, die noch nicht an die Börse gegangen sind, und das schnelle Wachstum spült reichlich Cash in die Kasse: Eine Milliarde Dollar soll die Firma im vorigen Jahr durch Provisionen eingenommen haben, die bei jeder Buchung anfallen, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg, und kurz davor sein, profitabel zu arbeiten.

Doch wer die Welt erobern will, muss weiter wachsen, schnell und immer schneller, ehe andere aufholen. Also hat Airbnb gerade eine weitere Milliarde an Kapital gesammelt. Das Geld fließt unter anderem in die neue Werbekampagne, die das Zuhausesein in der Fremde anpreist und Airbnb dem Mainstream näherbringen soll. Gesteuert wird sie vom Marketingchef Jonathan Mildenhall, einem ehemaligen Coca-Cola-Manager, der vor zwei Jahren aus Atlanta nach Kalifornien zog, um aus Airbnb eine Superbrand zu machen: So wie Coke, Nike und Apple, erklärt er, wolle seine Firma eine Weltmarke werden, „die das Lebensgefühl ihrer Generation zu ihrer Zeit definiert“.

Auch das ist ein ehrgeiziges Ziel, mit der zusätzlichen Herausforderung, dass Airbnb kein Produkt anbietet, bei dem Kundenzufriedenheit von Haus aus eingebaut werden kann, anders als bei den Vorbildern. Wer eine Coke kauft, kann darauf vertrauen, dass die Geheimformel verlässlich denselben Koffein-Kick garantiert wie beim letzten Kauf. Airnbn dagegen bringt Menschen zusammen, die unterschiedlichste Erwartungen haben und sich – trotz aller Bewertungen und Beschreibungen – immer mal gegenseitig enttäuschen. Weil der eine die Toilette nicht sauber macht, der andere raucht, obwohl es ausdrücklich verboten war, und der nächste mit seinen Kumpeln womöglich die ganze Wohnung zerlegt.

„Eigentlich braucht man ein einheitliches Produkt, um eine weltweite Superbrand aufzubauen“, sagt Mildenhall. „Wir haben kein einheitliches Produkt. Unser Produkt ist so unterschiedlich, wie es die Wohnungen unserer Gastgeber sind.“ Entsprechend müsse Airbnb sich bemühen, auf andere Weise die nötige Einheitlichkeit zu erreichen. „Wir versuchen, gemeinsame menschliche Werte in unserer Community zu schaffen“, erklärt Mildenhall. „Und das bedeutet vor allem, zu Gastfreundlichkeit anzuregen. Wir wollen erreichen, dass jeder Reisende dieselbe menschenfreundliche Erfahrung macht, auch wenn die Unterkünfte so verschieden sind.“

Den Weg dahin sieht Airbnb in einer Mischung aus Community-Pflege und High-Tech: Der offene Austausch von Kommentaren zwischen Gastgebern und Gästen soll erreichen, dass jeder weiß, was auf andere zukommt. Vermieter, die besonders gute Bewertungen bekommen, werden als Stars, als super hosts, gefeiert: Ihre Ebenbilder hängen wandfüllend in der Firmenzentrale. Obendrein holt Airbnb Jahr für Jahr Tausende von Gastgebern zu einer Konferenz zusammen, um sie näher an sich zu binden und ihnen zu erklären, was die Firma vorhat.

Die Community steht auch im Zentrum des nächsten großen Schritts, mehr anzubieten als nur Übernachtungen. „Wir werden Reisenden ermöglichen, mit Ortskundigen zusammenzukommen, die ihnen die Stadt zeigen können oder eine Dinner-Party veranstalten“, kündigt Mildenhall an. Auch gemeinsame Besuche auf dem Wochenmarkt, Surfkurse und vieles andere sei denkbar. Genaues will Airbnb erst im November bekanntgeben, aber Ziel sei immer, „zutiefst lokale Erlebnisse zu schaffen mit Menschen, die vor Ort wohnen“, erklärt Mildenhall. Damit Reisende sich fühlen wie Einheimische, die automatisch mit dazugehören. Dank Airbnb, dem Freund an der Seite, der all das möglich macht. „Wir wollen“, sagt Mildenhall, „ein Unternehmen mit enormem Erlebnisfaktor werden.“

Wenn das klappen soll, wird viel von Mike Curtis und seinem Team abhängen. Als Vice President of Engineering ist Curtis der Mann der Zahlen: Aus den Daten, die Airbnb bei jedem Klick sammelt, versucht er abzulesen, was Kunden sich wünschen, wenn sie nach einer Ferienwohnung in Griechenland oder einem „günstigen Zimmer“ in Brooklyn suchen. Heißt günstig billig – oder verkehrsgünstig gelegen? Wie verhindert man, dass Katzenfreunde in einer Wohnung landen, die Hundehalter anbieten?

Curtis, ein jugendlicher Mittdreißiger mit sonnigem Gemüt, spricht viel von „impliziten“ und „expliziten Signalen“: Das sind zum einen Dinge, die Gastgeber und Gäste ausdrücklich angeben, etwa wie viele Zimmer es gibt, in welchem Stadtteil die Wohnung liegt und wie wichtig WLAN oder ein separates Bad sein sollen. Zu diesen expliziten Signalen kommen die versteckten, die impliziten: „Eine der großen Aufgaben, auf die wir uns in diesem Jahr konzentrieren, ist das bessere Zusammenführen“, sagt Curtis – zum Beispiel, indem die Airbnb-Software automatisch auswertet, welche Gastgeber vermutlich am besten zu welchen Gästen passen.

Ein Signal dabei ist die Länge der Übernachtung. Gastgeber mögen sagen, dass ihnen Besucher, die nur drei Tage bleiben, genauso recht sind wie Langzeitgäste – doch Airbnb weiß es besser. Durch Beobachten und Auswerten des Verhaltens aller Beteiligten lernt die Software ständig mit. „Wir haben wahrscheinlich mehr Daten über das Reiseverhalten von Menschen in aller Welt als irgendjemand je zuvor“, sagt Curtis, „und das versuchen wir zu nutzen.“

Dazu kommen Experimente, Tausende in diesem Jahr, die Airbnb helfen sollen, sich an das Ziel heranzutasten, den perfect match zu schaffen: genau die Menschen zusammenzubringen, die sich wahrscheinlich gut verstehen, wenn sie am Ende unter einem Dach zusammenleben sollen, und sei es nur für ein paar Tage – oder die womöglich in Zukunft auch gemeinsam etwas unternehmen, damit die Besucher sich nicht als Fremde fühlen, egal, wie weit sie gereist sind. „Die Frage für uns ist, wie kommen wir vom ,Hier ist die Wohnung, in der du übernachten wirst‘, zum ,Hier ist die Umgebung, in der du leben wirst‘?“, erklärt Curtis.

Wie wichtig das ist, sieht Curtis an seinen Zahlen aus China: Nirgendwo wächst die Nachfrage schneller, im vorigen Jahr sind die Buchungen um 250 Prozent gestiegen. Zwar ist Europa für Airbnb weiterhin der wichtigste Markt, „etwa die Hälfte unseres Geschäfts stammt aus Europa“, sagt Curtis – aber junge Chinesen, die zu Geld kommen und in die Welt streben, zeigen, wo für Airbnb die Zukunft liegt. Die meisten wollen andere Orte in Asien sehen, buchen Reisen nach Japan oder Thailand, und viele, so stellte Curtis’ Team fest, kümmern sich erst in letzter Minute um eine Unterkunft: „Chinesische Reisende buchen oft erst dann, wenn sie landen“, erzählt der Airbnb-Manager. „So nach dem Motto: ,OK, jetzt bin ich hier. Also suche ich mir besser eine Bleibe.‘“

Unkompliziert muss Airbnb dafür sein und im Idealfall sofort die besten Treffer liefern. Vor allem aber zeige diese neue Generation an Reisenden, dass sie mit Bus-Rundfahrten und anderen klassischen Touristen-Unternehmungen wenig anfangen könne. „Diese jungen Chinesen suchen Kontakt zu Einheimischen, sie wollen die örtliche Kultur erleben und Teil des Ganzen sein“, erklärt Curtis. „Für diese Menschen könnte Airbnb der perfekte Weg werden, die Welt zu entdecken – in vielen Fällen zum ersten Mal.“

Außerhalb von „Rio de Janeiro“, dem Konferenzraum, in dem auch Curtis mit WIRED spricht, hocken Mitarbeiter zwischen Kissen, Plüschtieren und Regalen. Hier und da stehen Schreibtische mit iMacs, an denen junge Menschen in Arbeit versunken sind, Musik im Ohr, den Blick ans Display geheftet. Und für alle, denen so viel internationale Wohnlichkeit im Büroalltag noch nicht genügt, gibt es die Belong Anywhere Gallery, in der sich Sandstrand im Glas, Bilder von indischen Elefanten und ein deutscher Gartenzwerg unter einer eingerahmten Weltkarte treffen. Auch ein Berliner Bär und Bierhumpen haben es in die Sammlung geschafft.

„Es wichtig, dass unsere Mitarbeiter immer daran denken: Wir mögen aus San Francisco kommen, aber wir sind für alle da“, erklärt Jonathan Mildenhall, „für Städte, für Länder, für Reisende und für Gastgeber aus aller Welt.“ Genau genommen sind 191 Länder und mehr als 34.000 Städte aktuell auf Airbnb vertreten. Große Zahlen, die das Unternehmen stolz auf seiner Website nennt. Auch Mildenhall lässt die Zahlen fallen, selbst wenn – stimmt schon – nicht alle Städte es der Firma immer leicht machen.

An vielen Orten regt sich weiterhin Widerstand gegen dieses immer noch neue Konzept, dass Menschen, die keine Lizenz als Hotelier beantragt haben, sich trotzdem so verhalten. Dass sie Geld mit ihren Privatwohnungen verdienen, womöglich Apartments oder ganze Häuser vom Markt nehmen, um sie bei Airbnb zu vermieten – und damit die Preise für alle anderen in die Höhe treiben, die dringend Wohnraum suchen.

Berlin etwa hat gerade ein Gesetz dazu erlassen, das aktualisierte Zweckentfremdungsverbot, das Airbnb in der deutschen Hauptstadt diverse Stolpersteine in den Weg legt. Mildenhall gibt sich da ganz als Diplomat: „Wir werden immer mit den einzelnen Städten zusammenarbeiten“, sagt er, „um sicherzustellen, dass Politiker wie Bürger verstehen, dass Airbnb gut für ihre Städte ist.“ Und wenn die Botschaft nicht bei allen gleich gut und gleich schnell ankommt – sei’s drum. „Unterschiedliche Städte haben unterschiedliche Ansichten“, sagt Mildenhall. „Manche sind zukunftsgewandter mit ihren Regelungen, andere brauchen etwas länger, um die Gesetzeslage noch einmal zu überdenken.“

Es gibt ja auch andere Beispiele, London etwa: „Dort wurden die Vorschriften geändert, um Airbnb willkommen zu heißen“, sagt Mildenhall. San Francisco zeigte sich ebenfalls einsichtig: In der Heimatstadt des Unternehmens gab es im vorigen Jahr ein Volksbegehren, das privates Vermieten untersagen wollte, um den Wohnungsmarkt zu entlasten. Es wurde abgeschmettert. Und Airbnb atmete auf. Acht Millionen Dollar hatte die Firma in ihre Kampagne gesteckt, Bürger für dieses „Nein“ zu dem Vorschlag zu gewinnen. „Wir gehen auf jede Stadt individuell ein“, sagt Mildenhall, „um sicherzustellen, dass alle verstehen: Auf lange Sicht bringt Airbnb für die Städte und ihre örtliche Wirtschaft nur Vorteile.“

Gleich vor dem Eingang zur Zentrale der Firma in San Franciscos Innenstadt klafft eine große Lücke im Stadtbild. Viele Jahre stand hier ein Konferenzzentrum. Nun grenzt ein Zaun eine Baustelle ein, die einen ganzen Straßenzug einnimmt. Metallgitter wachsen in den Himmel: die Anfänge eines Wolkenkratzers, in dem eines Tages Hunderte von Apartments zur Verfügung stehen sollen. Futter für den Wohnungsmarkt, Futter auch für Airbnb. „Vielleicht kaufe ich mir dort ein Eigenheim“, sagt Mildenhall, „und in der Zeit, in der ich gegenüber ins Büro gehe, vermiete ich die Wohnung. Das nenne ich dann AirbnDay.“

Er lacht. Ein Scherz. Aber warum nicht? Eine coole Idee eigentlich – wer weiß, was daraus wird, wenn Airbnb so weiter wächst, wie Mildenhall und seine Chefs es sich erhoffen.

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von WIRED Staff