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Aktivistin Anne Wizorek im Interview: „Der Weg zu Gleichberechtigung ist eben unbequem“

von Elisabeth Rank
Anne Wizorek ist Beraterin für digitale Medien und Aktivistin. 2013 startete sie den Hashtag #aufschrei, der in diesem Jahr auch mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet wurde. Ihr Buch „Weil ein #aufschrei nicht reicht – Für einen modernen Feminismus von heute“ erschien am 25. September 2014. Wir sprechen mit ihr über digitalen Aktivismus und analoge Schutzräume.

WIRED: Dein Buch ist gerade erschienen. Gab es schon Hass-Mails?
Anne Wizorek: Bisher sind die negativen Reaktionen überschaubar, das kann sich jedoch ändern, wenn das Buch erscheint. Ich habe auch jetzt meinen E-Mail-Account schon abgegeben. Die Mails werden manuell von jemandem gefiltert, dem ich vertraue, und nur die wichtigen Dinge werden mir an eine andere Adresse weitergeleitet. Auch bei Twitter hilft mir ein Freund. Facebook verwalte ich noch selbst, dort habe ich bei #aufschrei komischerweise beinahe nur positive Nachrichten bekommen.

WIRED: Du schützt dich also. Kannst du das auch offline?
Wizorek: Das ist natürlich schwierig, denn alles, was ich tue – online und offline – verschwimmt irgendwie. Ich kann mir dennoch offline eher Rückzugsräume suchen, dort muss ich mich auch nicht ständig verteidigen. 

Reaktionen, egal in welche Richtung, sind ein Zeichen dafür, dass deine Statements zumindest jemanden erreichen.

WIRED: Online schon?
Wizorek: Natürlich gibt es auch offline Menschen, die auf Biegen und Brechen mit mir diskutieren wollen. Davon kann ich mich jedoch mittlerweile gut abgrenzen. Das funktioniert sogar einfacher als online, weil das Gegenüber meine Mimik und meinen Tonfall mitbekommt. Wenn ich klarmache, ich möchte nicht sprechen, dann wird das schnell ernstgenommen. Online ist das schwieriger. Die Leute entwickeln dort sehr schnell eine Anspruchshaltung, die sie offline so nicht äußern würden.

WIRED: Versuchst du denn, auch hinter Hasskommentaren immer noch Menschen zu sehen?
Wizorek: Mir hilft es, mich immer wieder daran zu erinnern, dass wir Menschen dazu tendieren, Botschaften, die uns online erreichen, in einem Teil des Gehirns zu verarbeiten, der unsere ureigenen Instinkte anspricht. Wir empfinden dann Tweets schneller mal als Angriff und schalten sofort auf Verteidigung um, weil uns zum Beispiel die Körpersprache zu den Äußerungen fehlt. 

WIRED: Reaktionen, egal in welche Richtung, sind natürlich auch ein Zeichen dafür, dass deine Statements zumindest jemanden erreichen. Was ist für dich als feministische Aktivistin denn ein wirklicher Erfolg?
Wizorek: Ich empfinde es als Erfolg, wenn einzelne Menschen durch meine Arbeit Situationen verstehen, in die sie geraten sind, oder Dinge anders wahrnehmen, die ihnen passiert sind. Im Falle von #aufschrei ist dies ganz deutlich geworden. Hier konnte Frauen vermittelt werden: Du bist nicht schuld an dem, was dir passiert ist, es ist die Gesellschaft. Das allein ist großartig. Gleichzeitig ist es für mich natürlich ebenfalls ein Erfolg, wenn mit meiner Hilfe feministische Themen auf großer Bühne diskutiert werden oder eine Anerkennung wie den Grimme Online Award bekommen.

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WIRED: Welche Schwelle müssen Aktionen wie #aufschrei oder feministische Themen überschreiten, damit aus kurzen Tweets auch Veränderungen im Denken und Handeln folgen?
Wizorek: Metriken wie Mentions machen in diesem Zusammenhang nur bedingt Sinn. Natürlich ist es wichtig, darüber zu sprechen. Aber das reicht eben nicht. Ich nenne dieses Phänomen gerne auch Schönwetter-Feminismus. Der richtige Feminismus beginnt halt da, wo es wirklich unbequem wird.

WIRED: Wo wird’s denn unbequem?
Wizorek: Wenn du dich mit Menschen auseinandersetzt, die dir vielleicht sogar nahestehen. Hier bewusst einen Konflikt einzugehen, Position zu beziehen, das ist für mich die Schwelle, die es zu nehmen gilt. Natürlich nicht auf Teufel komm raus. Aber im privaten Raum beginnt es, real zu werden.

#aufschrei hat Frauen vermittelt: Du bist nicht schuld an dem, was dir passiert ist, es ist die Gesellschaft.

WIRED: Wie mache ich das meinen Freunden denn klar?
Wizorek: Man hört ja sehr schnell: „Och, von diesem Thema hab ich jetzt aber wirklich die Schnauze voll.“ Ich reagiere dann immer ähnlich mit: „Na, stell dir mal vor, das alles als Frau leben zu müssen, dann hast du erst recht die Schnauze voll davon.“

WIRED: Was würdest du gern mit deinem Buch auslösen?
Wizorek: Ich wünsche mir mehr Solidarität im Netz. Dass wir wieder mehr darüber nachdenken, wer da eigentlich vor dem Bildschirm sitzt und hinter den Tweets steckt und einander helfen. Ich meine, das Beispiel Emma Watson zeigt doch, wie ungehemmt heutzutage immer noch ganz klare Grenzen überschritten werden.

WIRED: Hast du eine Erklärung dafür?
Wizorek: Laurie Penny hat dazu einen guten Text geschrieben, der sich mit dem #gamergate beschäftigt, aber die Angriffe auch in allgemeinen Kontext rückt. Nicht nur in der Gaming-Szene findet derzeit ein heftiger Backlash statt, der jegliche Relation verloren hat. Laurie Penny schreibt dazu: Die dort verlieren ihr Vorrecht und wissen nicht, warum – deswegen reagieren sie so extrem. Medien sollten auch in jeder Berichterstattung klarmachen, dass es sich bei Online-Bedrohungen oder unerlaubten Veröffentlichungen wie den Promi-Nacktfotos auch um Straftaten handelt.

WIRED: Es heißt ja häufig: Dann dürfen diese Leute halt keine Nacktfotos von sich machen!
Wizorek: Jeder andere Hack, bei dem Daten entwendet werden oder es sich um Identitätsbetrug handelt, wird anders bewertet. Nur bei weiblicher Sexualität und Körpern werden solche Überschreitungen immer noch als normal dargestellt. Rashida Jones bringt es in einem Tweet eigentlich ziemlich gut auf den Punkt, in dem sie schreibt, diese unerlaubten Veröffentlichungen seien vor allem ein Akt gewesen, um mächtige Frauen kleiner zu machen.

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WIRED: Aber da kann man doch auch online einschreiten, oder? Wir sind ja hier am anderen Ende der Welt.
Wizorek: In solchen Situationen sollten wir wieder mehr Rückendeckung geben und Position beziehen. Ich meine, ständig werden Frauen im Netz angegriffen und bekommen als erste Reaktion wohlmeinende Tipps, was sie denn nun hätten anders machen sollen. Diese Tipps sind vielleicht nett gemeint, umschiffen aber das Problem, dass überhaupt ein Angriff stattfindet. Diese Argumente fangen immer beim Opfer an und nicht beim Täter, das muss sich ändern. Das ist quasi eine andere Übersetzung für: „Dann hättest du den kurzen Rock halt nicht anziehen dürfen.“

Die Medien sollten deutlich machen, dass es sich bei Online-Bedrohungen oder Promi-Nacktfoto-Leaks um Straftaten handelt.

WIRED: Was erwartest du von der deutschen Politik?
Wizorek: Ich erwarte eine Änderung von ganz bestimmten Paragraphen zugunsten der Opfer: Dem „Vergewaltigungsparagraphen“ § 177, der sexuelle Nötigung und Vergewaltigung betrifft, oder dem Paragraphen § 238, der als „Stalking-Paragraph“ bekannt ist. Ich fordere die Abschaffung des Paragraphen § 218, in dem es um Schwangerschaftsabbruch geht und der das Grundrecht auf körperliche Selbstbestimmung von Frauen eindeutig einschränkt. Hier soll die Politik von ihrer antiquierten Haltung abrücken, die nur dazu da ist, um Frauen zu bevormunden. Selbiges gilt für die „Pille danach“: Sie steht immer noch unter Rezeptpflicht, obwohl sie statistisch gesehen viel weniger Nebenwirkungen hervorruft als zum Beispiel Aspirin, das man problemlos einfach so in jeder Apotheke kaufen kann. Auch beim Thema Quote wurde schon wieder zurückgerudert.

WIRED: Warum gehst du nicht in die klassische Politik, du hast ja sehr konkrete Vorstellungen und Vorschläge und kannst sie sogar erklären?
Wizorek: Ich genieße durchaus die Flexibilität, als Aktivistin außenstehend zu sein. Ich habe die Freiheit zu sagen: Hier, das ist meine Expertise, ich kann euch unterstützen oder beraten. Ohne dass mich eine Parteibindung einschränkt. Momentan bin ich ganz zufrieden, wie es ist. 

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