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Warum die Europa-Quote bei Netflix Fluch und Segen zugleich sein könnte

von Cindy Michel
Die EU-Kommission will Netflix und anderen Streaming-Diensten angeblich eine Zwangsquote für Filme und Serien aus Europa aufbrummen. Totaler Quatsch? Nicht unbedingt – vorausgesetzt Til Schweiger profitiert am Ende nicht davon, kommentiert unsere Autorin Cindy Michel.

Die EU könnte schon bald eine Zwangsquote für europäische Produktionen bei Streaming-Anbietern wie Netflix einführen: 20 Prozent der Video-on-Demand-Bibliotheken sollen für Produktionen vom Kontinent reserviert werden. So in etwa las sich die Schlagzeile, die ich gestern noch als dermaßen abstrus abtat, dass ich sie gleich wieder verdrängte – und noch eine Folge Grace and Frankie schaute. Als mich heute dann ein Kollege fragte, was ich von der Meldung halte, erinnerte ich mich wieder.

Erst ganz vage, so als ob man die Titelmelodie einer Serie im Ohr hat, ohne auf den Namen oder gar die Handlung der Show zu kommen. Man fängt an, sie zu summen. Vorsichtshalber ganz leise, denn irgendwie ahnt man schon, dass die Sendung wohl nicht zum Vorzeige-Kanon der Serienwelt gehört, eher ins Fast-Food-Segment. Die, die kurz satt machen, aber nicht befriedigen. Von denen einem auch schon mal schlecht wird – je nach Darsteller, Handlung oder übermäßigem Konsum. Und dann – bämm! – erinnert man sich doch plötzlich an die Show. Ich in meinem Fall an die Meldung.

Übel ist mir beim nochmaligen Lesen dann nicht geworden, aber unwohl. Es war diese Art von Unwohlsein, die man hat, wenn man sich auf den Tatort freut, und dann plötzlich Til Schweigers aka Nick Tschillers schmerzverzerrt-blutverkrustetes Gesicht debil in die Kamera lächelt. Dazu ein vertrautes Genuschel aus dem Off, das die Tschiller'schen Heldentaten erklärt – von zielsicheren Ballermann-Missionen bis zum Papa aus Leidenschaft. Pardon, jetzt ist mir schlecht.

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Denn genau solche Bilder (und noch schlimmere) fluteten meine Synapsen, als ich über die angeblich drohende Zwangsquote für europäische Produktionen bei Netflix und Co. nachdachte. Zugegeben, ich übertreibe, es gibt auch verdammt gute europäische Produktionen. Die Österreicher etwa liefern ganz großes Fernsehen in ihrem eigenen wunderbar verschrobenen Stil ab. Die Skandinavier und Briten machen großes Krimikino.

Aber für Deutschland könnte das Thema etwas heikler werden – vor allem, wenn Produzenten wie Schweiger oder Schweighöfer ganz hell am TV-Who-is-Who-Firmament strahlen – und auf Du und Du und Bussi links, Bussi rechts mit der Filmförderungsanstalt (FFA) sind. Natürlich hat auch Deutschland seine großen Talente, aber eher doch noch unter einem Indie-Mäntelchen versteckt, weit ab vom seichten Mainstreamquatsch.

Aber der Reihe nach: Neben der Zwangsquote – das Wort an sich ruft schon ziemlich düstere Assoziationen hervor – soll die EU auch eine höhere Versteuerung von Video-on-Demand-Anbietern anstreben. Die Einnahmen daraus sollen wiederum in die europäische Medienlandschaft investiert werden. Auf den ersten Blick gar nicht schlecht. Die Frage ist nur, wem diese Förderung letztlich wirklich zugute kommt und wie damit neue Formate vorangetrieben werden können.

Aber eine Zwangsquote einzuführen, ist meines Erachtens in jedem Fall kontraproduktiv. Warum soll Netflix nationale Produktionen einkaufen, obwohl diese vielleicht gar nicht den qualitativen Ansprüchen des Streaming-Dienstes entsprechen? Mal ehrlich, wer hat sich nicht gewundert, als er zuletzt durch Netflix stöberte und plötzlich den ewigen Bademantelträger und Kioskschlurfer Dittsche sah? Dittsche und Schildkröte waren mal gut, keine Frage. Aber muss ich die auf Netflix haben? Nein.

Wer Netflix oder andere Streaming-Dienste abonniert, hat sich nicht per se gegen das traditionelle TV-Programm entschieden – sehr wohl aber bewusst für offenere Inhalte und Alternativen zu den eher drögen und geradlinigen deutschen Produktionen. Denn Netflix und andere VoD-Anbieter stehen auch in Europa nach wie vor für erstklassige, prämierte Serien wie House of Cards, Orange Is The New Black oder Fargo. Shows, die man eben nicht im klassischen Fernsehprogramm findet – und falls doch, dann meist erst Monate später.

Sollte aber die 20-Prozent-Zwangsquote tatsächlich kommen, könnte sich das ändern. Denn dann müsste die US-Plattform womöglich billige und qualitativ minderwertigere Produkte aus heimischen Gefilden einkaufen, nur um den EU-Vorgaben gerecht zu werden. Angeblich sollen die europäischen Produktionen auch noch prominent auf der Startseite platziert werden.

Das ist alles ziemlich antiquiert – und überflüssig. Denn schon jetzt investiert Netflix in europäische Produktionen wie etwa Marseille, die französische Serie mit Gerard Depardieu kann seit Anfang Mai gestreamt werden. Im Hinblick auf die Historie gar keine große Überraschung und absolut nachvollziehbar, bedenkt man die tragende und triumphale Rolle, die Frankreich seit Anbeginn des Kinos in der Filmgeschichte spielt.

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So gesehen erscheint es gar nicht so schlecht, eine Mischung aus amerikanischen Serien und französischem Arthouse könnte durchaus spannend werden. Ich muss nur irgendwie rausfinden, wie man Rosamunde Pilcher und Nick Tschiller blockt, dann wird alles gut.

Und wer weiß, vielleicht kommt es ja alles ganz anders: Vielleicht schafft das Vorhaben der EU-Kommission sogar einen Plot Point für den Deutschen Film. Wenn die Underdogs der Filmindustrie Dank VoD-Subventionen endlich zum Zuge kommen und den deutschen Film mit Out-Of-The-Box-Denken wieder auf internationale Klasse heben. 

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