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Die Rassismus-Probleme des Internets lassen sich an einer Hand ablesen

von Max Biederbeck
Johanna Burai legt Wert auf Hände und bekommt dafür Hass-E-Mails. Alles begann vor einem Jahr, als die Studentin aus Stockholm für ein Kunst-Projekt über menschliche Sinne passende Bilder suchte: eine Nase für den Geruchsinn, Ohren zum Hören, Augen zum Sehen, und eben Hände zum Tasten — und genau die waren alle weiß. Seitdem will Burai auf eine Tatsache aufmerksam machen: Wir haben viel zu lange in einem „World White Web“ gelebt.

Als Burai Diversität in ihre Projektbilder bringen wollte, scheiterte sie. Die 30-Jährige suchte bei Google nach einer schwarzen Hand und bekam einfach keine angezeigt. Über 800 Ergebnisse auf die Anfrage „Hände“ durchforstete sie. Nichts. Dann änderte sie die Kriterien und ließ den Algorithmus nach „schwarze Hände“ suchen. Wieder keine brauchbaren Bilder, nur ein paar Vektor-Graphiken und Schattenschnitte. Als sie dann irritiert „afrikanische Hände“ eintippte, tauchten endlich Ergebnisse auf. Die meisten davon, so sagt Burai, würden allerdings Stereotype abbilden. „Betende Hände, bettelnde Hände, die Hände von Farmern“, erinnert sie sich.

Google ist nicht schuld, das ist nur ein Spiegel unserer eigenen Vorurteile.

Johanna Burai

Schon damals ließen diese Bilder die Schwedin nicht mehr los. Sie fing an, sie zu sammeln. Vor allem in Foto-Portfolios, in der Werbung oder bei Kunstausstellungen wurde sie fündig. Überall weiße Hände. Schließlich brachte sie ein Kunst-Zine an ihrer Universität heraus, dem Beckmans College of Design in Stockholm, in dem sie versuchte, das Weiß des Internets abzudrucken. Am College studiert die Schwedin Visual Communications und dort entstand auch ihr Plan, etwas gegen den Rassismus in der Suchmaschine zu tun. „Google ist nicht verantwortlich für diese Zustände, es ist nur ein Spiegel unserer eigenen Vorurteile und Engstirnigkeit“, sagt sie überzeugt.

Für die Mitarbeiter des Suchmaschinenkonzerns werden solche Sätze wohl Balsam sein. Google ist zuletzt mit Negativ-Schlagzeilen aufgefallen, weil Suchanfragen aus der Kombination von rassistischen Begriffen und dem Wort „House“ zur Website des Weißen Hauses führten. Vor allem User aus Washington D.C. bekamen in solchen Fällen die Adresse des US-Präsidenten, 1600 Pennsylvania Avenue, bei Google Maps angezeigt.

Es ist schwer, Google zu verändern, aber es geht.

Johanna Burai

Google reagierte auf die Rassismus-Anschuldigungen und versprach schnelle Aufklärung. Auch eine der größten Foto-Plattformen im Netz, Flickr, kam vor Kurzem in Bedrängnis, nachdem die automatische Bilderkennung des Dienstes die Fotos von Menschen mit dunkler Hautfarbe mit Schlagwörtern wie „Ape“ oder „Animal“ versehen hatte.

Johanna Burai hat für dieses Phänomen den Namen „World White Web“ gefunden. „Es ist rassistisch, dass bei Suchanfragen nur die Farbe der vermeintlichen Mehrheitsgesellschaft abgebildet wird, egal ob in Schweden oder sonstwo“, sagt sie. Vergangene Woche hat sie deshalb ihr neustes Projekt gestartet. Dafür traf sie sich mit SEO-Profis. „Sie sagten mir, dass es schwierig wird, etwas gegen die Masse an weißen Bildern zu tun“, erzählt Burai. „Aber es geht.“ SEO steht für Search Engine Optimization und beschreibt die Verschlagwortung und Verlinkung (sowie Rückverlinkung) von Bildern, Texten und Webseiten. Je ordentlicher SEO vorgenommen wird, desto besser bewertet Google eine Website. Nur so können Links und Bilderlisten weit oben in den Listen der Suchmaschine auftauchen.

Meine Seite ist nicht dazu da, diese Leute umzustimmen, ich denke, die sind verloren.

Johanna Burai

In ihrem Projekt „World White Web“ hat Burai nun zahllose Bilder von Händen mit dunkler Hautfarbe zusammengestellt, die einzeln geteilt und verlinkt werden können. Innerhalb einer Woche wurden sie schon tausendemal geteilt, verlinkt, in Medienartikeln und von Facebook und Twitter-Usern weltweit. „Es ist mir wichtig, dass der Kreislauf durchbrochen wird, in dem Rassismus reproduziert wird“, erklärt sie. Teilen genug User die Bilder von Burai, dann tauchen sie in der Bildersuche zwischen all den weißen Händen auf. „Ich habe bewusst auf Gesichter verzichtet, weil Leute zu viel in sie hinein lesen. Ist eine Person hübsch, symphatisch oder hässlich?“, erklärt sie. Das gehe mit Händen nicht so einfach.

Auch eine große amerikanische Troll-Seite sei auf ihr Projekt aufmerksam geworden, sagt Burai. Das sei der Grund für die Hass-Mails, die sie nun bekommt. Die Studentin möchte den Namen des Portals nicht im Artikel sehen, weil sie ihm keine Plattform geben will. Nur so viel: Die Verharmlosung des Problems, die Ignoranz und Diffamierungen von Burai sind die harmlosesten Kommentare, denen sie ausgesetzt ist. „Meine Seite ist nicht dazu da, diese Leute umzustimmen, ich denke, die sind verloren“, antwortet sie.

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