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Wirtschaftsnobelpreisträger Jean Tirole erklärt das Internet

von Katharina Brunner
Google, Spielekonsolen, Open-Source: Viele Phänomene der digitalen Welt lassen sich mit Theorien erklären, die Wirtschaftsnobelpreisträger Jean Tirole mitentwickelt hat.

Der Professor für Industrieökonomie an der Universität in Toulouse beschäftigt sich mit Märkten aller Art, um ihre Funktionsweise zu verstehen. Die Geschäftsmodelle von Facebook, Google oder Ebay und ihre jeweilige Dominanz führt er auf das Konzept der sogenannten zweiseitigen Märkte zurück: auf die im Internet allgegenwärtigen Netzwerkeffekte, bei denen der Nutzen für das einzelne Mitglied dann steigt, wenn möglichst viele andere dort angemeldet sind – erst dann. 

Eine Bedingung für die von Tirole analysierten Märkte ist die Opposition zwischen zwei verschiedene Nutzergruppen. Beispiel Suchmaschine: Menschen, die Begriffe in die Suchmaske eingeben, sind die eine Gruppe – die andere sind Werbekunden, die Google dafür Provision zahlen, dass die Links zu ihren Webseiten prominent dargestellt werden. Zwischen den Suchenden und den Seitenbetreibern, die gefunden werden wollen, agiert Google als Vermittler und Plattform, weshalb diese Theorie auch unter dem Namen Plattformökonomie bekannt ist. 

Eine ähnliche Konstellation aus Mitgliedern und Werbekunden gibt es bei Facebook, bei Ebay sind es Käufer und Verkäufer, und in App-Stores interagieren Smartphone-Besitzern mit App-Entwicklern. „Damit solche Plattformen erfolgreich sind, müssen sie beiden Seiten etwas bieten können“, schreibt Triole.

App-Entwickler werden erst aktiv, wenn es genug potenzielle Kunden gibt. Die zögern aber, solange es nicht genug Apps gibt.

Dieses Henne-Ei-Problem konnte zum Beispiel Microsoft bei seinen Smartphones nie lösen. Denn App-Entwickler werden erst aktiv, wenn es genug potenzielle Kunden gibt; gleichzeitig zögern Verbraucher, wenn es für eine Plattform zu wenige Apps gibt. 

Besonders an Spielekonsolen lässt sich eine weitere Eigenschaft dieser zweiseitigen Märkte anschaulich machen: Eine Gruppe dient als Lockmittel für die andere. Deshalb verkaufen Hersteller wie Sony oder Microsoft ihre Hardware oft relativ günstig, um in möglichst vielen Wohnzimmern und Kinderzimmern vertreten zu sein. Das wiederum soll Spieleentwickler überzeugen, in die Produktion eines Games für die jeweilige Konsole zu investieren. „Die Geschichte hat wiederholt gezeigt, dass technisch beeindruckende Plattformen wie zum Beispiel Sega in den 80er und 90er Jahren nicht funktionieren, wenn nur wenige Spiele mit hoher Qualität für sie programmiert werden“, so Tirole. Ja, klingt logisch.

Freiwillig und ohne Bezahlung an einem Programm zu arbeiten, ist auf den ersten Blick eine unsinnige wirtschaftliche Entscheidung.

Ein weiteres Themenfeld, das Tirole untersucht, ist Open-Source-Software. Freiwillig und ohne Bezahlung an einem Programm mitzuarbeiten, ist auf den ersten Blick eine unsinnige wirtschaftliche Entscheidung. Tirole und seine Kollegen glauben jedoch, dass langfristige Überlegungen wie ein höherer Wissensstand oder bessere Jobchancen in der Zukunft für die Programmierer wichtiger sind als die Aussicht auf Arbeit ohne unmittelbare Kompensation.  

Als studierter Mathematiker, Ingenieur und Ökonom argumentiert Tirole dabei streng mathematisch-formalistisch. Weltfremd zu sein, kann man dem Wirtschaftsnobelpreisträger aber trotzdem nicht vorwerfen. Seine Arbeiten zu Strom- und Telekommunikationsmärkten hatten zum Beispiel ganz realen Einfluss auf die Regulierung dieser Wirtschaftsbereiche. 

Zweiseitige Märkte tendieren zu einem „Winner takes it all“-Verhalten durch eine positive Rückkopplung: Ein Unternehmen oder einige wenige Firmen haben einen sehr großen Marktanteil, der immer weiter ansteigt, weil das Produkt mit jedem neuen Nutzer noch attraktiver erscheint. Das zeigt zum Beispiel die Debatte darüber, ob Google ein Monopolist ist oder nicht. Womöglich gibt es bald noch einen Markt, bei dessen Regulierung Politiker auf Tiroles Expertise setzen. 

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