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Neues vom Admin / Wie ein Datenbankfehler das Leben einer Farmer-Familie zur Hölle machte

von Armin Hempel
Im Job hat Admin Armin täglich mit den Absurditäten der Technologie zu kämpfen. Diese Woche stellt er einen ebenso skurrilen wie skandlösen Fall aus den USA vor: Eine Familie wird seit Jahren von Polizei, Privatdetektiven und anderen, wenig wohlgesonnenen Menschen heimgesucht – wegen des Rundungsfehlers einer Firma, die ihr Geld mit IP-Adressen verdient.

Die interessantesten Geschichten entstehen oft dann, wenn etwas vollkommen Unerwartetes passiert. Etwas, womit absolut niemand rechnet – weder die, die davon betroffen sind, noch jene, die dafür verantwortlich sind. Eine dieser Geschichten, die mich diese Woche besonders fasziniert hat, ist die der Familie Taylor. Und obwohl sie sehr, sehr weit entfernt vom Internet anfängt, zeigt sie, wie sehr das Netz uns alle angeht, auch die, die vermeintlich absolut gar nichts damit zu tun haben. Diese Geschichte spielt im Mittleren Westen der USA, in der Nähe von Wichita, im Bundesstaat Kansas.

Nur eine Autostunde von Wichita entfernt befindet sich schon seit sehr langer Zeit die Farm der Taylors. Weit weg von jeglicher Zivilisation ist die Familie seit mehr als einem Jahrzehnt in einem nicht enden wollenden Albtraum gefangen: Sie bekommt immer wieder Besuch von Agenten des FBI oder von Rettungswagen, sie wird regelmäßig von Ermittlern der Steuerbehörden und von „normalen“ Polizisten heimgesucht.

Die Taylors werden am Telefon als Betrüger und Diebe beschuldigt und man verdächtigte sie sogar, Kinder entführt zu haben. Sie haben Fremde dabei überrascht, als diese nachts ihre Scheune durchsuchten. Und eines Tages hinterließ jemand eine kaputte Toilette in ihrer Einfahrt, vermutlich als skurrile Warnung. Immerhin war es kein abgetrennter Pferdekopf.

Doch warum das alles? Dazu muss ich etwas weiter ausholen. Ein Startup namens MaxMind aus Massachusetts hat 2002 beschlossen, dass es doch ein gutes Geschäftsmodell wäre, wenn man eine Datenbank anbieten könnte, in der zu allen IP-Adressen die passenden Standortdaten hinterlegt sind. Ein Interface, in das man eine IP-Adresse eingibt und das einem dann die dazu passende Wohnadresse des entsprechenden Internetnutzers ausspuckt – ein Traum für alle Vorratsdatenspeicherer und Abmahnkanzleien!

Seit zwölf Jahren spuckt jeder Geolocation-Service der Welt für mehr als 600 Millionen IP-Adressen die Farm der Taylors aus.

Dabei gibt es nur ein klitzekleines Problem: Die Firmen, die derlei Datenbankabfragen anbieten, verfügen gar nicht über diese Daten und liegen dementsprechend häufig falsch. Denn der Besitzer einer IP-Adresse (im Normalfall der Internet-Provider) lässt sich per whois-Abfrage zwar leicht herausfinden – zu welchem seiner Kunden an welcher Wohnadresse diese IP gehört, ist aber nicht ohne Weiteres zu ermitteln. So kann einer IP-Adresse häufig nur eine Stadt, eine Gegend oder sogar nur ein Land zugeordnet werden.

Bei MaxMind wurde über diese Tatsache offenbar nicht lange nachgedacht. Anstatt einfach zerknirscht zuzugeben, dass man sich nicht sicher sei, welche Geokoordinaten zu einer bestimmten Adresse gehören, beschlossen die Entwickler, dass als Ergebnis einer ungenauen Ortung einfach der Mittelpunkt einer Region ausgegeben wird. Lässt sich eine IP-Adresse also nicht genauer eingrenzen als auf die Vereinigen Staaten, gibt MaxMind die Koordinaten der geographischen Mitte der USA aus.

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Und weil sich diese mit 39.8333333,-98.585522 vielleicht ein wenig sperrig lesen, hat MaxMind beschlossen, sie auf 38.0000,-97.0000 zu ändern – zufällig genau die Position der Taylor-Farm. Das Ergebnis dieser interessanten Rundung ist nun, dass seit zwölf Jahren jeder Geolocation-Service der Welt für mehr als 600 Millionen IP-Adressen die Farm der Taylors ausspuckt, das entspricht etwa einem Drittel der vergebenen IPv4-Adressen in den USA.

Statistisch gesprochen jedes dritte Mal also, wenn Behörden nun einer Straftat eine IP-Adresse zuordnen konnten und diese mittels eines Tools wie diesem zu orten versuchten, war das Ergebnis die Farm der Taylors. Man wagt sich das Leben dieser Familie gar nicht vorzustellen – selbst, wenn nur jede tausendste Fehlabfrage zu einem Anruf oder gar zu wirklichem Besuch durch Ordnungshüter oder Privatdetektive führte, müssen die letzten Jahre die Hölle auf Erden gewesen sein.

In Zeiten von Find-my-Phone und Snowden-Enthüllungen sind wir daran gewöhnt, immer und überall geortet werden zu können.

Kashmir Hill, die Reporterin, die in ihrem Artikel als erste auf das Phänomen aufmerksam machte, konnte darüber hinaus noch einige weitere Opfer ausfindig machen. Auf Anfrage Hills entgegnete MaxMind, dass derartige Geolocation-Datenbanken niemals dazu gedacht waren, wirkliche Wohnadressen zu ermitteln. Eine solche Aussage ist natürlich wenig hilfreich, schließlich sind wir in Zeiten von Find-my-Phone und den Snowden-Enthüllungen daran gewöhnt, immer und überall geortet werden zu können – Ungenauigkeiten werden dabei heutzutage seltener hinterfragt als noch vor zehn Jahren. Und so häufen sich die Anrufe und Belästigungen bei den Taylors und bei den anderen unbeabsichtigten Opfern dieser Dienste.

Kashmir Hill hat MaxMind im Rahmen ihrer Recherchen nun immerhin zu der Aussage bewegen können, dass in Kürze alle derartigen Stellvertreter-Koordinaten in die Mitte von größeren Seen verlegt werden sollen, um Belästigungen Unschuldiger in Zukunft zu verhindern.

Bleibt nur zu hoffen, dass alle anderen großen Geolocation-Dienste dieses Verfahren schnellstmöglich übernehmen und die Taylors dann auch wirklich wieder ihre Ruhe haben – schließlich findet niemand gern kaputte Toiletten im Vorgarten.

Letztes Mal bei „Neues vom Admin“: Was Armin Hempel mit seiner neuen Racing-Drohne erlebt hat 

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von WIRED Staff