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Mordaufträge und Darknet-Deals: Wenn der Silk-Road-Chef mit den Hells Angels chattet

von Sonja Peteranderl
Chat-Protokolle zwischen dem Silk-Road-Betreiber „Dread Pirate Roberts“ und einem Vertreter der Hells Angels offenbaren, dass der Darknet-Drogenhandel alles andere als eine friedliche Alternative zum klassischen Drogengeschäft ist. Um seine Plattform zu schützen, soll der Online-Dealer bei den Rockern sogar Morde in Auftrag gegeben haben.

Unterhalten sich der Chef des bekanntesten Online-Drogenmarktplatzes der Welt und ein Hells Angel. Sie ärgern sich über einen Dealer und beschließen einen Mehrfachmord. Was klingt wie der Anfang eines makabren Witzes, ist eine Begebenheit, die sogar in Chat-Aufzeichnungen dokumentiert ist.

Anstatt Silk Road und die Rocker gegeneinander auszuspielen, brachte der Erpresser sie dazu, sich zu verbünden.

Die Protokolle, die vom beschlagnahmten Silk-Road-Server stammen sollen, wurden am Montag während des Prozesses gegen Ross Ulbricht verlesen. Ulbricht steht wegen Anklagepunkten wie Drogenhandel und Geldwäsche vor Gericht, ihm wird vorgeworfen, hinter dem Pseudonym „Dread Pirate Roberts“ zu stecken und Silk Road betrieben zu haben. 2013 hatten Ermittler den florierenden Online-Schwarzmarkt geschlossen und Ulbricht in einer Bibliothek in San Francisco festgenommen. Sie stellten dabei auch Beweise wie eine Tabelle mit Finanzen, Tagebuchauszüge und die besagten Chat-Logs sicher.

Der Dealer „FriendlyChemist“, Anlass für das Chat-Gespräch mit den Hells Angels, hatte einen vermeintlich schlauen Coup geplant: Er schuldete den Rockern nach einem Online-Deal 700.000 Dollar für eine Drogenlieferung — die Rechnung begleichen sollte allerdings der Chef von Silk Road. Sonst würde er die Namen dutzender Verkäufer und tausender Kunden der Plattform veröffentlichen, die er bei einer Hackerattacke erbeutet hatte, drohte „FriendlyChemist“. Doch anstatt die beiden Parteien gegeneinander auszuspielen, brachte er sie dazu, sich zu verbünden.

FriendlyChemist ist eine Belastung, mir würde es nichts ausmachen, wenn er ermordet würde.

Auzug aus dem Chat-Protokoll

„In meinen Augen ist FriendlyChemist eine Belastung und mir würde es nichts ausmachen, wenn er ermordet würde“, schrieb „Dread Pirate Roberts“ im März 2013 an den angeblichen Hells Angel, der sich „Redandwhite“ nennt — nach den Vereinsfarben des Motorradclubs, der auch im Drogengeschäft aktiv ist. Ob er einen sauberen Mord wolle, der nach Unfall aussehe, wollte der Rocker daraufhin wissen. In weiteren Chat-Nachrichten führte er dem Silk-Road-Chef in die Preisgestaltung für ein Mordkommando ein: 150.000 bis 200.000 Dollar für zwei Killer inklusive Reisekosten, 300.000 Dollar oder mehr, wenn es keine Spuren geben soll.

Offenbar überwies „Dread Pirate Roberts“ die geforderte Summe anschließend per Bitcoin-Transfer. „Dein Problem wurde gelöst“, schrieb „Redandwhite“ am 1. April 2013. Zum Beweis schickt er seinem Auftraggeber ein Foto des Toten. Doch es gab ein weiteres Problem: Noch ein Mann war in den Erpressungsversuch involviert. Ebenfalls ein Dealer, der auf Online-Plattformen wie Silk Road immer wieder dieselbe Masche abgezogen hatte: Er verkaufte Drogen und blieb eine Weile zuverlässig, um positive Bewertungen auf der Plattform zu sammeln. Wenn es sich jedoch richtig lohnte, tauchte er mit den Bitcoins unter, ohne die Ware zu liefern. Auch dieser Betrüger sollte sterben, sowie drei weitere Männer, die in seiner WG wohnten. Mitte April vermeldete der Hells Angel erneut per Chat-Nachricht: „Das Problem wurde gelöst.“ 500.000 Dollar kostet der Mehrfachmord den Silk-Road-Chef.

Ein substantieller Anteil der Transaktionen auf Silk Road lässt sich am besten als Business-to-Business bezeichnen.

Auszug einer Studie über Online-Drogenhandel

Die Chat-Protokolle — sofern authentisch — zeigen, dass der Drogenhandel im Internet keine gewaltfreie Alternative zum klassischen Drogengeschäft bietet. Und sie offenbaren die potentiellen Schnittstellen zwischen Online-Dealern und organisierter Kriminalität. „Dread Pirate Roberts“ versuchte demanch sofort, eine Geschäftsbeziehung zu den Hells Angels anzubahnen: „Abgesehen von FriendlyChemist sollten wir darüber sprechen, wie wir ins Geschäft kommen können. Ihr habt offensichtlich Zugang zu großen Mengen illegaler Substanzen und habt Probleme mit Dealern“, schreibt er gleich in der ersten Nachricht an die Rocker. Falls die nicht schon auf Silk Road Drogen verkaufen würden, sollten sie es schleunigst ausprobieren: „Viele Leute kaufen hier in großen Mengen ein.“ Der Hells Angel ist einer Expansion ins Netz nicht abgeneigt — wenn sie „lukrativ“ sei.

Es sei irreführend, Silk Road als ein „eBay für Drogen“ zu bezeichnen, argumentieren auch die Kriminologen Judith Aldridge und David Decary-Hetu in ihrer Studie. Über die Plattform seien nicht nur Privatverkäufe in kleineren Mengen abgewickelt worden. „Als wir die Angebote analysierten, war es offensichtlich, dass viele Verkäufer größere Mengen anboten, zu Preisen und in einer Terminologie, die es nahelegen, dass ihnen bewusst war, dass die Kunden ebenfalls Dealer sind“, schreiben die die Wissenschaftler. Sie glauben, dass Silk Road hauptsächlich Großdealern als Verkaufsplattform diente, die an kleinere Straßendealer weiterverkauften — oder an Käufer, die im Netz Rohstoffe bestellen, um sie zu synthetischen Drogen weiterzuverarbeiten. „Ein substantieller Anteil der Transaktionen auf Silk Road lässt sich am besten als Business-to-Business bezeichnen“, heißet es in der Studie.

Statt die Mechanismen des traditionellen Drogenhandels außer Kraft zu setzen, werden Onlineplattformen wie Silk Road so für kriminelle Gruppen zum zusätzlichen Vertriebskanal. Und auch das online abgewickelte Drogengeschäft wird immer noch mit den bekannten Gewaltmechanismen abgesichert — zum Beispiel der Todesstrafe für Dealer, die ihre Geschäftspartner betrügen. 

Den mutmaßlichen Silk-Road-Betreiber Ulbricht der Anstiftung zum Mord zu überführen, ist den Ermittlern bisher allerdings nicht gelungen. Die Ankläger haben bisher weder die Opfer noch weitere Beweise für deren Ermordung gefunden. 

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