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Die wissenschaftliche Erklärung, warum manche dieses Kleid als weiß wahrnehmen — und andere als blau

von Moritz Geier
Kein Kleid hat in letzter Zeit so viel Aufmerksamkeit bekommen wie dieses: Das Foto einer rätselhaften Robe auf Tumblr spaltet die Internetgemeinde quer durch alle sozialen Medien. Weiß und golden sei das Kleid, behauptet die eine Seite — nein, schwarz und blau sei es, hält die andere dagegen. Wer hat recht, und wer nur Wahrnehmungsprobleme? Der Grund für diesen Streit liegt in der Biologie des menschlichen Auges.

Die Auflösung zuerst: Das Kleid, dessen Farbe so viele Leute als weiß beschreiben, ist in Wirklichkeit blau. Ob der zweite Farbton golden oder schwarz ist, scheint dagegen schwerer bestimmbar zu sein. Aber warum nehmen Menschen gerade dieses Bild so unterschiedlich wahr? Eine ganz entscheidende Rolle scheinen der Hintergrund und der Einfluss des Tageslichts zu spielen.

Zur Erklärung der komplexen optischen Täuschung muss man einen Blick in die Anatomie des menschlichen Auges werfen: Licht fällt durch die Linse ins Auge, dabei entsprechen verschiedene Wellenlängen verschiedenen Farben. Das einfallende Licht wird in der Netzhaut in Nervenimpulse umgewandelt, die zur Sehrinde gesendet werden, also in den Teil des Gehirns, der Farbimpulse in Bilder verarbeitet.

 

 

Jetzt wird es entscheidend: Der erste Lichtblitz, der auf das Auge trifft, besteht immer aus den Wellenlängen, die die Welt um den Menschen herum erhellen und ausleuchten. Sie werden von den Gegenständen reflektiert, auf die man gerade blickt. Ohne dass wir uns aktiv darum kümmern müssten, findet das Gehirn dann heraus, welche Lichtfarbe von dem betrachteten Gegenstand zurückgeworfen wird. Diese Farbe subtrahiert es dann gleichsam von der eigentlichen Farbe des Gegenstandes.

„Unser visuelles System soll eigentlich die Informationen über die Lichtquelle wegwerfen und die Informationen über den eigentlichen Gegenstand herausfiltern“, erklärt Jay Neitz, Neurowissenschaftler an der University of Washington gegenüber WIRED US. Neitz beschäftigt sich nach eigener Aussage seit 30 Jahren mit individuellen Unterschieden in der Farbwahrnehmung. Das Foto des Kleides gehört auch für ihn zu den größten Sonderfällen, die er bisher gesehen hat.

Irgendetwas im Foto stört die Fähigkeit des Auges, Farben trotz Tageslicht-Einfluss richtig zu erkennen.

Normalerweise funktioniert das visuelle System reibungslos. Das menschliche Auge hat sich so weiterentwickelt, dass es bei Tageslicht optimal funktioniert, auch wenn dieses über den Tag hinweg sehr stark variiert: Das Spektrum reicht vom rosaroten Licht der Morgendämmerung über bläulich-weißes Mittagslicht bis zu den Rottönen des Abendlichts. Der Grund für die unterschiedliche Farbwahrnehmung des mysteriösen Kleides könnte darin liegen, dass irgendetwas im Bild die Fähigkeit des menschlichen Auges stört, Farben trotz des Einflusses von variierenden Tageslichtausprägungen richtig zu erkennen.

„Während du das Bild betrachtest, versucht dein visuelles System die farbliche Verzerrung abzuziehen, die durch ein bestimmtes Tageslicht hervorgerufen wird“, erklärt der Neurowissenschaftler Bevil Conway gegenüber WIRED US. „Deswegen ignorieren manche Leute den bläulichen Einschlag und nehmen letztendlich Weiß- und Goldtöne wahr, oder sie ignorieren den goldenen Einschlag und nehmen das Kleid daher blau und schwarz wahr.“

Eine Photoshop-Analyse zeigt: Die Teile des Kleides, die viele als weiß wahrnehmen, sind in Wirklichkeit blau.

Conway, der Farbwahrnehmung am Wellesley College erforscht, sieht die Farbe des Kleides selbst als blau und orange. In einer Photoshop-Analyse zeigt er, dass die Teile des Kleides, die viele als weiß wahrnehmen, vom Computer tatsächlich als blaue Farbtöne erkannt werden.

Und damit nicht genug: Der Bildhintergrund begünstigt die optische Täuschung noch zusätzlich. Das Gehirn versucht einen Farbkontext für das Bild einzufügen — mithilfe der wenigen Hinweise, die das Bild und sein Hintergrund liefern. Dann entscheidet es sich für eine Farbe für das Kleid. Jay Neitz sah auf dem Bild selbst zunächst ein weiß-goldenes Kleid, änderte dann aber seine Meinung — nachdem er das Foto ausdruckte, einen Teil des Kleides herausschnitt und für sich allein betrachtete. 

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