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Warum der Film „Who am I“ die Hacker-Kultur nicht verstanden hat

von Caspar Clemens Mierau
Stellen wir uns vor, es gäbe ein Genre „Hackerfilme“. Wir würden alle Filme dazu zählen, in denen Hacker eine tragende Rolle spielen: die „Matrix“-Trilogie, den Kalter-Krieg-Klassiker „War Games“ und den deutschen Film „23 - Nichts ist, wie es scheint“, der die Geschichte um den Tod des Hackers Karl Koch nacherzählt. Setzen wir nun den gerade erschienenen Film „Who am I“ auf die Liste. Trägt dieser junge deutsche Streifen etwas zum Genre Hackerfilme bei oder ist er nur ein kurzweiliger Film, der zufällig Hacker als Protagonisten hat?

Hackerfilme gibt es spätestens seit den 1980er Jahren. „War Games“ (1983) hat als einer der frühen Streifen eine ganze Generation geprägt. Nach dem Kinostart des Klassikers stieg der Verkauf von Modems in den USA spürbar. Mit „23“ (1998) ist in Deutschland ein Film auf wahren Begebenheiten des „KGB-Hacks“ gelungen, zu dem sogar ehemals beteiligte Hacker sagen, dass er die Stimmung in der Szene gut eingefangen habe. Spätestens Lisbeth Salander hat in der schwedischen „Millenium“-Trilogie gezeigt, dass starke Hacker-Charaktere nicht männlich sein müssen. Hackerfilme können also punktuell wichtige Thematiken besetzen und Impulse geben. Sieht man sich die Film-Plakate von „Who Am I“ an, gibt es Anlass zur Hoffnung: Der Protagonist Benjamin Engel (hervorragend besetzt mit Tom Schilling) steht da mit einer Anonymous-artigen Maske. Hacker-Kollektive: ein bisher filmisch nicht ausreichend behandeltes Feld. Hervorragend.

Man wundert sich, dass die Tastaturen nicht direkt mit dem Penis bedient werden.

Caspar Clemens Mierau

In dem Film battlen sich mehrere Gruppen um Ruhm in der Community. Anonymous und LulzSec werden als reale Beispiele kurz erwähnt. Doch was in „Who Am I“ tatsächlich thematisiert wird, ist etwas anderes: Die politische Motivation der Gruppen und persönlichen Motive der Protagonisten weichen einem spätpubertärem Schwanzvergleich. Wer hat den mutigsten Hack? Wer hackt das schwierigste Ziel? Hier geht es eigentlich um Auseinandersetzungen, wie sie eher bei den Releasegruppen für Filme zu finden sind (und schon auf den Punkt in der Web-Serie „The Scene“ präsentiert wurden).

Der Kampf von Hackern mit- und gegeneinander wurde bereits vielfach kurzweilig in den Mittelpunkt von Filmen gestellt. Erinnert sei an den epischen Kampf um eine TV-Station zwischen Crash Override (Jonny Lee Miller) und Acid Burn (Angelina Jolie) in „Hackers“ (1995), der bei schnellen Schnitten zu Prodigys „Voodoo People“ technologisch völlig unsinnig war und dennoch ein 90er-Jahre Allmachts-Gefühl der Hacker-Community vermittelte.

Der Film ist leider in den 90er Jahren steckengeblieben. Doch in den 90ern waren ihm einige Filme längst voraus.

Caspar Clemens Mierau

In „Who Am I“ vollzieht sich die direkte Konfrontation zweier Hacker durch die Übergabe einer (Trojanischen) Pferdestatue im Cyberspace. Das ist bestenfalls einfallslos und man vermutet einen „Aha, ein Trojanisches Pferd - das habe ich verstanden“-Effekt, der beim Zuschauer ausgelöst werden soll. Es ist filmisch unentschieden zwischen Realitätsanspruch und Fiktion. Ein Hacker-Film muss kein Dokumentarfilm sein, er muss nur in sich funktionieren. Dabei gibt es durchaus Beispiele aus Hollywood mit vorbildlicher Nutzung echter Software in Filmszenen. So dürften Zuschauer, die bei „Matrix Reloaded“ (2003) nicht eingeschlafen sind, den Portscanner Nmap im Einsatz gesehen haben. Noch optisch ansprechender wurde in „Tron Legacy“ (2010) der Text-Editor Emacs korrekt als Shell-Konsole gezeigt.

In „Who Am I“ ist man bemüht, hier und da ein wenig Tech-Talk einstreuen. Man merkt, dass die Filmemacher beraten wurden und doch sind sie da, die Fremdschäm-Momente. Wenn zum Beispiel behauptet wird, jemand würde Maschinensprache verstehen oder zwischen Tür und Angel von Zero-Day-Exploits fabuliert wird. Und auch die dezent im Hintergrund platzierte Flasche Flora Power ist kein Meilenstein der Hacker-Kultur-Referenz. Dagegen gab es in „Hackers“ schon ganze Werbespots für Jolt Cola.

„Who Am I“ wartet weder mit beeindruckenden Darstellungen des Hackens noch mit einer ernstzunehmenden Thematisierung von Hackerkollektiven auf. Stattdessen zeigt er Hacken als Heist-Movie: Für quasi jeden großen Hack im Film muss die vierköpfige Männergruppe in irgendein Gebäude eindringen. 2014. Hallo, Internet? Abgesehen von der völligen Idiotie, sich mal eben ins BND-Gebäude zu stehlen, erinnert die Gruppendynamik nur zu stark an „Sneakers - Die Lautlosen“ (1993). Auch dieser Film beginnt mit dem Hack einer Universität, endet bei einer großen Bundesbehörde und zeigt vorfahrende Lieferwagen und Einbrecher mit Netzwerkkenntnissen.

Wer seichte Popcorn-Unterhaltung mit schnellen Schnitten, Szenen in Berlin und guter Musik sucht, ist hier gut aufgehoben. 

Caspar Clemens Mierau

Was also bleibt in Erinnerung von „Who Am I“? Es ist ein Detail, das überrascht: Die Underground-Chats werden im Film als surreale Szenen mit maskierten Menschen und verfremdeten Stimmen in U-Bahn-ähnlicher Atmosphäre gezeigt. Es sind unangenehme Szenen, die als Visualisierung des schlecht visualisierbaren Cyberspace funktionieren. Spricht man mit Menschen, die den Film gesehen haben, sind es diese kurzen Sequenzen, die sich am meisten eingeprägt haben. Das war ein mutiger Schritt und es zeigt, dass der Realitätsanspruch in Hackerfilmen durchaus über Bord geworfen werden darf, um ein bestimmtes Gefühl zu vermitteln. Die kalte, bedrohliche Anonymität der Underground-Boards wurde gut und einprägsam festgehalten.

Doch das ist für einen Film nicht viel. Wertet man „Who Am I“ als Thriller, steht er gut da und weiß zu unterhalten. Es ist ein kurzweiliger deutscher Film. Wer seichte Popcorn-Unterhaltung mit schnellen Schnitten, Szenen in Berlin und guter Musik sehen will, ist hier gut aufgehoben. Hofft man jedoch auf den Film als neuen Eckpfeiler in der filmischen Behandlung der Hacker-Kultur, wird man bestenfalls enttäuscht. Bis auf die Zwischensequenzen gibt es keine neuen Eindrücke, keine inhaltliche Auseinandersetzungen. Statt dessen gibt es nur eine Horde Testosteron-gestärkter hackender Männer. Frauen bleiben in diesem Film Technik bis auf lapidare Ausnahmen ganz fern. Vom Bechdel-Test ganz zu schweigen. Man wundert sich, dass die Tastaturen nicht direkt mit dem Penis bedient werden.

Der größte Fehler des Films aber ist es, die eigentlichen Intentionen der Hacker nicht zu beleuchten. Die Charaktere bleiben eindimensional. Es wäre die große Chance gewesen, etwas über die Motivation hinter Hacker-Kollektiven und digitalen Grenzübertritten zu zeigen. Man hätte ethische Fragen aufwerfen können, statt Drogenparties und Sex als Belohnung für gelungene Hacks zu präsentieren. Was das angeht, ist der Film leider in den 90er Jahren steckengeblieben. Doch in den 90er Jahren waren ihm einige Filme schon voraus. 

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