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Diese Cybercrime-Trends werden uns 2016 beschäftigen

von Sonja Peteranderl
Privatüberwachung, Crowdfahndung, Outsourcing von Terrorismus und gestreamte Morde: Diese Cybercrime-Trends werden uns im kommenden Jahr beschäftigen.

#1 Terrorismus als Steilvorlage: Die Abwägung zwischen Freiheit und Kontrolle gerät seit den Terroranschlägen von Paris noch mehr aus dem Lot
Die Anschläge von Paris waren eine Steilvorlage für die Forderung nach erweitertem Überwachungs- und Zugriffsspielraum und mehr Ressourcen für Geheimdienste, aber auch Polizei. In einer Rede nach den Attentaten hoffte FBI-Direktor John Brennan darauf, dass Paris zu einem „Weckruf“ werden würde — auch für die Debatte um Verschlüsselung. Vertreter von Sicherheitsbehörden fordern die Einrichtung von Backdoors für den Staat und Zugriff auf Daten von Messenger-Diensten wie Telegram. Aktivisten und Datenschützer wehren sich dagegen, dass Millionen ganz normaler Nutzer kriminalisiert, überwacht und durch Backdoors, die Hackerattacken und den Schwarzmarkt mit Exploits fördern, gefährdet werden.

#2 Digitales Schlachtfeld: In den sozialen Netzwerken findet ein Outsourcing von Terror statt
Auch vor Daesh (IS) haben andere Terrororganisationen und kriminelle Gruppen weltweit Social Media genutzt — doch keine Organisation hat das Internet bisher so strategisch und effektiv zur Propaganda und Rekrutierung genutzt. Terror wird digital outgesourct und dezentral von Tausenden von Anhängern weitergetragen, Sympathisanten werden aus der Ferne radikalisiert und zum Dschihad im eigenen Land aufgerufen. Die Social Media-Informationen liefern Ermittlern aber auch Einblicke in die Lebenswelt der Terroristen, etwa bei Rückkehrern: „In Teilen sind sie so freundlich, dass sie uns über Facebook und Twitter mitteilen, dass sie an Kriegshandlungen teilgenommen haben“, sagte Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen beim Europäischen Polizeikongress 2015.

#3 Crowdsourcing gegen Verbrechen: Mit digitalen Tools können auch Bürger und nicht-staatliche Organisationen Verbrechen bekämpfen
Mit Online-Tools und digitaler Open Source Intelligence (OSINT), also Informationen aus frei verfügbaren Quellen wie sozialen Netzwerken, kann jeder zum Ermittler werden. Das dezentrale Hacker-Kollektiv Anonymous hat nach den Attentaten in Paris erneut zum Cyberwar gegen die Terroristen aufgerufen. Auch Initiativen wie die britische Crowdsourcing-Plattform FaceWatch setzen auf die Macht der Masse: Unternehmer sich auf der Plattform in Gruppen zusammenschließen und etwa Informationen und Aufnahmen von Dieben aus einer bestimmten Region austauschen — und die Vorfälle sowie Videoaufnahmen ihrer Überwachungskameras schnell an die Polizei schicken. Digitale Tools zum Factchecking nutzen auch Menschenrechtsorganisationen: Human Rights Watch hat in dem kürzlich veröffentlichten Bericht „If the Dead Could Speak: Mass Deaths and Torture in Syria’s Detention Facilities“ nach einer neun Monate langen Recherche die Schicksale von 27 Menschen rekonstruiert, die in syrischen Militärgefängnissen zu Tode gefoltert wurden. Polizeieinheiten weltweit setzen auf Crowdfahndung und erhalten über Social Media-Kanäle Hinweise zu Fahndungen.

#4 Darknet-Drogenhandel: Die Silk Road der Zukunft wird dezentral sei
Auch Dealer, Gangs und Kartelle setzen auf digitale Innovation. Der Silk-Road-Prozess war das spektakulärste Cybercrime-Gerichtsverfahren des Jahres: Die lebenslange Haftstrafe für den Online-Drogenkönig Ross Ulbricht, der die erfolgreiche Darknet-Drogenhandelsplattfom, soll Nachahmer abschrecken. „Ulbrichts Verhaftung und seine Verurteilung — und unsere Beschlagnahmung von Silk-Road-Bitcoins im Wert von Millionen von Dollars — sollten eine klare Botschaft an jeden senden, der versucht, ein kriminelles Online-Geschäft aufzubauen“, warnte der Staatsanwalt Preet Bharara in einem offiziellen Statement. „Die vermeintliche Anonymität des Darknets ist kein Schutzschild gegen Verhaftung und Strafverfolgung.“ In Deutschland wurde der 20-jährige Darknet-Dealer Shiny Flakes festgenommen, der aus seinem Leipziger Kinderzimmer heraus via Darknet-Vertrieb ein lukratives Startup aufgebaut hatte. Zahlreiche Drogenhandelsplattform wurden von Ermittlern gesperrt, doch immer wieder entstanden neue Silk-Road-Kopien. Die nächste Generation dieser Drogenhandelsplattformen wird dezentral und damit noch schwerer für Ermittler zugänglich sein — die ersten befinden sich bereits im Entwicklungsstadium.

#5 Crime as Service: Kriminelle Startups verwandeln jeden in einen Cyberkriminellen
Das Angebot an kriminellen Tools und Dienstleistungen, mit denen jeder Amateur im Internet Verbrechen begehen kann, wächst rasant: Crime as a Service. „Eine ganze Untergrundwirtschaft ist entstanden, die über illegale Portale im Netz auch Infrastrukturdienste bietet. So kann man Passwörter für Onlineplattformen kaufen, sich Schadsoftware programmieren oder Malware an möglichst viele Leute verbreiten lassen“, warnte Carsten Meywirth vom BKA beim Europäischen Polizeikongress 2015. Eine ganze Startup-Branche ist entstanden, die sich auf kriminelle Angebote spezialisiert hat und immer professioneller agiert. „In den letzten Jahrzehnten hat sich der digitale Untergrund weiterentwickelt von ein paar kleinen Gruppen, die aus Spaß und Prestigegründen gehackt haben, zu einer boomenden kriminellen Industrie, die die globalen Wirtschaften geschätzt mehr als 300 Milliarden Dollar jährlich kostet“, erklärt Europol. Indem sie Know-How zukaufen, können auch traditionelle kriminelle Gruppen in den Bereich Cybercrime expandieren.

#6 Privatisierung von Überwachung: Private Bodycams und Überwachungskameras ergänzen die staatliche Infrastruktur
Flächendeckende Überwachung: Zu staatlichen Überwachungskameras gesellen sich immer mehr private Aufnahmen hinzu. Tony Porter, der britische Beauftragte für Überwachungskameras, kritisierte in einem Interview, dass zunehmend sogar Supermarktverkäufer oder Sicherheitspersonal von Universitäten mit Body-Cams ausgestattet sind. Auch private Unternehmen wie etwa die Müllabfuhr im Silicon Valley sollen mit Hochgeschwindigkeitskameras ausgerüstet werden, um das Geschehen in Echtzeit zu erfassen. Mit immer günstigeren WiFi-Sicherheitskameras und anderen Tools zieht die Überwachung bei vielen Menschen zu Hause ein. Einige Airbnb-Gastgeber hatten mit ihren Wifi-Kameras ihre Gäste heimlich überwacht.

#7 Datenleaks: Behörden und Unternehmen gefährden unsere Daten
Chaos, Intransparenz, unsichere Systeme, Streit um Zuständigkeiten: Der Eklat rund um den Bundestagshack hat wieder einmal offenbart, wie schlecht staatliche Institutionen auf Hackerangriffe vorbereitet sind. Unbekannte Angreifer hatten sich offenbar über eine gefälschte E-Mail der Vereinten Nationen Zugriff auf das Netzwerk verschafft und auch Daten entwendet. Die Liste der Angriffe auf Behörden, aber auch Unternehmen ist lang. IT Governance hat alle Leak-Vorfälle diesen Jahres gesammelt und versucht nachzuzählen: Mindestens 294.692.427 Datensätze sind demzufolge 2015 geleakt worden.

#8 Internet of Bad Things: Bald muss die Polizei sich auch um gehackte Autos kümmern
Neben einer wachsenden Zahl von Angriffen auf mobile Endgeräte und zunehmenden Hardware-Angriffen rollt mit dem Internet of Things eine weitere Welle von Cyberattacken auf die Ermittler zu. Schon jetzt hängen zu viele Geräte ungeschützt im Netz. Für Hacker eröffnen sich so zahlreiche neue Einfallstore — und häufig sind Unternehmen, aber auch Behörden die Schnittstellen ins Netz gar nicht bewusst. „Geschäftsprozesse werden zunehmend mit dem Internet verbunden“, sagt Carsten Meywirth vom BKA. „Das stellt einen großen Markt für Cyberkriminelle dar.“ Auch Autos werden in Zukunft Opfer sein: Sicherheitsforscher haben schon demonstriert, wie sie Motor, Bremsen oder das Sicherheitssystem manipulieren und fernsteuern können.

#9 Gestreamte Morde: Verbrechen wird in Echtzeit wahrnehmbar
Auch Verbrechen werden mit Streaming-Tools wie Periscope unmittelbar und in Echtzeit übertragen, viele Kriminelle kalkulieren die digitale Öffentlichkeitswirkung ihrer Taten mit ein oder kündigen ihr Vorhaben auf Twitter oder Facebook an. 2015 wurden während einer Live-Fernsehsendung in den USA eine Reporterin und ihr Kameramann erschossen, der Täter stellte Videos seiner Tat online. Die Verbreitung von Terror-Videos und Ereignissen wie den Anschlägen von Paris lässt das Geschehen näher rücken, vervielfacht aber auch die Propagandawirkung der Terroristen. Andererseits können Live-Videos auch zu wichtigen Zeugen werden: etwa als Beweise für Polizeigewalt

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