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Umweltschützer blasen zur High-Tech-Jagd auf Walfänger

von Anja Laabs
Umweltaktivisten wollen mit kamerabestückten Drohnen dokumentieren, was nicht gesehen werden soll: die brutale Waljagd vor den Küsten Islands. Damit soll der Druck auf die Regierung erhöht werden, um den illegalen Walfang zu beenden.

Das Team von Hard To Port bricht auf, kurz bevor ihr Ziel in den Hafen einläuft. Es ist später Nachmittag und die Sonne taucht am Horizont bereits ins Meer ab. Die Umweltschützer haben ihre Beute, ein Minkwalschiff, schon seit einiger Zeit auf dem Radar. Mithilfe eines Automatic Identification System (AIS) spürten sie ihm den ganzen Tag über nach, berechneten seine Fahrtroute, plante den Kurs voraus. Jetzt ist es Zeit, den Fang einzuholen.

Als sich das Schiff dem Hafen nähert, bricht ein Team der Meeresschutzorganisation auf. Es will die Jäger aus der Vogelperspektive filmen und fotografieren. Das Ziel: Beweise für den illegalen Walfang sammeln — aber so einfach ist es nicht. Obwohl die tagelang akribisch vorbereitete und getestete Drohne alle Voraussetzungen erfüllt, zeigt sie nur Bilder einer darauf vorbereiteten Walfänger-Crew. Schon vor dem Einlaufen in den Hafen haben die Seeleute alle Spuren beseitigt. Das Deck ist blitzsauber, die Männer sind nur noch mit dem Verschließen von Türen und Luken beschäftigt und eilen dann hastig von Bord. Der einzige Hinweis auf die blutige Jagd auf die Tiere in der Bucht von Faxaflói sind Einkaufstüten eines isländischen Discounters, in denen sich eine rote Masse befindet — vermutlich Minkwalfleisch. Die Crew deckt sich noch damit ein, bevor sie verschwindet.

Weder an Bord noch an Land gibt es Kontrollen durch Tierärzte, Lebensmittelhygieniker, Tierschutzbeauftragte oder Mitarbeiter des Fischereiministeriums. Daraus schlussfolgern Umweltschützer, dass auch niemand kontrolliert, wie viel Walfleisch sich im Inneren von Schiffen wie dem Minkwaljäger von heute befindet. Wie viele Wale eigentlich getötet werden. „Jeder Fischer muss seine Beute heutzutage dokumentieren, weil er sich an die Fangquoten halten muss“, sagt Rannveig Grétarsdóttir, Generaldirektorin des Walbeobachtungsunternehmens Elding in Reykjavík mit Blick auf die Drohnenbilder. Dieses Prinzip scheint für die Minkwalfänger nicht zu gelten. „Doch gerade hier sind Kontrollen besonders wichtig.“ Jeder, der wolle, könne heute Minkwaljäger werden. Genau deshalb gehen Organisationen wie Hard To Port auf die Jagd — mit High Tech.

In Island unterliegt die Waljagd offiziell einer Quotenregelung, die mit stabilen und ungefährdeten Beständen gerechtfertigt wird. Basierend auf Schätzungen des Marine Research Institute (MRI) in Reykjavik und des wissenschaftlichen Komitees der North Atlantic Marine Mammal Commission (NAMMCO), befindet sich der Minkwalbestand rund um Island (zentraler Nordatlantik Bestand) in einem guten Zustand. Für die Jahre 2014 und 2015 gilt deshalb eine Jagdquote von nicht mehr als 229 Minkwalen in der Region des isländischen Kontinentalschelfs und von 121 Minkwalen im Jan Mayen Gebiet. Nach einer aktuellen Einschätzung der wissenschaftlichen Ausschüsse des IWC und der NAMMCO hat das MRI eine Empfehlung für die „nachhaltige“ Jagd von bis zu 154 Finnwalen für die Jahre 2014 und 2015 herausgegeben.

Während Walfleisch früher noch weit häufiger auf der Speisekarte der Isländer stand, wird es heute nur noch von drei Prozent der Bevölkerung gegessen. Geleitet vom Irrglauben, Walfleisch gehöre traditionell zu isländischen Gerichten, wird der inländische Absatzmarkt für Walfleisch fast ausschließlich von Touristen aufrecht erhalten. Meistens stammt das Fleisch vom Minkwal (Zwergwal) oder — illegalerweise — von anderen Meeressäugern. Island, eine führende Walfangnation, verabschiedete sich 2002 offiziell vom Moratorium der Internationalen Walfangkommission (IWC), nachdem das Verbot, kommerziell Wale zu fangen, 1986 in Kraft trat. Bevor Island ab 2006 wieder mit dem kommerziellen Fang von Mink- und Finnwalen begann, taten sie selbiges unter der Fahne des „wissenschaftlichen“ Walfangs. Bis heute werden deshalb Groß- und Kleinwale — protegiert von einer walfangfreundlichen Regierung — in Island gejagt.

Aus Erfahrung weiß Wahlbeobachterin Rannveig Grétarsdóttir, dass gerade die Minkwaljagd ausgesprochen brutal und verschwenderisch ist. Lediglich 20 Prozent des Tierkörpers würden genutzt, der Rest werde noch auf dem Meer wieder über Bord geworfen. Hard To Port hat dieses Ausschlachten in der im Westen Islands gelegenen Walfangstation im Walfjörd Hvalfjörður bereits gefilmt und fotografiert. Nicht sichtbar blieb die Jagd und das Töten auf dem Meer. Dort wird den Tieren mit Harpunen Sprengstoff in den Körper gerammt. 100 Gramm Pentrit (Salpeterverbindung) in einer Tiefe von 110 Zentimetern reichen aus, um einem bis zu 70 Tonnen schweren Wal durch Explosionen schwere innere Verletzungen zuzufügen und ihn so zu töten. Für Minkwale wird eine Sprengstoffmenge von 30 Gramm Pentrit eingesetzt, die nach Empfehlungen der NAMMCO Jagdkommission möglichst gehirnnah explodieren sollte.

Wie und wie lange Wale im Zuge dieser Jagdmethoden sterben, ob die gemäß dem Jagd-Handbuch von NAMMCO vorgeschlagene Jagdtechnik überhaupt eingehalten wird und ob die Jagd unter dem Aspekt des Tier- und Artenschutzes kontrolliert wird, ist nicht bekannt. Vorhandene Studien müssen skeptisch analysiert werden, zumal sie von Mitgliedern oder unter der Schirmherrschaft der North Atlantic Marine Mammal Commission publiziert werden bzw. wurden. Genau an dieser Stelle beginnt die Arbeit von Hard To Port. Wie ist es möglich, das Treiben der Walfänger in den Buchten und auf dem offenen Meer zu dokumentieren, um es für eine breite Bevölkerung sichtbar zu machen?

Während der Kampagne arbeitete das Hard To Port-Team mit dem Quadrocopter DJI Phantom 2. Die Drohne arbeitet mit vier nach unten wirkenden Rotoren, die sowohl Auftrieb als auch Vortrieb erzeugen. Immerhin sind damit an Land und dicht an der Küste stabile Luftaufnahmen möglich. „Für die diesjährige Kampagne war die Drohne absolut ausreichend“, resümiert Arne Feuerhahn von Hard To Port. „Für die kommende Dokumentationsarbeit auf dem offenen Meer reicht sie aber wohl nicht mehr aus.“ Feuerhahn sieht die größten technischen Herausforderungen in der größeren Reichweite, der längeren Akkulaufzeit bzw. Flugdauer und nicht zuletzt in einer hohen Stabilität des Flugkörpers auch bei schlechten Wetterbedingungen mit höheren Windgeschwindigkeiten.

Die limitierenden Faktoren für den Einsatz von Drohnen auf dem offenen Meer seien der Funkkontakt, Wind und salzhaltige feuchte Luft. Zwar könnten hier autonome Drohnen mit stärkeren Motoren, besseren Autopiloten und aus hochwertigeren Materialien eine Alternative darstellen, allerdings kollidiert das mit den rechtlichen Vorschriften der Länder. In Deutschland beispielsweise dürften Drohnen die nicht unmittelbar angesteuert werden, ohne Genehmigung und Kenntnisnachweis nicht zivil eingesetzt werden. Als Nicht-EU-Land hat Island da zwar eigene Regeln, gegen die sollte aber nicht verstoßen werden. Höherwertige Drohnen mit einer ausreichenden Stabilisierungstechnik existierten zwar, allerdings seien diese für den Verein zu teuer. Andererseits sieht Feuerhahn auch die Möglichkeit, den Verlust guter aber preiswerter Drohnen einzukalkulieren. „Vielleicht müssen wir uns damit abfinden, dass uns während unserer Arbeit auf dem Meer unter schlechten Wetterbedingungen auch Drohnen verloren gehen.“

Ein weiterer technischer Assistent für die Walfänger ist das Automatic Identification System (AIS) und das darauf basierende marinetraffic.com. Das System ermöglicht es, die Schiffsbewegungen per App auf dem Smartphone zu verfolgen. Seit 2004 müssen gemäß den Vorgaben der International Convention for the Safety of Life at Sea (SOLAS) Berufsschiffe mit bestimmten Mindestgrößen eine solche AIS-Anlage betreiben. Aus Sicht Feuerhahns ist die technische Ortung der Schiffe nicht nur hilfreich bei der Dokumentation und Überwachung der Walfanggebiete, sondern ermöglicht es auch, „zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein“.

Die Walfänger reagieren auf die Aufrüstung der Umweltschützer

Dennoch sei dieses Ortungssystem bislang nicht sehr zuverlässig und auch die Qualität der Datenübertragung könnte besser sein. Deshalb würden zukünftig eher Kampagnen auf dem offenen Meer unter direkter Sichtverfolgung der Walfangschiffe stattfinden. Mit besseren kamerabestückten Fluggeräten wächst auch die Chance, den Walfang mit Bildern dokumentieren und öffentlich machen zu können. Dabei ist dem Hard To Port-Sprecher durchaus klar, dass der Widerstand auf der Walfängerseite ebenso wachsen wird. Feuerhahn: „Sie werden unsere Fortschritte kritisch beobachten und mit großer Wahrscheinlichkeit darauf reagieren.“

Möglich sei beispielsweise die Überwachung der Drohnen selbst. Immerhin sind heute nicht nur die Walfangschiffe selbst, sondern auch die Walfangstationen kameraüberwacht. Die Entwicklung von Drohnenüberwachungsmöglichkeiten via Radar, Satelliten und Mobilfunksignalen ist in vollem Gange. So könnten Drohnen mit Hilfe von Mobilfunksignalen wiederum anderen Drohnen mitteilen, wo sich Drohnen gerade aufhalten. Was absurd klingt, würde Walfänger auf dem Meer in die Lage versetzen, ihre Fangaktivitäten zu unterbrechen und in andere Gebiete auszuweichen.

Das wäre aus Sicht Feuerhahns nicht der schlechteste Effekt. Denn nicht nur sei eine Fangunterbrechung für Walfangunternehmen teuer, auch die Verfolgung der Wale würde gestört werden. Irgendwann, so seine Hoffnung, stünden Aufwand und Nutzen für die Walfänger in keinem Verhältnis mehr, denn für jeden Widerstand sei teure Technik, Logistik und eben auch kompetentes Personal nötig.

Nachdem die Drohne eine Weile über dem Minkwaljäger im Hafen von Hafnarfjördur gekreist ist und alle Crewmitglieder das Schiff verlassen haben, wird klar, wie groß der Aufwand zukünftig sein wird, um den Walfang in all seinen Dimensionen dokumentieren zu können. Für Arne Feuerhahn ist das Monitoring an Land zwar wichtig, aber leider nicht ausreichend. „Das, wogegen wir kämpfen und versuchen, Stimmen zu mobilisieren, passiert weit draußen auf dem offenen Meer. Selbst was während der Minkwaljagd in den Buchten außerhalb der geschützten Zonen passiert, entzieht sich unserer Kenntnis.“ Waljäger wollen während ihrer Jagd nicht beobachtet, gefilmt oder fotografiert werden. Umso wichtiger sind soziale Netzwerke, mit deren Hilfe Informationen und Bilder verbreitet werden können — unabhängig von öffentlichen oder privaten Medien und unabhängig von ideologischen oder kommerziellen Interessen. Nicht zuletzt konnten mit Hilfe von Facebook, Instagram und Twitter Leute in Island erreicht werden, die zwar gegen den Walfang sind, aber nicht wissen, wie sie sich dagegen wo organisieren können. Für Feuerhahn sei es wichtig, dass nicht nur der Walfang selbst, sondern auch der Widerstand dagegen für die ganze Welt innerhalb einer großen Internet-Community transparent gemacht und zur Disposition gestellt wird.

Wale sterben heute aufgrund vielfältiger Probleme. Zu ihnen gehören neben Futtermangel und direkter Jagd auch die Verschmutzung der Meere, Meereslärm, der Beifang in Fischereinetzen und Schiffskollisionen. Obwohl sich in isländischen Gewässern elf verschiedene Walarten aufhalten und Walbeobachtungstouren eine florierende Tourismusbranche darstellen, wird es dennoch zunehmend schwieriger, Wale zu sichten. Wahlbeobachterin Rannveig Grétarsdóttir befürchtet sogar, dass die Beobachtungstouren schon in naher Zukunft woanders stattfinden oder sogar aufgegeben werden müssen. In der Bucht von Faxaflói vor der Stadt Reykjavik sinkt die Zahl der Minkwale.

Einige Probleme lassen sich durch technische Innovationen lösen. Meereslärm, der nicht nur die Orientierung von Fischen und Meeressäugern stört, sondern sie sogar zeitweise taub machen kann, wird durch Windparks, Marineschiffe, Frachter und Erkundungsboote verursacht. Lautstärkebeschränkungen beim Bau von Offshore-Windkraftanlagen, Unterwasser-Luftschutzwände durch Druckluft während Unterwasserbaumaßnahmen, Fahrverbote und Tempolimite für Frachtschiffe nach Identifikation durch Hydrophone (Unterwassermikrophone) und der Bau leiser Schiffe durch leichtere Schiffsschrauben können dem entgegenwirken. Um den Beifang in Fischereinetzen zukünftig zu verhindern, können u.a. akustische Signalgeber, die ähnlich wie Pinger arbeiten, zum Einsatz kommen. Geräte mit dem sogenannten Porpoise Alarm (PAL) wurden bereits bei den Schweinswalen in der Dänischen Beltsee getestet. Ziel ist es, Wale durch die Aussendung artgleicher Warntöne von den Stellnetzen fernzuhalten. Fluchtklappen, ein verändertes Maschendesign, Sink- und Schwimmleinen und akustische Signalgeber können das Ertrinken der Wale und vieler anderer Meereslebewesen in Fischereinetzen sehr stark reduzieren. Die Einrichtung von Meeresschutzgebieten, Fahrverbot von Schiffen in sensiblen Lebensräumen, Tempolimits und Navigationsschulungen in Wal- und Delphingewässern, verringern das Risiko von Schiffskollisionen.

Für Arne Feuerhahn stellt sich eine andere Frage: Worin besteht eigentlich die Notwendigkeit des Walfangs? „Die glaubwürdige Beantwortung steht bis heute aus. Aber unser Entschluss, die Waljagd mit technischen Mitteln friedlich zu beenden, steht dafür umso mehr fest.“ 

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