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„The Talos Principle“ ist eine als Puzzle-Game getarnte Philosophiestunde

von Dominik Schönleben
Die meisten Spiele leben von ihrer Mechanik. Sie sind komplexe Schießbuden-Simulationen oder interaktive Filme zum Durchklicken, die Fingerfertigkeit und Reaktionsvermögen abprüfen. Sie bilden Moral oder Entscheidungen in einem Punktesystem ab. Vor allem sind sie eine Abstraktionen von Wirklichkeit. Vereinfachungen, die uns das Gefühl geben Teil einer Welt zu sein, die kontrollierbar ist und deren Regeln wir kennen. Und wir stehen darüber und wissen: Wir spielen nur ein Spiel, wir sind Teil einer Simulation. Aber was wäre, wenn es nicht so ist? 

The Talos Principle“ stellt die zentralen Fragen der Existenz: Was ist es, das uns menschlich macht und uns ein Bewusstsein gibt? Woher kommt die Fähigkeit, uns selbst und unsere Umwelt zu erkennen? Fragen, die sich die Menschheit bereits seit Jahrtausenden stellt und auf die es keine simplen Antworten gibt. Und solche Sinnfragen stehen nahezu konträr zu den billigen Moralsystemen eines durchschnittlichen Role Playing Games (RPG). Jede Antwort wirft nur weitere Fragen auf, es gibt kein richtig oder falsch — weil jeder Mensch die eigene Existenz für sich selbst beantworten muss. „The Talos Principle“ ist kein klassisches Spiel, es ist eine Philosophiestunde — verpackt in ein Puzzle-Game.

Die Spielmechaniken von „The Talos Principle“ könnten dem Klassiker „Portal“ kaum ähnlicher sein. In verschiedenen Räumen müssen Logik-Rätsel gelöst werden, um weiter zu kommen. Die Stimme eines allwissenden Erzählers leitet den Spieler durch die Level. Doch statt eines wahnwitzigen Computers ist die Stimme bei „The Talos Principle“ ein selbsternannter Gott namens Elohim.

Er verspricht Erlösung, das ewige Leben, sollte man alle seine Aufgaben und Rätsel lösen. Doch überall finden sich Zeichen, die an seiner Geschichte zweifeln lassen. Nachrichten an den Wänden, Text-Schnipsel eines kaputten, digitalen Archivs. Wer ist Elohim wirklich? Gibt es ihn und die Welt, in der man wandelt, überhaupt? Oder sind beide nur Teil einer elaborierten Simulation?

Man beginnt nicht nur an Elohim zu zweifeln, sondern auch an den eigenen Existenzen — und der der Spielfigur, die man steuert. Die Spielwelt scheint nicht die zu sein, die man sieht. Dies ist der Moment, in dem man über die Simulation hinauswächst und sich die Fragen des Spiels auch für sein eigenes Leben stellt. Bin ich nur eine gesteuerte Maschine? Was steckt hinter allem? Was ist Wirklichkeit, was ist Realität?

Wenn Videospiele solche Fragen stellen, hören sie auf, lächerliche Schießbuden zu sein.

Die Puzzle, die man in „The Talos Principle“ löst, sind reines Beiwerk — sie stören beinahe den Spielfluss, aber treiben auch die Neugier an. Erst wirken sie wie Lückenfüller, später rücken sie immer mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Anfangs noch scheint die eigene Existenz durch logisches Handeln gesichert, doch in Gesprächen mit einem Computersystem wird dies immer unwägbarer. Einerseits fordert der Computer den Beweis, dass man selbst eine echte Person ist. Kann man diesen Beweis überhaupt erbringen in einem Spiel? Die Grenzen zwischen Mensch und Maschine verschwimmen immer mehr.

Aufgelockert wird dieser philosophische Diskurs dann aber doch durch die immer komplexer werdenden Rätsel. Aufgaben, deren Erfüllung einen ins Himmelreich führen sollen — wie eine Metapher für das Leben. Oder man widersetzt sich Elohim, erklimmt nach und nach einen verbotenen Turm, den sprichwörtlichen Baum auf dem Hügel der Erkenntnis. An der Spitze des Turmes erhoffen wir uns die Antwort auf eine Frage, die eigentlich niemand beantworten kann. Eine Antwort, die jeder für sich selbst finden muss: Was bedeutet es Mensch zu sein, was trennt uns von Computern oder Maschinen — und brauchen wir dafür eine Seele?

Wenn Videospiele anfangen, solche Fragen zu stellen, dann haben sie aufgehört, lächerliche Schießbuden zu sein, die sich jedes Jahr gegenseitig im Detailgrad der simulierten Wirklichkeit überbieten wollen. Und sind damit realer geworden und näher an uns herangekommen, als wir vielleicht wahrhaben möchten. 

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