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Zukunft des Social Web / „Eltern sind oft einsam, deswegen vernetzen sie sich online“, sagt Bloggerin Susanne Mierau

von Elisabeth Rank
Susanne Mierau erreicht mit ihrem Eltern-Blog monatlich mehr als 100.000 Menschen. Die Kleinkind-Pädagogin ist eine von vielen Publizist_innen, die anderen online mit Rat zur Seite stehen, wenn um es Kinder und Familie geht. Wir haben mit ihr über das Hashtag #brelfie und Vernetzung von Eltern im Web gesprochen.

WIRED: Gerade wird viel über das Hashtag #brelfie diskutiert, der für Breastfeeding-Selfie steht, unter dem Frauen also Selfies von sich beim Stillen in sozialen Medien posten. Wie stehst du dazu?
Susanne Mierau: Was auch immer man vom #brelfie an sich denkt, dieser Hashtag zeigt eine Situation auf, die gerade herrscht: Stillen in der Öffentlichkeit ist sehr schwierig, in Amerika noch mehr als in Deutschland. Nun schließen sich eben stillende Mütter auf der ganzen Welt zusammen. Das haben sie aber auch schon getan, bevor es den Hashtag gab. Sie wollen damit zeigen: Stillen in der Öffentlichkeit ist in Ordnung, denn hier geht es um Kinder, die Nahrung zu sich nehmen, und nicht um sexuelle Aufladung.

WIRED: Hilft ein simpler Hashtag wirklich, eine digitale Gemeinschaft von Eltern zu bilden?
Mierau: Zumindest sehen Frauen, die sonst vielleicht keinen Zugang zu so einer großen Gemeinschaft haben, dass sie mit ihren Gedanken und Wünschen nicht allein sind.

 

 

WIRED: Kann das Internet hier leisten, was der Alltag außerhalb des Netzes nicht schafft?
Mierau: Ja, früher waren große Gemeinschaften sehr normal, etwa große Familien im selben Haus oder Nachbarn, mit denen man enge Beziehungen hatte. Heute ist das nicht mehr so. Heute sind dafür andere Eltern im Netz jederzeit erreichbar. Natürlich ist es wünschenswert und gut, wenn sich Eltern auch offline vernetzen. Aber häufig sind Eltern heutzutage sehr einsam. Das Netz hebt das auf.

Was auch immer mein Spezialfall ist, im Netz finde ich jemanden, dem es auch so geht.

WIRED: Gibt es deswegen so eine große Nachfrage nach Elternblogs?
Mierau: Vor allem auch, weil man sich online Gleichgesinnte suchen kann. Ob es nun Alleinerziehende sind, die Fragen haben. Oder Eltern, die ein behindertes Kind haben. Was auch immer der Spezialfall ist, im Netz finde ich jemanden, dem es auch so geht. Das Netz rückt auch Menschen in den Mittelpunkt, denen ich in meinem Alltag vielleicht gar nicht über den Weg laufen würde. Zudem sind einfach der Wunsch nach Austausch und der Informationsbedarf zu Dingen wie Elterngeld oder Vereinbarkeit von Beruf und Familie sehr hoch. Da herrscht in klassischen Strukturen wie Jugendämtern häufig zu wenig Transparenz, deswegen holen sich Eltern ihre Informationen eben woanders.

WIRED: Ist dir bewusst, mit wie vielen Menschen du kommunizierst, wenn du deine Blogeinträge verfasst?
Mierau: Nicht so wirklich. Aber wenn mich Leute auf der Straße ansprechen, wird mir schon bewusst, dass ich wirklich viele Menschen erreiche. Es passiert in letzter Zeit häufiger, dass mich Menschen ansprechen, wenn ich zum Beispiel mit den Kindern spazieren gehe. Neulich erst sprach mich eine Frau an und huschte gleich weiter. Abends schrieb sie mir dann noch eine E-Mail, dass sie nicht unhöflich wirken oder nerven wollte. Aber mit mir darf man natürlich reden.

WIRED: Aber wie auf dem Spielplatz gibt es doch sicher auch Eltern, mit denen man sich nicht so gut versteht. Bekommst du auch negatives Feedback?
Mierau: Ich bekomme größtenteils positive Rückmeldungen. Aber es gibt auch schwierige Situationen, in denen Menschen Kommentare schreiben wie: „Das ist ja hier alles totaler Unsinn!“ Oder: „Das stimmt überhaupt nicht!“ Richtig kompliziert ist es, wenn ich zum Beispiel einen Text veröffentliche, in dem steht, wie man seine Kinder vielleicht nicht behandeln sollte und dann jemand kommentiert: „Aber meine Kinder kriegen auch schon mal einen Klapps auf den Po und das schadet denen überhaupt nicht!“. Auch das Thema Stillen löst immer wieder viele negative Reaktionen aus.

Ich will Menschen, die sich keine Bücher oder Magazine leisten können, trotzdem Informationen zur Verfügung stellen.

WIRED: Du bist ausgebildete Kleinkind-Pädagogin, pflegst dein Blog regelmäßig, betreust Facebook und Twitter und machst auch noch einen Podcast. Du stellst also sehr viele professionell gemachte Inhalte kostenlos ins Netz — warum?
Mierau: Ich bin Kleinkind-Pädagogin aus Überzeugung. Mir liegt etwas daran, Eltern und ihre Kinder zu begleiten und Wege aufzuzeigen. Und deswegen publiziere ich so viel, arbeite jeden Abend sicherlich ein bis zwei Stunden daran. Aber das gehört eben zu meinem Job, ich präsentiere ja auch mich und meine Arbeit, ich tausche mich aus, ich lerne.

WIRED: Du könntest ja auch einfach Artikel für Magazine schreiben, warum also ein eigenes Blog?
Mierau: Es gehört zu meiner Einstellung, dass ich Menschen, die sich zum Beispiel Bücher oder Magazine nicht leisten können, trotzdem Informationen zur Verfügung stellen will. Dafür sind Blogs hervorragend geeignet.

Ich wünsche mir einen vorsichtigeren Umgang mit starken Begriffen wie ‚Mommy Wars‘.

WIRED: Wie wird die Online-Vernetzung von Eltern deiner Meinung nach in Zukunft aussehen?
Mierau: Ich glaube, dass sich Eltern immer häufiger vor allem über Facebook verknüpfen werden, und nicht mehr nur auf einzelnen Plattformen wie den Websites von Eltern-Magazinen. Eltern teilen Dinge, die sie finden, auch gern direkt übers Handy mit anderen, zum Beispiel über die WhatsApp-Sharing-Funktion. Die Entwicklung ist dieselbe wie in anderen Bereichen des Netzes. Ich glaube auch, dass Online-Publikationen wie Blogs zukünftig für viele ein Weg sein werden, nach einer Schwangerschaft etwas Neues aufzubauen, wenn sie nicht mehr in ihren alten Job zurückwollen. Eltern treffen ständig Kaufentscheidungen und viele von ihnen machen mit dieser Expertise mittlerweile auch Geld.

WIRED: Was wünscht du dir von diesem elterlichen Internet der Zukunft?
Mierau: Ich wünsche mir einen vorsichtigeren Umgang und mehr Reflexion mit starken Begriffen wie zum Beispiel „Mommy Wars“, der häufig verwendet wird, wenn es zu kontroversen Diskussionen kommt. Den Begriff finde ich inhaltlich nicht richtig und außerdem frauenfeindlich. Eltern-Blogger sollten sich bewusst sein, welche große Verantwortung sie haben und wie viel Menschen wirklich von dem kopieren und machen, was man da schreibt.

Susanne Mieraus Blog „Geborgen wachsen“ findet ihr hier. 

Außerdem fragen wir uns: Was machen Blogger, wenn sie keine Unternehmen mehr beraten können? Und wie sozial ist das Web wirklich noch? Twittern bald all unsere Kühlschränke, sobald wir neue Butter brauchen? Leben wir bald alle nur noch im Darknet? Diese und mehr Fragen zur Zukunft des Social Web beantworten wir den ganzen März hier auf WIRED.de. Zum Beispiel haben wir mit Christopher Cederskog über die Kraft der Community gesprochen. Und mit der App Tworlds könnt ihr nachschauen, wer am anderen Ende der Welt gerade dasselbe tut wie ihr.

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