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OkStupid / Ich will doch nur spielen

von Olaf Putain
Zu einem OkCupid- oder Tinder-Match gehört auch das Date in der echten Welt. Viele würden sagen: Aus Spiel wird Ernst. Auch unser Autor dachte das anfangs, doch dann wurde aus Spiel vor allem eins: ein noch viel besseres Spiel.

„Das war doch die mit dem Schäferhund, oder? Der eine da aus der Schweiz? Italian Job oder so? Die Tante, die du trotz des unsäglichen Pics am Berliner Holocaust-Mahnmal gedatet hast? Warte... die mit diesem Pappschnauzbart? Jetzt hab ich's! Dieses Date, das du heimlich fotografiert hast, nicht wahr?“ Ich muss doch feststellen: Mir kommen viele dieser Gedanken und Situationen sehr bekannt vor. Sie klingen wie Levels in einem Computerspiel.

Der Ort
Erst verabredete ich mich in willkürlichen Kneipen. Oft Touristenklitschen irgendwo in der Stadtmitte von Berlin. Dann wollte ich vor allem dahin, wo ich es angenehm finde — nur um festzustellen, dass mir meine Stammkneipen dann doch ein Ticken zu persönlich sind fürs erste Treffen. Der nächste Schritt der Evolution hieß also: gehobenere, aber nicht zu hippe Bars. Solche, in denen ich mich wohl genug fühle, um offen und sicher zu sein, in denen sich aber auch mein Gegenüber wahrscheinlich sicher und wohl fühlt. Aber es geht noch besser. Im Sommer lernte ich: Der ultimative Ort zum Ausgehen ist draußen, bei einem Bier am Wasser. Im eigenen Viertel oder dem des Dates. Nicht weit weg von einer der Wohnungen. Draußen können beide wegrennen, draußen ist was los, aber es ist nicht zu laut, Überall schnattern Menschen, aber man kann zusammen spazieren und im Gras liegen. Und wenns passt, ist das Bett nicht weit.

Der Ablauf
Als Anfänger erwartete ich zu viel, war über die Maßen aufgeregt, oft entäuscht. Ich würde jemand richtig Guten kennenlernen, dachte ich mir nach all der Schreiberei des ersten Chats, nur um festzustellen dass Schreiben und Reden wirklich nicht dasselbe ist. Nach dieser Erfahrung erwartete ich allerdings wiederum viel zu wenig, enttäuschte vermutlich selbst. Irgendwann bekam ich ein Gefühl für die Atmosphäre. Dates lassen sich dann doch recht einfach in überschaubare Abschnitte aufteilen.

Bier 1: nett, nicht so, wie es im Digitalen schien.
Bier 2: netter, Klingt ähnlich, aber es funkt nicht. Vielleicht nochmal treffen.
Bier 3 inkl. Kneipenwechsel oder gemeinsamem zum-Späti-Laufen: Level Target Reached.

Das Danach
Als es zum ersten Mal funkte, hatte ich große Sorgen. Die ersten Nächte waren vorbei. Ich spürte Verpflichtungen, wollte mich rechtfertigen. Will die andere jetzt mehr? Muss ich was leisten? Dann merkte ich: Ich brauche das alles überhaupt nicht, denn keines meiner Dates stellte diese Fragen. Viele redeten sogar über ihre eigenen Taktiken bei OkCupid. Zum ersten Mal verstand ich, was „short term relationship“ als Angabe für „Was ich suche“ bedeutet. Fazit: Auch ich bin lockerer geworden. Ich habe geübt. Übung macht den Pro-Gamer. „War's schön?“ — „Ja, lass uns mal wiedersehen.“ – „Wann?“ – „Kein Stress.“

Und dann lief es auf einmal. Ich mauserte mich zum professionellen Heavy-User. Und lese seitdem einen Artikel nach dem anderen, der genau das verurteilt. Sie sagen mir: Meine Generation hätte keine Gefühle mehr. Dass feste Bindungen nicht mehr möglich sind. Dabei mache ich selbst so ziemlich all die Dinge, die diese Artikel monieren, fühle mich aber so gar nicht angesprochen. Bin ich also unabsichtlich zum Misanthrop geworden? Sind zwischenmenschliche Beziehungen für mich nicht mehr als ein Spiel?

Die Antwort heißt: nein. Klar, alles ist einfacher geworden, schneller und effektiver. Ja, manchmal auch volatiler. Die Suche nach dem Schnellen, die Selbstoptimierung, die Hoffnung auf den echten, wahren Fund. Das alles gab es aber doch auch vorher schon — nur jetzt ist es gamefiziert. Online-Dating ist das spannendeste Game überhaupt, die gelungenste Verbindung zwischen digitalem und analogem Spiel, die es je gab. Es ist erst durchgespielt, wenn es mich langweilt. So einfach. Und ich weigere mich einzusehen, dass das negativ sein soll.

Erwartungen aufzubauen, sie fallen zu sehen, manchmal auf betrunkene abstruse Art und Weise. Mühen vielleicht mit einer Wahnsinns-Nacht oder sogar mehreren Treffen zu belohnen. Vielleicht sogar mit dem Top Score: echten Gefühle. Irre Geschichten zu teilen und noch irrere dafür zu hören. Verrückte Tipps von Kollegen und Kolleginnen zu bekommen und noch verrücktere zu geben. Das bedeutet der Wisch nach Links für mich. Und je mehr Punkte ich sammle, desto höher steigt mein Level. Und wer weiß, vielleicht treffe ich sie ja bei OkCupid, die Endgegnerin.

Diese Kolumne wird von mehreren Autorinnen und Autoren unter Pseudonym verfasst. Bisher haben sie sich gefragt „Wieso reden wir eigentlich nie öffentlich über Online-Dating?“ und festgestellt, welche Fotos beziehungsweise Informationen, man am besten (nicht) in sein Online-Dating-Profil packt. 

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