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Machines of loving grace / So funktionieren die Algorithmen von Dating-Apps

von Jürgen Geuter
Partnersuche ist selten einfach – egal, ob man etwas Langfristiges, Kurzfristiges, Festes, Lockeres oder nur etwas für eine Nacht sucht. Es mag vielleicht zu jedem Topf einen Deckel geben, aber bei all dem Gerümpel im Schrank findet man den passenden häufig nicht. Vielleicht ist er beim letzten Umzug verloren gegangen? 

Zielführend war die Vorfilterung der Datingkandidaten über den gemeinsamen Wohnort in prädigitalen Zeiten nicht.

Jürgen Geuter

Wenn eine Sache gut mit Daten funktioniert, dann ist es die Suche. Was läge also näher, als bei der Partnersuche algorithmisch nachzuhelfen? Das Stigma sich im Internet kennen gelernt zu haben, ist in Zeiten von Twitterfreundschaften und sich um diverse Aktivitäten (Videospiele, Kuchen, Elternschaft, Affenbilder) organisierenden Online-Clans bereits dem langsamen Untergang geweiht.

Und wenn wir mal ehrlich sind: Zielführend war die Vorfilterung der Datingkandidaten über den gemeinsamen Wohnort in prädigitalen Zeiten nicht. Außerdem bietet einem die Suche von der heimischen Couch eine gewisse Sicherheit: Man muss nicht den Mut zusammenzunehmen, um einen Fremden oder eine Unbekannte anzusprechen, sondern ist geschützt durch die Distanz der digital vermittelten Kommunikation. So kann man überhaupt erst einmal die Kompatibilität checken.

 

Aber was bedeutet eigentlich Kompatibilität? Gibt es einen einfachen Algorithmus, eine Softwarelösung, die aus ein paar unserer Eckdaten mal eben die perfekte Kombination aus Menschen zusammensucht? Die Werbung verspricht es. „Qualitätssingles mit Anspruch“, „Garantierter Erfolg“, das klingt eigentlich zu gut, um wahr zu sein. Sind Menschen so einfach gestrickt?

Viele Apps konzentrieren sich auf eine Suchmaske.

Jürgen Geuter

Die meisten Datingapps sind hingegen sehr einfach gebaut, egal, auf welche Zielgruppe sie spezialisiert sind. Die Nutzenden tragen Fakten über sich ein: Alter, Größe, Wohnort, Hobbies, Lieblingsfilm mit Bud Spencer und viele mehr. Das Ganze wird garniert mit einem Satz möglichst schmeichelnder Fotos, einer witzigen oder geistreichen Beschreibung seiner selbst und natürlich einer Beschreibung des Wunschpartners.

Viele Apps konzentrieren sich auf eine Suchmaske, die es nun den Mitgliedern der Plattform erlaubt, Partner anhand der in die Profile eingetragenen Daten zu suchen: Nichtraucher, zwischen 40 und 50 in Clausthal-Zellerfeld. Klick. Nun bleibt es den Suchenden überlassen, sich Schritt für Schritt durch die einzelnen Seiten zu blättern. Klingt nicht nur ineffizient, sondern ist es auch — wir haben doch keine Zeit.

Die Übereinstimmung von Fakten in einem Steckbriefen sagt nicht so viel aus, wie es auf den ersten Blick scheinen mag.

Jürgen Geuter

So fügt ein Algorithmus als Erweiterung der Datingapp Vorschläge hinzu. Proaktiv ohne aktives Suchen durch die Mitglieder wühlt er sich durch die Profile und versucht automatisiert, Anforderungen und Steckbriefinformationen zusammenzubringen: Profil A entspricht in 75% der Kriterien den Wünschen des Profils B und Profil B passt zu 85% zu Profil A. Bildet man den Durchschnitt, so erhält man dann einen Kompatibilitäts-Index von 80%. Was kann da noch schiefgehen? Eine Menge.

Die Übereinstimmung von Fakten in einem Steckbriefen mit den eigenen Wünschen sagt gar nicht so viel aus, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Einserseits sind viele Selbstangaben eher — sagen wir mal – ungenau. So rundet jemand Anfang 50 vielleicht sein Alter auf 47 herunter, um attraktiver zu wirken oder charakterisiert die eigene Körperform anhand des Soll- und nicht des Ist-Zustands.

Schlechter Input, schlechter Output.

Jürgen Geuter

Andererseits ist „Frau zwischen 20 und 35, sportlich, berufstätig“ spezifischer als „eine Frau“ — aber ob die Wertvorstellungen und Lebensentwürfe wirklich zusammenpassen, ist trotz Algorithmus äußerst schwer einzuschätzen. Die Suchalgorithmen der Plattformen sind nicht falsch oder schlecht, aber die Datenbasis, auf denen sie versuchen, Menschen zusammenzubringen, sind so stark vereinfacht, dass die ermittelten Empfehlungen kaum besser sind als eine Lotterie. Oder wie es Programmierer sagen: Schlechter Input, schlechter Output.

Hier setzt einer der Dienste an: OKCupid. Die Entwickelnden hinter dem OKCupid-Algorithmus, der Vorschläge und Kompatibilität bestimmt, haben begriffen, dass die reinen Fakten eines Profils nur eine mangelhafte Charakterisierung von Menschen liefert. Deshalb setzten sie auf Fragen.

Natürlich gibt es Fragen, ob man Kinder plant oder wie wichtig einem Erfolg im Job ist. Aber nicht unbedingt nur Fragen, die man erwarten würde. Viele Fragen wirken weit zufälliger: „Magst Du Horrofilme?“, „Bist Du jemals alleine in einem fremden Land herumgereist?“, „Wäre es nicht toll, alles hinzuwerfen und auf einem Segelboot zu leben?“

Fragen statt Selbstbeschreibung. Funktioniert das?

Jürgen Geuter

Diese Fragen beantwortet man nicht nur durch Wahl einer Multiple-Choice Option, sondern fügt hinzu, welche Antworten man beim potentiellen Partner akzeptieren würde. So errechnet sich die Kompatibilität nicht durch die zur Selbstbeschreibung eingetragenen Werte, sondern durch die Antworten auf scheinbar unbedeutende Fragen.

Funktioniert das? OkCupid nickt und stellt die zugrunde liegenden Gedanken und Zahlen in einem Blogpost dar. Die drei oben erwähnten Beispielfragen zu Horrorfilmen, Reisen und dem Aussteiger-Trip auf dem Segelboot sind laut OKCupid jene Fragen, deren übereinstimmende Beantwortung mit einer erfolgreichen und längeren Beziehung korreliert.

Sicherlich kann man aus den Fragen Theorien ableiten, weshalb gerade sie zur Bestimmung der Kompatibilität so gut funktionieren. Für den Algorithmus von OKCupid sind die Inhalte der Fragen allerdings egal: Er sucht nur Übereinstimmungen und gewichtet die Frage nach den Lebenszeilen als ebenbürtig zur Frage nach der Lieblingsschokolade.

Der Supercomputer, der für Menschen perfekte Partner oder Partnerinnen ermittelt, findet sich in der Realität nicht.

Jürgen Geuter

Weder die Algorithmen traditioneller Partnerbörsen noch der Algorithmus von OKCupid sind sonderlich komplex. Das in Fernsehserien durchaus bekannte Mem des Supercomputers, der für Menschen perfekte Partner oder Partnerinnen ermittelt, findet sich in der Realität nicht. Datingapps fokussieren nur die Suche, schlagen eine beherrschbare Menge von potentiell interessanten Menschen vor, mit denen man dann in Kontakt treten könnte. Dann mus man selbst entscheiden, ob man was miteinander anfängt.

Soziale Beziehungen formen sich im Austausch und in der gegenseitigen Irritation.

Jürgen Geuter

Soziale Beziehungen sind mehr als nur die Erfüllung einfacher Anforderungen und Checkboxen, sie formen sich erst im Austausch und in der gegenseitigen Irritation. Für Suchalgorithmen undenkbar. So bleiben sie erste Filter, die es uns erlauben, einander zielgerichteter zu treffen.

Der aufstrebende Stern am Himmel der Datingplattformen hingegen kommt fast ohne jeden Algorithmus aus. Anstelle einer durch smarten Code bestimmten Auswahl, zeigte Tinder den Nutzenden bisher jedenfalls einfach nur Menschen des gewünschten Geschlechts, in einem definierten Altersspektrum an. Die weitere Filterung nehmen die Nutzenden selbst anhand der bereitgestellten Fotos vor.

Die Automatisierung der Anbahnung sozialer Beziehungen wird also auf absehbare Zeit nicht stattfinden — egal, was die Werbung uns verspricht. 

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