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Der Künstler Simon Stålenhag malt ein High-Tech-Schweden, das es so nie gab

von Michael Förtsch
Die raue Schönheit des schwedischen Hinterlands und meterhohe High-Tech-Roboter. VW Golfs und alte Volvos neben schwebenden Transportschiffen und hungrigen Dinosauriern. In den Bildern von Simon Stålenhag treffen unwahrscheinliche Gegensätze aufeinander — das machte seine Werke weltberühmt. WIRED Germany hat mit dem Künstler gesprochen und seine bizarre Retro-Science-Fiction-Welt erforscht.

Simon Stålenhag ist auf dem Land in der Nähe von Stockholm aufgewachsen. Diese Umgebung prägte ihn in den Achtziger- und Neunzigerjahren sehr und das zeigt sich auch in seinen Bildern. Sie sind das Portärt seiner eigenen Jugend, nur eben durchsetzt von heute noch futuristisch anmutenden Technologien und Absurditäten, die es so nie gegeben hat. Stålenhag bezeichnet diese Alternativwelt als das Loop-Universum, benannt nach einem fiktiven Teilchenbeschleuniger, der in seiner Vorstellung mitten in der schwedischen Idylle errichtet wurde.

In seinen Gemälden zeigt der 30-jährige Schwede die Folgen des Science-Hypes: Da hängen in den Achtzigern riesige Transportschiffe am Nachthimmel, silberne Reaktortürme strecken sich vor einer Dorfkulisse in die Höhe und Roboter stapfen durch den Wald, mit denen sich Teenager einen Streich erlauben. Da verrosten unidentifizierbare Technikrelikte am Straßenrand, die von Bastlern aufgeklaubt werden. Und da werden verfallene Forschungsinstallationen von Kindern als Spielplatz entdeckt und mit Graffiti besprüht. All das passt sich nicht nur optisch nahtlos in die schroff-schönen schwedischen Landschaften ein, sondern vermittelt das Gefühl, dass es schlicht dorthin gehört.


Bei Kickstarter sammelt Stålenhag gerade Spenden als Anschubfinanzierung für zwei Bildbände, die auch die Geschichte hinter seinen Werken erzählen sollen. Der erste — „Tales From The Loop“ — war unter dem Titel „Ur Varselklotet“ schon 2014 auf Schwedisch erschienen, und gibt Einblicke in das Loop-Universum zwischen 1984 und 1994. Der zweite Bildband entsteht derzeit unter dem Arbeitstitel „Swedish Machines, Lonely Places“ und soll die fiktiven schwedischen Vorstädte und ihre Technologie ab dem Jahr 1995 behandeln. Eine Zeit, in der sich Stålenhags Eltern trennten und er selbst vom Land in die Vorstadt ziehen musste.

WIRED: Deine Bilder zeigen eine faszinierende Welt, ein alternatives Universum. Präsentierst du damit nur einzelne Szenen oder existiert dazu eine Hintergrundgeschichte?
Simon Stålenhag: Ja, die gibt es wirklich. Ich hab sie in meinem Buch „Ur Varselklotet“ aufgeschrieben. Dabei habe ich sie als eine Art Kindheitserinnerung an ein Schweden formuliert, in dem die Technologie den Menschen um einiges wichtiger war, als in unserer Realität. Das ermöglichte wissenschaftliche Durchbrüche, die wir nie erleben durften: Roboter, Laufmaschinen und Antigravitationsschiffe. Die Kerngeschichte dreht sich jedoch um eine Gegend, in der in den späten Fünfzigern ein riesiger Teilchenbeschleuniger gebaut wurde. In seinem Herzen schlägt das sogenannte Gravitron, eine mysteriöse Energiequelle, die von Exil-Sowjetwissenschaftlern geschaffen wurde, von der aber keiner weiß, wie sie wirklich funktioniert und welche Auswirkungen sie haben kann. Ich versuche, auf die Kinder dieser Gesellschaft zu schauen und darauf, wie sie die Technik verstehen, interpretieren und von ihr beeinflusst werden.


Ich denke die Technologie weiter, die mich als Kind umgeben hat.

WIRED: Die Technik in deinen Bildern wirkt bizarr, fügt sich aber perfekt in ihre Umgebung ein, als gehöre sie einfach in diese Welt. Wie erdenkst du diese Maschinen, was ist deine persönliche Beziehung zur Technologie?
Stålenhag: Ich liebe Technik, ich baue und vertraue auf sie. Ich glaube, sie ist eine mächtige Kraft, die uns von den Zwängen manueller Arbeit befreien könnte. Wenn wir alleine die medizinische Technik betrachten, wird ihre Macht überdeutlich, man muss bloß auf die Bevölkerungsentwicklung der letzten zweihundert Jahre schauen. Allerdings ist Technik in ihrem Naturell indifferent, und hat ebenso das Potential, uns zu vernichten. Deswegen ist sie so beeindruckend. Der Erfolg unserer Gesellschaft, von uns als Menschheit, hängt davon ab, ob wir das Wissen und die Fähigkeit aufbringen können, die Macht der Technik richtig zu nutzen. Tun wir das, existieren keine Grenzen für uns und alle anderen Lebewesen auf diesem Planeten — und darüber hinaus. Was meine Bilder angeht, denke ich die Technologie weiter, die mich als Kind umgeben hat. Sie ist damit eher ein Symbol für die technischen Errungenschaften von Mitte bis Ende des 20. Jahrhunderts und kein echter Futurismus.


WIRED: Du scheinst mit jedem Motiv auch stets eine Kurzgeschichte zu erzählen oder eine Szene zu inszenieren. Zum Beispiel in dem Bild „Decoy“, in dem ein paar Teenager in einem alten Golf, die eine Fackel schwenken, von zwei Robotern verfolgt werden. Was treiben die da?
Stålenhag: Ich möchte da selbst nicht zuviel vorweg nehmen, aber es sind diese Motive, die die ganze Welt mit Leben erfüllen und im Loop-Universum an der Tagesordnung sind. Es gibt diese riesigen Roboter, die im Wald bei Jäsängen patrouillieren. Und wenn du 16 Jahre alt bist und es ein öder Sonntag ist, dein Papa aber einige Magnesiumfackeln im Segelboot hat, dann schnappst du sie dir eben, und stellst damit Blödsinn an. Die Roboter reagieren nämlich auf Hitze.

WIRED: Aber warum fahren trotz all der fortschrittlichen Technologie immer noch alte VWs und Volvos herum? Und was bedeuten die scheinbar kaputten Roboter und technischen Anlagen, die wie Ruinen herumstehen? Was ist schiefgelaufen?
Stålenhag: Wenn man sich auf einen Roadtrip durchs schwedische Hinterland begibt, sieht man jede Menge Ruinen. Mähdrescher, Trucks, Autos, Bahnhöfe und sogar verrottende Flugzeuge und Geisterstädte. Es sind Dinge, die sich einem einprägen, wenn man einen echt langen Schulweg hat. Das versuche ich in meinen Bildern einzufangen. Es gab aber keine Apokalypse oder ein Desaster — nur die Nebenwirkungen einer Wohlfahrtsgesellschaft, die zur Service-Ökonomie verkommt. Privatisierung und Kommerzialisierung schlagen zu. Und die Kinder in meinen Bildern wachsen zwischen den Kadavern auf, die dieser Prozess hinterlässt. Und die Volvos und VWs? Hey, das sind die Achtziger und Neunziger. Die Antigravitationstechnik ist zu teuer und unpraktisch für die normalen Menschen. Und die ganzen Laufmaschinen — die sind für die Industrie oder das Militär.


Technologie ist eine mächtige Kraft, die uns von den Zwängen manueller Arbeit befreien könnte.

WIRED: Okay, aber was hat es mit den Dinosauriern auf sich?
Stålenhag: Ah, verdammt, ja, die Dinosaurier. Gut: Du erinnerst dich ans Gravitron, von dem keiner weiß, wie es funktioniert. Es gibt Gerüchte, dass es Schindluder mit Raum und Zeit treibt, eine Brücke zwischen der Gegenwart und Vergangenheit geschlagen hat. Es gibt Berichte von merkwürdigen Kreaturen, die in den Tälern und Hochebenen herumstreunen. Ob sie stimmen, wer weiß? Die Kinder reden jedenfalls darüber: Was ist mit dem Eiswagen passiert, der von irgendwas in Stücke gerissen wurde, und dessen Fahrer immer noch vermisst wird? Oder diese riesigen Spuren im Matsch? Und was war mit dem Kind, das einen Velociraptor im Hühnerstall gesehen haben will? Das ist alles, was ich über die Dinos sagen kann. Sie können nur kindliche Einbildung sein — oder auch nicht.

WIRED: Die meisten deiner Bilder zeigen das ländliche Schweden, aber du hast auch ein paar Szenen, die in den USA angesiedelt sind. Wie schaut es im Loop-Universum sonst in der Welt aus, vielleicht gar in Deutschland?
Stålenhag: Der Rest der Welt ist für mich unerforschtes Gebiet. Aber er folgt wohl den gleichen Mustern. Das einzige Extrem ist, das Schweden den Teilchenbeschleuniger hatte, das modernste Stück Technik der ganzen Welt. Aber ähnliche Projekte sind überall im Gange, vor alle im Sowjetgebiet. Ostdeutschland wäre etwa ein Ort, den ich im Loop-Universum gerne besuchen würde. Ich entsinne mich an eine Fahrt von Murmansk nach Westdeutschland, und wie mit jedem Stück gen Westen mehr und mehr Rockmusik zu hören war. Es war ein besonderes Gefühl, an diesen schrägen Industrieanlagen der DDR vorbeizurauschen, während im Radio die Gitarrenriffs von „Where the Street Have No Names“ von U2 klangen. Und natürlich „Autobahn“ von Kraftwerk!


WIRED: Was denkst du, wie würde wohl ein Cover von WIRED in dieser Welt aussehen, die unsere in Sachen Technik derart voraus ist?
Stålenhag: Ein Cover der WIRED, die in diesem Universum sicher schon vor 1993 existierte, würde wohl ein Portrait von William Gibson zeigen. Der würde nämlich auch in dieser Welt Storys über Technik- und Cyber-Kultur schreiben. Denn, nur damit das klar ist, auch im Loop-Universum wurde der Begriff Cyberspace von Gibson erfunden. Und ja, Science-Fiction-Bücher stehen auch dort in den Regalen.


WIRED: Wie arbeitest du, wie entsteht ein neues Bild bei dir?
Stålenhag: Meist beginnt alles mit einem Spaziergang, bei dem ich nach Landschaften und Szenen Ausschau halte. Ich mache dann tonnenweise Fotos, die ich auf meinen Rechner importiere. Ich benutze sie wie eine Art Ton, den ich dann in Photoshop forme. Ich rearrangiere, entferne Fragmente und versuche aus all dem etwas neues zu komponieren, aber eben basierend auf echten Landschaften. Wenn ich dann eine Idee habe, was ich will, beginne mit einem neuen und leeren Dokument, skizziere alles und male so wie bei einem traditionellen Ölgemälde. Das Bild wird also ganz normal, aber eben mit virtuellen Pinselstrichen aufgebaut, digitale Effekte wie Überblendungen und Filter versuche ich zu vermeiden. Ich arbeite dabei hauptsächlich an einem Grafik-Tablet, bei dem ich direkt mit einem Stylus auf dem Display kritzle.


Ich arbeite mit einem Drehbuchautor und einem Studio daran, mein Buch als TV-Serie zu adaptieren.

WIRED: Deine Bilder sind im Internet wirklich berühmt. Wie kam das und wie fühlt es sich an?
Stålenhag: Begonnen hat das irgendwann im Spätsommer 2013. Es war ein echter Schneeballeffekt. Als The Verge zum ersten Mal über mich berichtete, ist alles vollkommen außer Kontrolle geraten. Wie ich mich fühlte? Es war der Wahnsinn, meine Bilder plötzlich auf der ganzen Welt auftauchen zu sehen. Ich dachte nicht, dass sie die Leute derart packen würden. Ich glaubte, vielleicht gefallen sie einigen Kindheitsfreuden oder Leuten aus Mälaröarna, wo ich herkomme. Aber plötzlich waren da Menschen aus Sibirien, Michigan und der Ukraine, die sie bejubelten. Es ist einfach schön, zu sehen, dass die eigenen Gefühle kulturübergreifend von anderen Menschen geteilt werden. Es war soviel positives Feedback, und ich habe mehr Emails dazu bekommen, als ich jemals beantworten könnte. Wundervoll.


WIRED: In vielen Artikeln und Kommentaren über deine Bilder wurde vorgeschlagen, eine Serie oder einen Film in deinem Loop-Universum anzusiedeln. Hat Hollywood schon angeklopft?
Stålenhag: Ich arbeite tatsächlich gerade mit einem talentierten Drehbuchautor und dem Film- und Fernsehstudio Indio hier in Schweden daran, mein Buch als TV-Serie zu adaptieren. Es wäre das perfekte Format, um die menschlichen Beziehungen zu erforschen, etwas das sich mit den Landschaftsbildern nie zu Gänze realisieren ließe. Aber für genaueres, ist es noch zu früh.


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