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Zukunft der Arbeit / Selfiejobs funktioniert wie Tinder für Bewerbungen — Ist das wirklich eine gute Idee?

von Max Biederbeck
Lebensläufe und Arbeitsagenturen sind für Martin Tall Auslaufmodelle. Die Zukunft der Bewerbung liegt für ihn im Wischen — zu neudeutsch „Swipen“. Vor vier Monaten hat der schwedische Gründer Selfiejobs auf den Markt gebracht, eine Art Dating-App für Bewerber und Arbeitgeber, die es nun auch in Deutschland gibt. Aber funktioniert die Arbeitsuche wirklich wie ein Rendezvous?

Bei Selfiejobs können Arbeitgeber und Bewerber Kurzprofile anlegen und sich mit großem Bild und sogar einem 22-sekündigen Pitch-Video vorstellen. Dann heißt es: Wisch nach rechts, wenn man den anderen gut findet — Wisch nach links, wenn nicht. Gibt es ein Match, können beide Seiten miteinander in Kontakt treten. Klingt genau wie Tinder, und ist auch eine Adaption des Modells der Dating-App, wie Martin Tall offen zugibt.

Bis 2018 will er Selfiejobs zur „most loved job app“ in Europa machen. 15.000 User hat die Plattform im Moment aufseiten der Bewerber. Auf der Arbeitgeberseite sind es rund 2800. WIRED Germany hat Tall in Berlin getroffen, um über sein Produkt zu reden — und über dessen Probleme.

WIRED: Du bist regelmäßiger Tinder-User. Läuft es gut mit den Matches?
Martin Tall: Eigentlich hat mir ein Bekannter die App nur gezeigt, um mir den Trend zu erklären. Als ich das Prinzip gesehen habe, hat es sofort klick gemacht. Die Technologie bietet die Möglichkeit für eine Arbeitsvermittlung in der Hosentasche. Wie jeder gute Gründer habe ich sofort alle anderen Projekte abgebrochen und mich an die Planung für mein neues Produkt gemacht.

Recruiting muss einfacher werden. Und wir treiben die Vereinfachung bis zum Äußersten.

WIRED: Ist dieser Gedankensprung denn wirklich so naheliegend? Jemand zeigt dir eine Dating-App für romantische Beziehungen und du denkst sofort an Job-Vermittlung?
Martin: Leute verstehen mich hier oft falsch. Ich habe damals keine Dating-Plattform gesehen, sondern einen äußerst effektiven Mechanismus.

WIRED: Das klingt wirklich nicht sehr romantisch.
Martin: Tinder ist per se nicht romantisch. Es geht beim Swipen darum, schnell und einfach zum Erfolg zu kommen. To get the job done. Mit diesem Prinzip arbeiten wir auch bei Selfiejobs. Bei uns stellt der User einen kurzen Lebenslauf ein, lädt ein Bild oder sogar ein Video hoch und die Jobsuche in seiner Umgebung kann direkt losgehen.

WIRED: Einen richtigen Lebenslauf lädt man aber ja nicht hoch. Stattdessen füllt man einige vorgegebene Felder aus: Name, Alter, Wohnort, Bildungsabschluss, bisherige Arbeitgeber und Sprachen. Das war's. Nicht viele Informationen, weder für Arbeitgeber noch Arbeitnehmer.
Martin: Das ist nicht die richtige Denkweise. Recruiting muss einfacher werden. Und wir treiben diese Vereinfachung bis zum Äußersten. Unsere User sind auf der einen Seite junge Menschen in ihren Zwanzigern, die an Apps wie Instagram oder Tinder gewöhnt sind. Für sie sind klassische Jobvermittler wie Monster und die Arbeitsagentur zu aufwendig. Auf der anderen Seite kommen Arbeitgeber zum Beispiel aus dem Service-Bereich zu uns. Die haben nur drei Fragen: Kann jemand den Job, den ich anbiete, hat er oder sie Lust darauf und passt er oder sie in mein Team. Das lässt sich durch die Profil-Infos und das Pitch-Video super herausfinden.

WIRED: Aber auch hier gibt es doch schon einige Angebote, gerade in Deutschland. Die meisten Suchenden benutzen hauptsächlich Webportale oder klassische Jobmessen, aber keine Apps.
Tall: Ja, aber das wird sich ändern. Diese Portale verlangen zu viel. Für jüngere Zielgruppen in den Zwanzigern sind Xing und LinkedIn einfach nicht das richtige Mittel. Für Leute also, die am Anfang ihrer Karierre stehen oder Jobs in Restaurants oder im Sales-Bereich, Trainee-Stellen und Praktika suchen.

Unsere User sind junge Menschen in ihren Zwanzigern, die an Apps wie Instagram oder Tinder gewöhnt sind.

WIRED: Das musst du erklären.
Tall: Diese Seiten halten an alten Bewerbungs-Formen fest — dem Monster.com-Weg. Wenn du das so machst, lädst du deinen zwei- bis dreiseitigen Lebenslauf hoch und richtest stundenlang dein Profil her, und dann antwortet ein Unternehmen am Ende nicht einmal. Die Firmen auf der anderen Seite tun das Gleiche und müssen viel Geld in Werbung stecken. Das alles fällt bei Selfiejobs weg.

WIRED: Dann doch lieber zehn Sekunden in ein Profil investieren, kurz das Bild betrachen und dann nach rechts swipen?
Tall: Für die meisten Jobs da draußen ist das kurze Profil genug. Klar, beim Ingenieur mit Fachwissen in Mechatronik und Robotik vielleicht nicht. Aber an diese Zielgruppe richtet sich unser Angebot auch nicht.

WIRED: Es gibt in Deutschland Studien, die zeigen, dass anonyme Lebensläufe es vor allem für Frauen und Migranten einfacher machen, einen Job zu bekommen. Dein Geschäftsmodell beruht auf dem genauen Gegenteil.
Tall: Das könnte ein Problem sein, ja. Aber unsere App ist natürlich nicht in diesem Sinne entwickelt worden. Es geht darum, den Prozess der Bewerbung zu vereinfachen. Das ist unser Geschäftsmodell. Dass ein Arbeitgeber sieht: Aha, hier habe ich jemanden vor Ort, der wirklich Lust hat, bei mir zu arbeiten.

Der Barbesitzer sucht nicht nach Gesichtern aus, sondern nach Erfahrung.

WIRED: Du hast also keine Angst, dass der Barbesitzer nur nach dem Aussehen seiner Bewerber gehen könnte? So wie bei Tinder, Swips nach links, bis mir ein Gesicht gefällt?
Tall: Nein so funktioniert das nicht. Der Barbesitzer sucht vor allem nach einer Sache: Erfahrung. Er braucht Leute, die schon seit Jahren hinter dem Tresen stehen und auf die er sich verlassen kann.

WIRED: Warum dann die Videos?
Tall: Die sind so wichtig, dass wir sogar darüber nachdenken, sie zur Pflicht zu machen. Und zwar wichtig für die Bewerber: Wir bieten ihnen die Möglichkeit, sich in einem Elevator Pitch selbst zu vermarkten. Zu sagen: Hey, ich hab keine drei Jahre Erfahrung hinter dem Tresen, aber nimm mich trotzdem, denn ich schenke seit Jahren jede Woche auf Privatpartys aus.

WIRED: Wie viele Mitarbeiter hat dein Unternehmen eigentlich?
Tall: Neun Mitarbeiter, vier davon Programmierer und bevor du weiter fragst. Zwei der Programmierer haben wir über Selfiejobs gefunden. Ich finde, das ist ziemlich viel. 

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