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re:publica 15 / Mit „Minecraft“ werden auch reale Städte geplant

von Liske Jaax
Auf der re:publica wird gezeigt, wie Games für mehr Teilhabe am öffentlichen Leben eingesetzt werden können. An immer mehr Orten wird zum Beispiel das Open-World-Spiel „Minecraft“ genutzt, um auch weniger gebildete Bewohnern an der Städteplanung teilhaben zu lassen. Ulrich Tausend, Referent am JFF — Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis in München, schult auch Kinder und Senioren im Umgang mit „Minecraft“. Im Interview mit WIRED Germany erklärt er, warum.

WIRED: Herr Tausend, warum spielt man in einem Slum in Nairobi „Minecraft“?
Ulrich Tausend: Um die Slums dort bewohnbarer zu machen. Die Entwickler von Mojang, von denen „Minecraft“ stammt, haben mit dem Human Settlement Program der United Nations dafür das Projekt Block by Block ins Leben gerufen. Sie bauen in „Minecraft“ mit den Bewohnern Gebäude nach und besprechen mit ihnen, wie verschiedene Areale gestaltet werden sollen. Und danach wird das auch so umgesetzt. Nicht nur in Nairobi, auch in Haiti oder Nepal. Die Projekte werden zum Teil mit mehreren zehntausend Dollar gefördert.

Ich bin davon überzeugt, dass wir durch solche Spiele in zehn Jahren viel mehr junge Leute sehen werden, die beruflich Städte gestalten wollen.

WIRED: Warum ist benutzt man dafür „Minecraft“? Würden es nicht auch einfache Bürgerbeteiligungstreffen tun?
Tausend: In vielen der Länder, in denen die Projekte stattfinden, können nur wenige Leute lesen und schreiben. Das ist aber oft die Voraussetzung, um an einem Beteiligungsverfahren mitzuwirken. Oft sind Anträge nötig oder sollen sogar voll funktionsfähige Modelle eingereicht werden, um bei der Stadtgestaltung mitzumachen. Bindet man „Minecraft“ in diese Prozesse ein, können die Bewohner mitbauen. In Haiti wurde „Minecraft“ zum Beispiel bei der Entwicklung eines Fischerdorfs eingesetzt. Die Fischer dort können weder lesen noch schreiben, aber sie haben mit „Minecraft“ eine Reihe Fischerhäuser gebaut und konnten mit den Modellen deutlich machen, dass sie eine vorgelagerte Mauer brauchen, damit eine starke Flut nicht alle Häuser wieder wegreißt.

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WIRED: Warum benutzt man dafür nicht einfach 3D-Programme?
Tausend: Das wäre zu kompliziert, für 3D-Ansichten müssen Bauwerke vielschichtig geplant werden. „Minecraft“ eignet sich gerade so gut für Bürgerbeteiligung, weil es auf eine relativ vereinfachte und reduzierte Weise Dinge baut. Die Einstiegsbarrieren sind hier viel niedriger, „Minecraft“ kann man intuitiv bedienen. Außerdem hat das Spiel den Vorteil, dass mehrere Personen gleichzeitig an einem Projekt arbeiten können.

WIRED: Wen ziehen die niedrigen Einstiegsbarrieren noch an?
Tausend: Vor allem die Jüngeren. Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 25 Jahren machen selten bei Beteiligungsverfahren zu ihrer Stadt mit, auf sie wirkt vieles zu bürokratisch. Durch „Minecraft“, was sie vielleicht auch in ihrer Freizeit spielen, ist die Motivation viel größer, mitzumachen. Das ist wichtig: Wohn- und Stadträume, die jetzt gestaltet werden, sind oft erst fertig, wenn die Jugendlichen erwachsen sind — und in dieser Stadt leben wollen.

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WIRED: Unterrichten Sie deshalb auch in Schulklassen Gestaltung mit „Minecraft“?
Tausend: Ja, unter anderem. An einem bayrischen Gymnasium habe ich zum Beispiel die Aufgabe gestellt: Baut euch eine Wohngemeinschaft, einen Ort, ein kleines Dorf, in dem ihr gemeinsam leben wollt. Daraus entstanden auch die Fragen: Was gehört zum gemeinsamen Leben und Wohnen dazu? Und: wie gehe ich mit Zerstörung um? Darf ich etwas von anderen wieder kaputt machen? Die Kinder haben schnell gemerkt, wie wichtig es ist, Regeln zu erstellen. Sie haben sich für Demokratie entschieden: Ein Gebäude durfte nur rückgebaut werden, wenn die Mehrheit dafür gestimmt hat. So werden gruppendynamische Prozesse und auch politisches Denken früh angestoßen. Und die Motivation ist groß: Wenn ich in Schulklassen frage, spielt mindestens die Hälfte aller Jungen bereits „Minecraft“ und oft auch ein paar der Mädchen.

WIRED: Wann ist aus dem Game „Minecraft“ ein Bildungstool geworden?
Tausend: Ich würde sagen, gleich von Anfang an. „Minecraft“ war von Beginn an eine Art Kreativbaukasten, der Faktor des richtigen Spielens kam erst später dazu. Im Survival-Modus kommen nachts im Spiel Monster, die dich angreifen. Das heißt, der erste Impuls der Spieler ist es, sich einen Schutz zu errichten, beispielsweise mit Mauern. Das kreative Bauen wird also sofort gefordert. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir durch Spiele wie „Minecraft“ in zehn Jahren viel mehr junge Leute sehen werden, die sich für ein Architekturstudium bewerben oder beruflich Stadträume gestalten wollen. „Minecraft“ ist eins der meistgekauften Spiele der Welt — und zieht kleine Baumeister heran

In Schweden gibt es eine Schule, die ‚Minecraft‘ als Pflichtfach unterrichtet.

WIRED: Was sagen Sie zur Kritik, „Minecraft“ sei nur Spielerei?
Tausend: Das darf ruhig so sein. Spielen ist eine besonders effektive Lernmethode. Gerade, wenn man ein System verstehen will, macht es Sinn, sich spielerisch heranzutasten. Und auf der anderen Seite gibt es Dinge, die man besser übers Lesen lernt. Spielen ist nicht immer der richtige Weg, aber oft, wenn andere Lernmethoden nicht funktionieren. In Schweden gibt es sogar eine Schule, die „Minecraft“ als Pflichtfach hat. Aber das ist leider noch ein Einzelfall. In Deutschland wird das Lernen mit Spielen wie „Minecraft“ leider noch nicht so vorangetrieben.

WIRED: Ist „Minecraft“ ein ernstzunehmendes Tool, um die Städte der Zukunft zu bauen?
Tausend: Nein, „Minecraft“ ist kein professionelles Architektur-Tool und das Spiel hat auch Schwächen. Filigrane Details kann man nicht einbauen und die Physik entspricht nicht der Realität. Gebäude, die in „Minecraft“ halten, würden aus Stein gebaut vielleicht zusammenkrachen. Das lässt aber auch viel Raum, um Fantasie einzubringen und Visionen umzusetzen, die vielleicht in der Zukunft einmal so gebaut werden könnten. „Minecraft“ motiviert Millionen von Leuten weltweit, sich mit Themen wie Stadtentwicklung, Zusammenleben und Ästhetik auseinanderzusetzen.

Talks zum Thema:

Ulrich Tausend präsentiert am Dienstag seine Schulprojekte mit „Minecraft“. In der Session „Minecraftpublica – Zukunftsstadt selbst gebaut“ können die Teilnehmer selbst im Spiel das Konferenzcenter der Zukunft bauen.
Die Projekte können auch auf Tausends Blog verfolgt werden.

Im Workshop „Building Utopia in Minecraft and the Block chain“ wird Primavera de Filippi über ihr Kunstprojekt berichten, in dem Thomas Mores „Utopia“ über mehrere Monate in „Minecraft“ nachgebaut wird. 

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