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„Es ist für alle Beteiligten besser, wenn ich allein arbeite“ — Indie-Entwickler Lucas Pope im Interview

von Michael Förtsch
Er ist derzeit wohl einer beliebtesten Indie-Spiele-Entwickler überhaupt. Im Alleingang hat Lucas Pope 2013 mit „Papers, Please“ nicht nur ein simples Videospiel, sondern auch eine düstere Parabel auf die Willkür und Unmenschlichkeit der Bürokratie geschaffen. Sein neues Projekt „Return Of The Obra Dinn“ soll anders aber dennoch vertraut werden. Im Interview mit WIRED Germany erklärt Pope, warum er lieber allein arbeitet und bei ihm jetzt alles etwas länger dauert.

Eigentlich hat „Papers, Please“ nicht viel zu bieten. In einem virtuellen Glaskasten samt Schreibtisch überprüft der Spieler als Grenzkontrolleur eines fiktiven Sowjetstaates Einreisepapiere, checkt Passierscheine und Arbeitserlaubnisse. Alles ist in einer pixeligen und grau-braunen 8-Bit-Optik gehalten, die die entmenschlichende Fließbandabfertigung nur noch bedrückender macht. Dennoch ist „Papers, Please“ eines der am meisten gelobten Spiele der vergangenen Jahre und hat Lucas Pope Ehrungen und Preise eingebracht. In nur neun Monaten aber dafür mit bis zu 14 Stunden Arbeit am Tag hat der in Japan lebende Pope sein Game damals entwickelt.

Auch sein nächstes Spiel soll recht unkonventionell ausfallen. Als Versicherungsprüfer verschlägt es den Spieler in „Return Of The Obra Dinn“ auf ein Geisterschiff, das urplötzlich in einem Hafen auftaucht. Im Stile des Indie-Hits „Gone Home“ aber in bizarrer 1-Bit-Zwei-Farben-Grafik wird der Kahn untersucht, wobei man mit einer magischen Taschenuhr die Zeit zurückdrehen und das vergangene Geschehen wieder zum Leben erwecken kann. Eine kurze Demo-Fassung gibt es schon, bis das Game aber tatsächlich fertig sei, könne es noch dauern, sagt Pope.

WIRED: „Papers, Please“ hat dich zu einer Berühmtheit in der Indie-Szene gemacht. Aber das warst du nicht immer, vorher hast du bei Studios wie Sony Santa Monica und Naughty Dog gearbeitet. Warum hast du dich entschieden, dein eigenes Ding zu machen?
Lucas Pope: Eigentlich hatte ich schon in den Neunzigern mit einigen Freunden ein eigenes kleines Studio für PC-Spiele namens Ratloop gestartet. Was wir da durchgezogen haben, würde heute wohl perfekt die Definition des Begriffs „Indie-Entwickler“ treffen. Leider war das aber alles andere als rentabel, es war verdammt schwer, Unterstützung für kleine Entwickler oder Projekte zu bekommen, weshalb ich dann bei großen Studios anheuerte. Nach ein paar Jahren juckte es mich aber wieder, kleinere und experimentellere Spiele anzugehen.

Es reizt mich, die Anforderungen einer Spieleproduktion so weit zu reduzieren, dass ich alles allein erledigen kann.

WIRED: Nach deinem Riesenerfolg mit „Papers, Please“ wurden dir viele Jobs und sogar eigene Entwicklerteams angeboten. Aber du hast alles abgelehnt. Warst du in Versuchung, oder stand es außer Frage, weiter unabhängig zu bleiben?
Pope: Ja, es gab tatsächlich mehr als ein Angebot, wobei ich nicht von allen sagen kann, wie ernst sie gemeint waren. Sie abzulehnen war allerdings eine leichte Entscheidung. Ein Grund: Ich bin unglaublich schlecht im Managen — das habe ich bei Ratloop schmerzlich gelernt. Es ist für alle Beteiligten besser, wenn ich allein arbeite. Außerdem reizt es mich, die Anforderungen einer Spieleproduktion so weit zu reduzieren, dass ich alles selbst erledigen kann. Genau das ist der Grund, warum meine Spiele so aussehen und sich so spielen, wie sie es eben tun.

WIRED: Gerade arbeitest du an „Return Of The Obra Dinn“, einem Spiel von dem viele recht überrascht waren: 3D, merkwürdige 1-Bit-Optik und anscheinend von „Gone Home“ inspiriert. Woher kam die Idee dafür?
Pope: Mir war es wichtig, etwas ganz anderes zu machen, bevor ich nach „Papers, Please“ und „The Republia Times“ endgültig als Entwickler von dystopischen Bürokratiesimulationen gebrandmarkt werde. Ich mag diese Art Spiele zwar, aber ich liebe auch das Experimentieren, deswegen will ich auch nie eine Fortsetzung entwickeln. Vor „Return Of The Obra Dinn“ hatte ich wirklich gerade „Gone Home“ und „The Stanley Parable“ gespielt — beide sind brillant. Ich wollte mich an dieser Art des minimalistischen Abenteuers mit Ego-Perspektive versuchen. Die 1-Bit-Optik spukte mir schon lang im Kopf herum. Ich bin mit Spielen auf dem Mac Plus aufgewachsen und finde diese Grafiken wunderschön.

WIRED: Und wie geht es mit der Entwicklung voran?
Pope: Langsam. Ich hab jetzt eine Familie, da ist es schwer zu rechtfertigen, zwölf Stunden am Tag herunterzureißen. Außerdem ist „Obra Dinn“ deutlich komplexer als „Papers, Please“, was Figuren und Kulisse angeht. Ich habe viel Zeit mit der Recherche zu Segelschiffen verbracht.

Es steht außer Frage, dass ich den Erfolg von ‚Papers, Please‘ nicht reproduzieren kann.

WIRED: Verglichen mit deinen letzten Spielen ist „Obra Dinn“ anders. Das Geisterschiff, die magische Zeit-Zurückdreh-Uhr, das ist alles sehr mystisch. Trotzdem ist der Held wieder ein Bürokrat, der in einer von Kafka und Orwell inspirierten Welt lebt. Ist das Absicht, arbeitest du auf eine Art „Lucas-Pope-Spieleuniversum“ hin?
Pope: Nein, das ist wirklich nicht beabsichtigt. Es ist ein Nebeneffekt meiner Interessen, der Art, wie ich Story-Strukturen aufbaue und Mechanismen gestalte. Es ist nicht so, dass ich da sitze und sage: 'Okay, Zeit für noch ein Spiel mit einem brutalen bürokratischen System'. Ich versuche auch nicht, Wärme oder Heimeligkeit in diesen Strukturen zu finden, sondern stelle sie so dar, wie ich sie sehe — auch wenn vielleicht nicht jeder Bewohner dieser Systeme total depressiv ist.

WIRED: Verspürst du eigentlich Druck, den Erfolg von „Papers, Please“ zu wiederholen?
Pope: Absolut! Mein Ziel ist, die Leute mit „Obra Dinn“ nicht zu enttäuschen. Dabei steht es außer Frage, dass ich den Erfolg von „Papers, Please“ nicht reproduzieren kann. Das Spiel war einfach ein so unglaublicher Glücksgriff.

WIRED: Für den Entwicklerwettbewerb Ludum Dare hast du ein kleines Game namens „The Sea Has No Claim“ entworfen, in dem man ein im Ozean abgestürztes Flugzeug suchen muss. War das deine Reaktion auf das Verschwinden des Malaysia Airlines Fluges MH370?
Pope: Ja, die Inspiration kam von MH370. Zur Zeit des Verschwindens gab es große Erwartungen und dann die herbe Enttäuschung, als das Flugzeug nicht gefunden wurde. Ich dachte lange über die Herausforderung nach, etwas derart Winziges auf einem nahezu unendlichen Ozean ausfindig zu machen. Ich dachte, dass sich darin eine interessante Mechanik versteckt, die vielleicht die Schwierigkeit der Suche zumindest ansatzweise begreifbar machen könnte.

WIRED: Die Indie-Szene hat sich stark gewandelt. Wir haben Steam, Crowdfunding, Indie-Channels auf Konsolen und Konzerne wie Microsoft und Sony, die aussichtsreiche Projekte finanziell unterstützen. Denkst du, es wäre möglich, ohne all das von Spielen wie „Papers, Please“ oder „Obra Dinn“ zu leben?
Pope: Nein, eher nicht. Vor 15 Jahren kämpften wir bei Ratloop ständig ums Überleben. Wir mussten Spiele entwickeln, unheimlich viel Geld in Disks und Verpackungen stecken, und hart arbeiten, um unsere Zielgruppe zu finden. Jetzt, ist es dank digitalen Downloads und einer veränderten Sicht auf Videospiele viel simpler und einfacher, experimentelle Games zu entwerfen und ein Publikum für sie zu finden. 

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