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HELL/YEAH — Hat Mad Max seine Oscars verdient? Ein Streitgespräch

von Dirk Peitz
Mad Max gewinnt sechs Oscars und ist damit der erfolgreichste Film des Jahres, zumindest in den Augen Hollywoods. In der WIRED-Redaktionskonferenz gab es prompt heftigen Streit. Worum ging es da noch mal, Dirk Peitz und Max Biederbeck? Ach ja: Mad Max — Müll oder Segen für die amerikanische Gesellschaft? Ein Schlagabtausch

Dirk Peitz: Okay, dass bei der Oscar-Verleihung gerne mal die falschen Filme ausgezeichnet werden, das kennt man ja. Aber so daneben wie bei „Mad Max: Fury Road“ lag die Academy selten. Dieser Film ist nur insofern bemerkenswert, als dass er das Ende des Filmemachens markiert, wenn man darunter zum Beispiel so was versteht wie: eine Geschichte zu erzählen mit Bildern. Die Handlung von „Mad Max: Fury Road“ besteht aus einer einzigen Verfolgungsjagd, es geht immer nur geradeaus, erst in die eine Richtung, dann in die andere, und das zwei total elende Stunden lang.

Viele Autos (oder wie man die Gefährte in dem Film nennen soll) gehen kaputt, viele Menschen (oder wie man diese Apokalypse-Überlebende nennen soll) gehen kaputt, das alles sieht total scheiße aus – und irgendwann ist es zum Glück vorbei. Keine Ahnung, wer als Erster auf die Idee kam, das könne Kunst im Blockbuster-Format sein, doch dieses absolut haltlose Gerücht bleibt dank der Oscars jetzt wohl für alle Zeiten in der Welt. Es ist zum Verzweifeln.

Max Biederbeck: Ich kann es nur kurz machen, lieber Kollege: Blödsinn! Ich habe in den vergangenen Jahren immer wieder erlebt, dass die Oscar-Jury auch bemerkenswerte Filme so gebührlich belohnt, wie sie es verdienen. Etwa das Kriegsdrama „The Hurt Locker“. Und so passt auch der Hype um „Mad Max: Fury Road“ dieses Jahr gut in das Gesamtbild. Bei den Oscars geht es auch immer um die Entwicklungen in Hollywood, vielleicht sogar — ja ich muss das Thema so dick aufblasen — in der US-amerikanischen Gesellschaft.

Dieses Jahr drehte sich die Verleihung um Emanzipation. Im Vorfeld hat es viel Aufregung über die Nominierungen gegeben: Nur Männer, nur Weiß. Der Preisabend machte dagegen etwas Hoffnung, auch dank eines hervorragenden Chris Rock als Moderator.  Es ging um die popkulturelle Aufnahme von politischer Diskriminierung von Afroamerikanern, um die Betrachtung eines immer weiter auseinanderdriftenden Amerikas — um die klaffende Lücke zwischen liberal und reaktionär. Und dann kommt das Mad Max-Remake daher, der Godfather der Action-Dystopie und verbindet mal eben beides.

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Die Handlung des Films mag beschränkt sein, das stimmt. Aber muss ein Film immer gängigen Abläufen entsprechen? Eine sehr engstirnige Definition Herr Kollege. Vielleicht geht es gar nicht um die Handlung, sondern um das „Wie“: Um Fanatismus, um Emanzipation und darum, wie sich Zusammenhalt und Gleichheit selbst in der wahnsinnigsten aller Welten durchsetzen kann. Es ist für mich eine der größten Filmszenen, in der die Kriegerin Furiosa dem Helden die Waffe aus der Hand reißt und selbst schießt, besser als er. Ein direkter Angriff auf klischeehafte Rollenverteilungen — und die Oscar-Jury hat den Hinweis verstanden.

Peitz: Herr Kollege, unter den Einarmigen mag die Figur, die Charlize Theron in „Mad Max: Fury Road“ spielt, die Königin sein, doch unter den Filmen des vergangenen Jahres ist eben jener einfach nur der stummste aller Stumpffilme. Was immerhin jedoch zwei der sechs an ihn verschenkten Oscars rechtfertigt, die in den beiden Sound-Kategorien: In „Mad Max: Fury Road“ kommen nur zirka drei Zeilen Dialog vor, dummes Gerede lenkt nicht vom Lärm ab, der bei einem derart gigantischen Blechschaden von Film entsteht – die Sound-Leute konnten sich also mal richtig austoben. Glückwunsch zu diesem endlosen Kawumms.

Jedes weitere Wort über das Gesellschaftsbild dieses Films indes wäre eines zu viel: „Der Mensch ist ein Wolf für den Menschen“, diese alte lateinische Spruchweisheit hat schon Thomas Hobbes im 17. Jahrhundert bloß noch gähnend zitiert in „De Cive“, und Tom Hardy hat dem fast fünf Jahrhunderte später in „Mad Max: Fury Road“ nur einen Grunzlaut hinzuzufügen. Aber in Dolby-Surround-Sound klingt der natürlich super.

Biederbeck: Ach Kollege...Sie missverstehen, es geht in Mad Max Fury Road eben nicht um den Naturzustand von Hobbes, viel mehr um den Willen zur Kooperation, wie John Locke ihn festlegte. Und gerade dieses Leitthema ist in den USA aktueller denn je. Ich finde daran nichts zum Gähnen. Und noch einmal: Mad Max funktioniert über seine radikale Atmosphäre, bedient sich eines Genres, um Wahrheiten zu verpacken. Klar, es knallt und raucht und da ist soviel gleichförmige Action, dass es schon fast langweilig wird. Aber genau darum geht es doch.

Der Film ist eine Hyperbel, eine Genre-Satire auf all den glattgebügelten Action-Müll Hollywoods, bei dem mehr hängen bleibt, als dumme Sprüche und Macho-Müll. Der stummste Streifen des Jahres? Vielleicht gibt es im Independent-Universum gute Beispiele, aber im Mainstream? Können Sie mir (ohne Recherche!) bitte erklären, welcher Actionfilm besser war? Es ist ermutigend, dass die Oscar-Jury solche Produktionen mit Ecken und Kanten honoriert. Sie haben schon Recht: Ein Grunzer vielleicht, aber einer, der mehr Inhalt hat als so manche Aussage im US-amerikanischen Vorwahlkampf. 

Peitz: „Sicario“ war ein um Längen besserer Studio-Actionfilm. Einer übrigens auch, der ungefähr alles, was Donald Trump in letzter Zeit so über Mexikaner gesagt hat, nicht bloß als rassistisch, sondern selbstverständlich extrem unterkomplex entlarvt: Der Film zeigt, wie die USA sich durch den „War on drugs“, den sie gegen die mexikanischen Drogenkartelle führen, in politisch und moralisch zweifelhafte Handlungen verstricken.

Natürlich ist „Sicario“ eine äußerst fiktionalisierte Version dessen, was in der Grenzregion zwischen Mexiko und den USA heute passiert. Die Realitäten dieses Krieges kann man sich in „Cartel Land“ anschauen, der für den Doku-Oscar nominiert war, ihn heute Nacht aber leider nicht gewonnen hat. Die Trophäen für „Mad Max: Fury Road“ waren halt nicht die einzige Fehlentscheidungen der Academy. Um es mit Donald Trump zu sagen: „Let’s make apocalypse great again!"

Biederbeck: Na gut... Sicario war wirklich ein hervorragender Film — allerdings auch weit weniger grundsätzlich als Mad Max, weniger „Kunst“. Ich muss dennoch zugeben, da komme ich ins Schwanken. Ich finde allerdings, dass Sicario aus oben genannten Gründen den Erfolg von Mad Max nicht schmälert — vielleicht sollten wir das Zitat von Trump einfach in Tom Hardys Mund legen. Es klänge überzogener, ironischer, wahrer. Wie wir es interpretieren, es wäre dann ganz unsere Sache. Immerhin scheint Mad Max genau hier viel Raum zu bieten. Das schließlich zeigt ja unsere Meinungsverschiedenheit.  

Peitz: Als Max sagt Hardy ja schon im jetzigen Film: „You know, hope is a mistake.“ Der Spruch lässt sich sowohl auf den Film anwenden wie für den Fall, dass Trump wirklich US-Präsident werden sollte. Dann sollte sich George Miller mit einer weiteren „Mad Max“-Fortsetzung echt beeilen. Titelvorschlag: „End Of The Road“. 

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