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Wie politisch wird der neue „Alien“-Film?

von Michael Förtsch
Es ist offiziell: „District 9“-Regisseur Neill Blomkamp dreht den nächsten „Alien“-Film. Sigourney Weaver und Ridley Scott sind mit an Bord. Für viele „Alien“-Fans ein Grund zum Jubel, denn der Südafrikaner hat Stil, Mut und liebt die Saga seit seiner Jugend. Doch Blomkamps Filme sind immer auch von politischen, ethischen und gesellschaftlichen Fragen getragen. Der neue „Alien“-Streifen könnte unter seiner Regie zur Sozialkritik werden. Kann das funktionieren?

Es dauerte kaum zwei Monate, da verwandelten sich ein paar Konzeptbilder in ein handfestes Filmprojekt: Zum Jahreswechsel veröffentlichte der Regisseur Neill Blomkamp beiläufig einige Zeichnungen auf Instagram. Sie zeigen Skizzen für einen neuen Teil der „Alien“-Reihe. Der 35-Jährige hatte diesen in seiner Freizeit und ohne Wissen des Filmstudios Fox durchgeplant — und wieder verworfen. Denn eigentlich wollte er nach seinem neuesten Film „Chappie“ eine Pause einlegen. Doch dann überrumpelten ihn die Begeisterung und das Interesse der Fans. Nun ist „Alien“ Blomkamps nächstes Projekt. Er will an die Originalfilme anknüpfen, dabei aber „Alien 3“ und „Alien: Die Wiedergeburt“ außen vor lassen. „Ich will, dass er sich so anfühlt wie die ersten beiden Teile der Saga“, verspricht der Regisseur im Interview mit WIRED Germany.

Was andere nur aus dem Fernsehen kennen, hat Blomkamp erlebt und verarbeitet es unweigerlich in seinen Filmen.

Filmfans allgemein und „Alien“-Fans im Besonderen sind begeistert. Blomkamp ist jung, begabt, hat Stil und Anspruch. Doch er ist weder Ridley Scott noch James Cameron — die legendären Regisseure der ersten beiden „Alien“-Teile. Der 35-Jährige hat seine ganz eigene Art, zu filmen und Geschichten zu erzählen. 1979 in der Vorstadt von Johannesburg geboren, erlebte Blomkamp den Höhepunkt und Niedergang der staatlich verordneten Rassentrennung in Südafrika — der Apartheid. Strände und Toiletten nur für Weiße, rassisch getrennte Eingänge in Gebäuden, Aufstände, Straßenkämpfe, Morde, Elektrozäune: Was andere nur aus dem Fernsehen kennen, hat er erlebt und verarbeitet es unweigerlich in seinen Filmen. Er spielt mit politischen und ethischen Fragen.

 

 

Schon Blomkamps Kurzfilm „Alive in Joburg“ war eine Parabel auf die Apartheid. Aus diesem entwickelte er sein Feature-Film-Debut „District 9“: Auf der Erde gestrandete Aliens werden in Slums gepfercht, unterdrückt und deportiert. Xenophobie und Rassismus, deren Schrecken sich erst durch die Transformation des Helden Wikus vom Menschen zum Außerirdischen offenbart. Im darauf folgenden „Elysium“ denkt Blomkamp hingegen die soziale Abgrenzung und den Trend zu Gated Communties weiter: Die Reichen leben auf einer Luxusraumstation während unter ihnen die Erde samt Prekariat verödet. Und sein aktueller Film? „Chappie ist ein Kommentar auf die Fehler der Menschheit“, beschreibt Blomkamp ihn gegenüber WIRED Germany. Hier repräsentiert ein Roboter mit Gefühlen und freiem Geist „das Gute in uns“, wie er sagt.

Blomkamps Welt gleicht den Dystopien von Scott und Cameron sehr stark.

Vor allem in „Elysium“ und „District 9“ zeigt sich allerdings perfekt, dass Blomkamps Welt den von Scott und Cameron geschaffenen Dystopien in ihrer Essenz gleicht. Der Südafrikaner zeichnet das Bild eines verwahrlosten Planeten. Meterhoch stapelt sich Müll. Armut ist für Milliarden die Norm und technischer Fortschritt erleichtert allein der Oberschicht das Dasein. Die restlichen 99 Prozent werden durch Technologie in Form von Roboterwächtern unterjocht. In „Alien“ und „Aliens“ dominieren übermächtige Konzerne das Leben. Kahler Industrie- und Stahlwerk-Chic prägt den Arbeitsalltag, der die Expansion ins All und die Ausbeutung fremder Welten zum Ziel hat; ein bizarrer Neo-Kolonialismus. Die Technik hängt dabei auf dem Stand der 70er Jahre fest — und diktiert dennoch in Form von Schiffscomputern wie MU-TH-UR das Handeln der Arbeiterklasse. Beides sind extrem pessimistische Visionen.

Doch passt eine offensive politische, ethische, gesellschaftliche Fragestellung im Stil des Cinéma vérité wirklich in die Welt von „Alien“? Ridley Scotts Meisterwerk von 1979 ist schließlich perfider Science-Fiction-Horror und James Camerons „Aliens“ von 1986 ein brutal-stringenter Science-Fiction-Kriegsfilm. Allerdings verbirgt sich unter der Hülle des Raumschiffs Nostromo und dem Fels des Planeten LV-426 mehr, als es den Anschein haben mag. Tatsächlich analysiert „Alien“ menschliche Urängste. Der erste Film „porträtiert den freudschen Terror“, sagt Blomkamp gar. Ganz offensichtlich ist allein schon die sexuelle Natur von „Alien“: der Facehugger zum Beispiel, der seinem Opfer den Embryo durch den Mund presst, oder der phallisch gezogene Schädel des von H.R. Giger erdachten Xenomorph, einer biomechanischen Tötungsmaschine. „Alien ist ein Vergewaltigungsfilm mit männlichen Opfern“, interpretierte beispielsweise David McIntee, Autor des Buches „Beautiful Monsters“.

James Camerons „Aliens“ ist hingegen kein Horror, sondern Action. Der „Terminator“-Regisseur bearbeitet im zweiten Film der Reihe ein Trauma seiner Generation, den Vietnam-Krieg. „Die technisch hochgerüsteten Menschen verlieren gegen einen wesentlich weniger entwickelten Feind“, erklärt Blomkamp. „Genau wie die Amerikaner gegen den Vietcong.“ Die Enge der Kolonie Hadley's Hope auf LV-426 steht dabei für die drückende Unübersichtlichkeit des Dschungels. Und die Lüftungsschächte, aus denen die Aliens kriechen, repräsentieren die Tunnel des vietnamesischen Soldaten.

Die Figur der Ellen Ripley sieht Cameron als Kriegsveteranin, die dem Monster zwar entkommen ist, aber nur einen Weg sieht, ihre Albträume und Erinnerungen zu überwinden: sich an der Seite der Marines erneut dem Alien zu stellen. „Viele Soldaten aus Vietnam, gingen nach ihrer Heimkehr wieder zurück in den Krieg“, sagte James Cameron einmal in einem Interview mit dem Magazin Fangoria. „Sie mussten ihrem inneren Dämon begegnen. Das war eine logische Metapher.“ Die Schlacht der arroganten Marines gegen die animalischen und instinktgetriebenen Aliens mündet in Angst, Verwirrung, Panik. Es ist ein Duell gegen einen unverständlichen Gegenspieler, ein asymmetrischer Konflikt, in dem überlegene Feuerkraft plötzlich kein Siegesgarant mehr ist.

Auch die „Alien“-Originale sind also durchaus politisch und psychologisch gefärbt und mit subtilen Gedankenexperimenten unterfüttert. Vor allem deswegen üben sie eine derartige Faszination aus, ängstigen und verstören auch heute noch. Und deshalb könnte Neill Blomkamp tatsächlich der Richtige sein, um der seit zwei Jahrzehnten brachliegenden Filmreihe einen würdigen Abschluss oder gar Neustart zu verpassen. Wie Blomkamp im Gespräch mit WIRED Germany beichtet, hat er aber noch keine Ahnung, welches Thema in seinem „Alien“-Abenteuer eine Rolle spielen könnte. „Ich mache einfach meine Kunst, rationalisiere nicht und denke auch nicht im Voraus darüber nach, welches Problem ich diesmal bereden möchte“, erklärt der Südafrikaner.

Blomkamp will sich ‚Alien‘ nicht selbstgefällig zu eigen machen.

Die gnadenlos finstere Welt von „Alien“ bietet sich als Hülle für so ziemlich jedes aktuelle Thema an. Doch es ist unwahrscheinlich, dass Blomkamp erneut Rassismus oder soziale Ungleichheit aufgreifen wird. „Es ist nicht mein Job, politischen oder sozialen Mehrwert in die Serie einzuführen“, stellt er klar. Stattdessen beschäftigt sich der Südafrikaner schon lange mit Ray Kurzweils Theorie der Singularität, einem hypothetischen Punkt in der Zukunft, an dem der Mensch mit der Maschine verschmilzt. „Ich denke, dass das passieren wird“, prognostiziert er in einem Interview mit AV Club. „Es wird eine Neudefinition dessen nötig sein, was es heißt, Mensch zu sein.“ Das Alien als biomechanische Kreatur, die Nutzbarmachung seiner surrealen Organmechanik, wäre das perfekte Vehikel dafür.

„Dieses Maschinenwesen ist für die Ewigkeit geschaffen“, sagte der 2014 verstorbene Künstler H.R. über seine Schöpfung. Ist das der mögliche Aufhänger für Blomkamps Film? Ist es das, was der allmächtige Konzern Weyland-Yutani sucht, wenn er — wie auf Blomkamps Skizzen zu sehen — ein Raumschiff samt Alien-Eiern auf eine riesige Raumstation bringen lässt: die durch Biomechanik erlangbare Unsterblichkeit? Das wäre ein Gedankenspiel, das den beiden Vorbildern ebenbürtig ist. Sicher ist jedenfalls: Der 35-Jährige Südafrikaner will respektvoll mit der Saga umgehen, einen genetischen Zwilling zu Scotts und Camerons Meisterwerken produzieren und sich „Alien“ nicht selbstgefällig zu eigen machen. Das heißt, das übergerodnete Thema soll den Film nicht dominieren, sondern nur eine weitere Erzählebene schaffen. „Letztlich ist es nämlich so“, sagt Blomkamp immer wieder: „Kino soll vor allem Spaß machen.“ 

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