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„Die Cloud ist nicht himmlisch, sondern das genaue Gegenteil!“: Verschlüsselungs-Experte Paul Feigelfeld zur neuen Privatsphäre

von Max Biederbeck
Post Digital: Das bedeutet, die Teenager-Jahre des Internets sind vorbei. Mittlerweile gehören Netz und Technologie zum Alltag. Sie durchziehen wie selbstverständlich Kultur, Politik, Wirtschaft und Privatleben: Damit beschäftigt sich am Freitag und Samstag auch die Kunst- und Social-Media-Konferenz „Post Digital Cultures“ im schweizerischen Lausanne. WIRED Germany hat im Vorfeld mit einem der Hauptredner gesprochen.

Paul Feigelfeld ist Kultur- und Medienwissenschaftler, Verschlüsselungsexperte und Koordinator des Digital Cultures Research Lab am Centre for Digital Cultures an der Leuphana Universität in Lüneburg. Er fordert zum Anlass der Post Digital Cultures, dass wir die Frage nach der Privatsphäre nicht mehr ohne den Begriff „online“ stellen.

WIRED: Hast du vergangene Woche den neuen Geschäftsbedingungen von Facebook beruhigt zugestimmt oder dreht sich einem als Experte für Kryptographie und digitaler Privatsphäre da eher der Magen um?
Paul Feigelfeld: Ich habe zugestimmt, aber es spielt keine Rolle, weil sich nichts ändert. Wer ein Netzwerk wie Facebook nutzt, wird Teil davon. Ist man erst einmal drin, gibt es keine wirkliche Privatsphäre mehr.

WIRED: Es gab aber auch diesmal wieder zahlreiche Posts mit Inhalten wie „Hiermit widerspreche ich den neuen Facebook-Geschäftsregeln“. Leute wollen scheinbar eben doch um ihre Privatsphäre kämpfen.
Paul Feigelfeld: Aber sie wissen nicht, wie. Ich rege mich über diese Posts jedes Mal wieder auf. Darüber, dass die Leute ernsthaft glauben, solche Disclaimer würden ihnen etwas bringen. Bei Facebook bleibt wirklich nur die Entscheidung: Ich mache mit oder ich lasse es. Du kannst deine Privatsphäre dort einfach nicht schützen, weil deine Daten Teil des Geschäftsmodells sind. That’s the deal und nichts Neues. Rechtlich zu widersprechen, vor allem per Timeline-Post, das bringt nichts und zeigt nur, wie unmündig die Leute sind. Langsam etablieren sich alternative Plattformen wie ello, haben aber natürlich noch Schwierigkeiten, sich gegen die Big Four (GAFA: Google, Apple, Facebook, Amazon) durchzusetzen. Social Computing ist rechtlich, ökonomisch und politisch gesehen nach wie vor eine Farce.

WIRED: Hört sich so an, als würdest du das Internet als Staat mit eigenen Regeln definieren?
Feigelfeld: Solche Metaphern wecken falsche Vorstellungen. Wäre das Internet ein Staat, gäbe es ja durchsetzbares Recht. Aber das ist nicht so. Auch Wörter wie Cloud-Computing führen User in die Irre.

Eine Cloud ist eine massive Zentralisierungs- und Hierarchisierungs-Kampagne von Daten.

Paul Feigelfeld

WIRED: Die Bedeutung ist doch klar: „Ich lade alles in eine Wolke hoch.“
Feigelfeld: Machst du, aber das Wort gibt dir das Gefühl von etwas Luftigem, Fluffigem, das irgendwie überall ist. Und ein wenig himmlisch. Aber eine Cloud ist genau das Gegenteil, nämlich eine massive Zentralisierungs- und Hierarchisierungs-Kampagne von Daten. Ein Computernetzwerk, wo du alle deine Daten lokal speicherst, das ist dezentral und schwer zu kontrollieren. Cloud Computing ist das Gegenteil von Transparenz, eine Vernebelungstaktik, die dazu führt, dass unsere Hard- und Software letztlich tatsächlich Black Boxes werden und wir nicht mehr wissen, was sie tun.

WIRED: Also fix zum Elektromarkt, externe Festplatten kaufen?
Feigelfeld: Im Grunde würde ich das raten. So ähnlich wie Snowden es schon gesagt hat: Je weniger große Services man nutzt, desto besser. Aber ich bin weder Aktivist, noch bin ich paranoid. Manchmal kommt man um bestimmte Services nicht herum. Ich will den Leuten nur Alternativen aufzeigen. Ihnen bewusst machen, dass es genug sichere Open-Source-Alternativen zu Diensten wie Dropbox oder Google Drive gibt. Dass Verschlüsselung sich zwar kompliziert anhört, es aber nicht ist. Dass es vor allem kein oppositioneller Akt ist, sondern selbstverständliches, politisch und sozial mündiges Verhalten in einer weltweiten Infrastruktur, die alle Bereiche unseres Lebens durchdringt.

Als User muss man immer nach dem ‚Man in the Middle‘ fragen.

Paul Feigelfeld

WIRED: Was empfiehlst du also?
Feigelfeld: Wir haben für die „Post Digital Cultures“-Konferenz ein Set an sinnvollen Tools zusammengestellt. Dort und auf Cryptoparties erklären wir Leuten, wie man Tor und PGP-Verschlüsselung installiert. Wie man sich einfach einen VPN-Client einrichten kann, der dann im Hintergrund läuft. Und dass BitTorrent ein guter Ersatz für große Cloud-Dienste sein kann. Das sind alles einfache Mittel. Sie helfen, die eigene Privatsphäre zu schützen.

WIRED: WhatsApp hat damit angefangen, eine Verschlüsselung in seinen Messenger einzubauen. Facebook hat eine Seite für Tor optimiert. Viele E-Mail-Programme kommen mittlerweile mit vorgefertigter End-To-End Verschlüsselung. Die Konzerne kümmern sich ja scheinbar schon von alleine um unsere Privatsphäre, eben weil es so einen großen Aufschrei gibt.
Feigelfeld: Das ist auch gut so. Trotzdem muss man sich als User immer nach dem „Man in the Middle“ fragen. Durch welche Hände gehen meine Daten, wenn ich sie durchs Internet schicke. WhatsApp oder auch Threema setzen mittlerweile auf Verschlüsselung, sind aber nicht Open Source. Das bedeutet, der User muss dem Konzern im Hintergrund schlicht glauben, dass der mit den Daten so umgeht, wie er es behauptet. Deswegen sind Open-Source-Varianten, egal ob für Mail-Clients, Messengern oder sonst etwas, immer vorzuziehen. Open source gewährleistet Transparenz. Eine große Community kann überprüfen, ob eine Software hält, was sie verspricht.

WIRED: Und nach Möglichkeit sollten wir sowieso alles verschlüsseln?
Feigelfeld: Verschlüsselung von Daten ist einfach und so alt wie Daten und Netzwerke selbst. Das muss nur noch im Bewusstsein der Menschen ankommen. Der Rest kostet drei Mausklicks. Apps wie Signal, TextSecure oder Telegram ermöglichen sichere Telefonate und Messaging, einfach indem du sie herunterlädst.

Zum Verschlüsseln gehören immer zwei.

Paul Feigelfeld

WIRED: Signal habe ich heruntergeladen. Benutzt nur außer mir keiner und deshalb funktioniert es nicht.
Feigelfeld:  Das bestätigt, was ich sage. Solche Dinge müssen in unserer postdigitalen Kultur ankommen. Wir dürfen nicht nur andere für unsere Daten verantwortlich machen, sondern sollten uns selbst darum kümmern. Zum Verschlüsseln gehören immer zwei. Bei der Arbeit, im Freundeskreis, da muss diese Art der Privatsphäre losgehen und darauf aufbauend wachsen, egal ob Firmengeheimnis oder Liebesbrief.

WIRED: Siehst du denn, dass Menschen ihr Verhalten langsam ändern?
Feigelfeld:  Das meiste spielt sich immer noch bei sehr informierten Usern und tatsächlich unter Internetaktivisten ab.

WIRED: Aber seit Snowden ist Online-Privatsphäre doch ein großes Thema?
Feigelfeld:  Ja, aber da sind wir wieder bei den Facebook-Posts vom Anfang. Mich wundert, wie uninformiert solche Aufschrei-Aktionen ablaufen. Auch im Fall von Snowden war ich vom Public Outrage überrascht.

WIRED: Du warst überrascht?
Feigelfeld: Die Leute beschweren sich: „Skandal! Unsere Regierungen hat uns belogen und uns abgehört!" Aber die Infrastrukturen, von denen wir hier sprechen, wurden von genau diesen Regierungen, dem Militär und den Nachrichtendiensten gebaut und waren immer schon Macht- und Kontrollstrukturen. Ein klein bisschen Auseinandersetzung mit unserer Mediengeschichte reicht, um zu verstehen, dass das keine neue Entwicklung ist.

Kryptographie ist nichts oppositionelles sondern sollte etwas ganz normales sein.

Paul Feigelfeld

WIRED: Du sprichst von den Anfängen des Internets.
Feigelfeld: Genau. Das trifft für ein Thurn-und-Taxis-Postnetz genauso zu wie für Telegrafennetzwerke oder das Internet. Es liegt auch an uns, sicherzustellen, dass wir Verschlüsselung benutzen, um uns zu schützen. Kryptographie, das ist nichts oppositionelles, sondern sollte etwas ganz normales sein.

WIRED: Und dahin kommen wir, indem wir...
Feigelfeld: ...endlich lernen, zu wissen, was wir tun. Indem Bürger mündig werden und verstehen: Es gibt in postdigitalen Zeiten keine Trennung zwischen offline und online mehr. Das ist miteinander verschränkt. PGP, Tor, VPN, P2P sollten keine Fremdwörter mehr sein. Verschlüsselung hat weder etwas mit Aktivismus zu tun, noch ist es ein Werkzeug für Oppositionelle. Schon gar nicht muss man Experte sein, um die Instrumente zu benutzen. Sie sind heute wahnsinnig einfach zu bedienen. Das sollte alles stinknormal sein, als würde ich zur Post gehen, den Brief zumachen, ihn einmal ablecken und dann verschicken.

WIRED: Auch ein Brief kann geöffnet werden.
Feigelfeld: Ich glaube ja auch nicht an absolut sichere Kommunikation. Es gibt immer Rauschen und Unsicherheiten. Auch wird es immer Kräfte geben, die irgendein Interesse an Information haben, wirtschaftlich, politisch, wie auch immer. Aber es gibt eben auch Methoden und Werkzeuge, die wir nutzen und weiterentwickeln können. Tools, die uns helfen, unsere Identität zu bewahren und eine Kultur schaffen, deren digitaler Natur wir uns bewusst sind. In der wir nicht alles den Regierungen, Geheimdiensten und Konzernen überlassen. 

Das SYMPOSIUM: POST DIGITAL CULTURES findet am Freitag und Samstag in Lausanne statt. Redner sind Karen Archey, Thomas Burkhalter (Norient), Cécile B. Evans, Paul Feigelfeld, Elise Lammer, Gabrielle Marie (Wikimedia CH), Federica Martini, Yuri Pattison, Timur Si-Qin und Amalia Ulman.

 

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