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Zukunft der Arbeit / Beim Jobsharing machen zwei Personen einen Job — geht das?

von Martin Wiens
Warum die ganze Arbeit alleine machen, wenn man sie sich auch teilen kann? Beim Jobsharing teilen sich zwei Personen eine Stelle. Das entlastet nicht nur die beiden Tandempartner — sondern könnte langfristig auch eine Chance für den Arbeitsmarkt in Deutschland sein.

Beim Jobsharing teilen sich klassischerweise zwei Menschen einen Vollzeitjob. Das muss nicht immer eine 100-Prozent-Stelle sein. „Gerade wenn zwei Personen gemeinsam eine Führungsposition besetzen, geht das oft über 100 Prozent hinaus“, sagt Jana Tepe. Gemeinsam mit Anna Kaiser hat die 28-Jährige im Jahr 2013 die Jobsharing-Plattform Tandemploy gegründet. Auf der bringen die Gründerinnen Tandem-Interessierte zusammen und vernetzen sie mit Unternehmen, die Jobsharing unterstützen. 2500 Nutzer haben sich mittlerweile auf der Seite angemeldet — um das Marketingbudget und die Reichweiten weiter zu erhöhen, plant Tandemploy gerade eine neue Finanzierungsrunde. Wenn sich zwei Job-Partner gefunden haben, müssen sie ihre gemeinsame Stelle komplett selbstständig organisieren. Denn für den Arbeitgeber soll sich durch die Aufsplittung nichts ändern — und wenn, dann nur zum Besseren. Warum, erklärt Tandemploy-Gründerin Jana Tepe im WIRED-Interview.

WIRED: Auf eurer Plattform Tandemploy bringt ihr Leute zusammen, die sich gemeinsam eine Arbeitsstelle teilen sollen. Wie funktioniert das?
Jana Tepe: Auf unserer Seite können sich Einzelpersonen, die sich für Jobsharing interessieren, ganz normal registrieren. Dafür füllt man einen kurzen Fragebogen aus und bekommt im Anschluss automatisch Vorschläge für seinen Tandempartner. Dahinter steckt ein Algorithmus, den wir zusammen mit Forschungsinstituten und Universitäten entwickelt haben. Der achtet nicht nur auf die harten Faktoren, also, dass man in der gleichen Stadt im gleichen Job arbeiten will — auch die Chemie muss stimmen. Im Fragebogen werden so Sachen wie „Arbeitsweise“, „Kommunikationsweise“, „Ziel und Motivation“ erfasst. Daraufhin machen wir Vorschläge für Partner. Außerdem kann man sich bei Jobsharing-freundlichen Unternehmen, die Stellen auf unserer Seite ausschreiben, bewerben — alleine oder auch schon zu zweit, wenn man jemanden gefunden hat.

Wie in einer Beziehung muss auch in einem Tandem die Chemie stimmen. Da gibt es Parallelen zum Online-Dating.

Jana Tepe

WIRED: Was ist der nächste Schritt, wenn sich zwei Tandempartner online gefunden haben?
Tepe: Man kann über unsere Plattform über Nachrichten direkt mit Leuten schreiben, die man spannend findet. In Kürze wird es auch so sein, dass man sich spannende Tandempartner merken kann und Profile verschmelzen lassen kann. An so einem Gemeinschaftsprofil arbeiten wir gerade. Immer häufiger treffen dass sich die Tandems außerdem auch im echten Leben, gehen Kaffee trinken und lernen sich kennen, ehe sie sich gemeinsam bewerben.

WIRED: Eure Homepage ähnelt von der Aufmachung ein wenig einer Dating-Seite.
Tepe: Natürlich sind da gewisse Ähnlichkeiten. Wie in einer Beziehung muss auch in einem Tandem die Chemie stimmen. Da gibt es Parallelen zum Online-Dating. Aber unser Matching-Algorithmus ist natürlich ganz stark auf die Zusammenarbeit im Job bezogen.

WIRED: Ist es genau so schwer, einen Jobpartner zu finden wie einen Lebenspartner?
Tepe: Das glaube ich nicht. (Lacht) Das merken wir auch bei den Tandems, die wir in der Praxis treffen. Die sagen, dass eine Grundsympathie zwar wichtig ist, aber man nicht nach der Arbeit ein Bier miteinander trinken gehen muss. Wichtiger ist, dass beide in dieselbe Richtung schauen. Es geht ja immer noch um ein Arbeitsverhältnis. Oft kann man außerdem auf seiner alten Stelle bleiben, indem man sie mit jemandem teilt. Wegen dieser Chance erleben wir eine riesige Eigenmotivation bei den Jobsharern. Das ist schon mal eine ganz andere Ausgangslage als zum Beispiel in einer Beziehung.

WIRED: Wenn man aber von einer Führungsposition ausgeht, die geteilt wird: Da können die Egos ja schon mal recht groß sein. Steht das einer Doppelbesetzung im Wege?
Tepe: Jobsharing spricht natürlich nicht jede Persönlichkeit an. Generell ist es eher für Menschen, die Teamarbeit und kooperatives Arbeiten schätzen. Jemand, der sich sehr stark profilieren möchte und das braucht, würde sich für Jobsharing gar nicht interessieren. Da findet also eine Selbstselektion statt.

WIRED: Wie viele Tandempaare konntet ihr bereits erfolgreich vermitteln?
Tepe: Das ist in Zahlen ein bisschen schwer nachzuvollziehen, weil wir ja nicht für die Vermittlung bezahlt und deshalb auch nicht immer informiert werden. Ich schätze aber, dass es so zwischen fünf und zehn sind. Gestern habe ich zufällig im Radio von einem erfahren.

WIRED: Scheitern viele Tandem-Partnerschaften nach einer gewissen Zeit?
Tepe: Ich kenne Tandems, die nach ungefähr einem Jahr auseinander gegangen sind. Aber nicht in Feindschaft, sondern einfach, weil sich die individuellen Ziele verändert haben: Der eine wollte auf einmal Karriere machen und der andere nicht. So was gibt es natürlich. Ich habe aber noch nie ein Paar getroffen, dass sich ernsthaft gestritten hat.

WIRED: In manchen Gruppenarbeiten ist die Arbeitsverteilung sehr unausgewogen. Ein Teil lässt die Arbeit schleifen, während der andere fast alles alleine macht. Kann das auch beim Jobsharing ein Problem sein?
Tepe: Meiner Erfahrung nach nicht. Die Eigenmotivation ist so hoch, dass die Zusammenarbeit fast immer funktioniert. Jobsharing ermöglicht den Tandempartnern etwas, was sie vorher nicht hatten. Aus Eigennutz heraus sind also beide Seiten sehr daran interessiert, dass das Verhältnis funktioniert.

WIRED: Wie läuft so ein Tandem im konkreten Arbeitsalltag ab?
Tepe: Es gibt nicht das eine Modell, was alle so umsetzen. Wir kennen ganz viele Tandems, die sich tageweise aufteilen: Dann kommt der Eine von Montag bis Mittwoch, der Andere von Mittwoch bis Freitag — mittwochs überschneiden sich die beiden Jobpartner einen halben Tag. Dann haben sie ein Meeting und sprechen die wichtigsten Punkte ab. Es gibt aber auch Tandems, die sich vormittags und nachmittags aufteilen. Da ist ganz viel denkbar. Und abseits von diesem klassischen 50:50-Modell gibt es ganz oft auch 60:60- oder 60:40-Modelle. Da sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt.

WIRED: Inwiefern können die weniger fest geregelten Arbeitszeiten in so einer Stelle auch zu Selbstausbeutung führen?
Tepe: Immer da, wo der Grad der Flexibilisierung ansteigt, ist auch die Eigenverantwortung des Einzelnen gefragt. Dazu gehört natürlich auch, darauf zu achten, dass man sich nicht selbst ausbeutet. Für mich überwiegt aber klar die Chance, sich selbst zu managen.

Zwei Leute, die sich gegenseitig ergänzen, decken zusammen mehr ab, als das einer alleine könnte.

Jana Tepe


WIRED: Wie hoch ist dieser zusätzliche Self-Management-Aufwand?
Tepe: Wir haben in den letzten zwei Jahren bestimmt mit hundert erfahrenen Jobsharern gesprochen. Die sagen relativ einstimmig, dass der Kommunikationsaufwand bei ungefähr ein bis drei Stunden in der Woche liegt. Gleichzeitig sagen die aber auch, dass vieles schon über bloße Abstimmung hinausgeht — dass man gemeinsam schon weiterdenkt.

WIRED: Neben dem gemeinsamen Weiterdenken: Was hat ein Unternehmen davon, Jobsharing zu unterstützen?
Tepe: Zunächst einmal können Unternehmen angestellte Mitarbeiter ganz anders halten und ein Angebot machen, wenn diese ihre Arbeitszeit reduzieren wollen. Sie können auch direkt Tandems für neue Stellen suchen. Das ist super, weil sie doppelte Potenzen kriegen: Zwei Leute, die sich gegenseitig ergänzen, decken zusammen mehr ab, als das einer alleine könnte. Außerdem ermöglicht Jobsharing die perfekte Vertretung. Ein Mitarbeiter fehlt im Schnitt 45 Tage im Jahr durch Krankheit oder Urlaub. Für ein Unternehmen bedeutet das enorme Ausfälle und Kosten. Wenn man aber jemanden hat, der perfekt informiert ist und die Arbeit fortsetzen kann, ist das eine riesen Ersparnis.

WIRED: Und was sind mögliche Nachteile?
Tepe: Was auf den ersten Blick immer kommt, ist die Frage nach den Kosten. Viele Unternehmen denken im ersten Schritt, dass es teurer wird, weil die Sozialabgaben ab bestimmten Bruttogehältern ein bisschen ansteigen. Ich rechne dann immer dagegen, was Jobsharing bringt. Den minimal höheren Kosten für Sozialabgaben stehen auf der anderen Seite die höhere Produktivität und perfekte Vertretung gegenüber. Das ist ein Riesenbatzen, den du gewinnst. Und der wiegt es mehr als auf.

WIRED: Leichter berechenbar sind aber die Sozialabgaben.
Tepe: Genau. Man kann aber auch knallhart durchrechnen, was ein durchschnittlicher Fehltag kostet und so weiter. Das lässt sich schon in Zahlen ausdrücken. Aus meiner Sicht gibt es keine wirklichen Nachteile.

Wir haben 30 Prozent Männer auf der Plattform. Das ist viermal so hoch wie die Männer-Teilzeit-Quote in Deutschland.

Jana Tepe

WIRED: Was ist der Unterschied zwischen Jobsharing und der klassischen Teilzeitarbeit?
Tepe: Rein vertraglich gesehen ist es das Gleiche. Jobsharer haben auch zwei Teilzeitverträge und manchmal noch einen Dachvertrag oben drauf, in dem Dinge wie Vertretungsregelungen und Boni-Aufteilungen geregelt sind. An Jobsharing ist das Entscheidende das gemeinsame Ziel und die gemeinsame Verantwortung. Man ist gemeinsam für die Stelle verantwortlich und muss diese so organisieren, dass es sich für den Chef so anfühlt wie eine Person.

WIRED: Teilzeit wird ja häufig ausschließlich mit Frauen in Verbindung gebracht. Ist das bei Jobsharing auch so?
Tepe: Wir haben 30 Prozent Männer auf der Plattform. Das ist viermal so hoch wie die Männer-Teilzeit-Quote in Deutschland. Die Nachfrage ist also enorm. Es geht dann nur noch um die Aufklärung. Wenn Männer von Jobsharing erfahren, finden sie es super spannend, weil sie sich beispielsweise eine buntere Arbeitswoche mit mehr Zeit für eigene Projekte wünschen. Oder weil sie sich auch mehr Zeit für die Familie wollen.

WIRED: Passt Jobsharing einfach gerade in unsere Zeit?
Tepe: Tatsächlich tut sich gerade ziemlich viel in der Gesellschaft. Auf der einen Seite spüren wir einen starken Wandel in der Arbeitswelt — es passiert viel in Bezug auf Flexibilisierung und Digitalisierung. Neben der Tatsache, dass unsere Gesellschaft altert, wandeln sich auch unsere Ansprüche an Arbeit. Das belegen ja ganz viele Studien, dass Geld nicht mehr so wichtig ist wie Sinn. Darum passt Jobsharing sehr gut in den Zeitgeist.

WIRED: Inwiefern kann auch der Arbeitsmarkt in Deutschland von Jobsharing profitieren?
Tepe: Die Statistiken sind sich relativ einig darüber, dass uns im Jahr 2030 5,5 Millionen Fachkräfte fehlen werden. Dieses riesige Loch könnte man stopfen, wenn man es schaffen würde, Frauen mit Kindern unter 16 Jahren besser auf unserem Arbeitsmarkt zu integrieren. Allein wenn man deren Potenziale nutzen würde, hätte man ungefähr 1,5 Millionen Fachkräfte mehr. Zusätzlich sind auch generationsübergreifende oder internationale Tandems denkbar. Wenn man in der Anwendung einfach ein bisschen kreativer ist und beim Recruiting nicht immer nur schaut: männlich, in den 40ern, weiß — das ist im Moment der Stereotyp, nach dem eingestellt wird — könnte man das Fachkräfteloch stopfen.

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