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Digital ist besser / Warum Johnny Haeusler über manche Dinge nicht mehr online spricht

von GQ
Nach den Snowden-Veröffentlichungen, den durch sie bekanntgewordenen Aktivitäten der Geheimdienste und der Vorratsdatenspei… oh, Verzeihung, der Mindestspeicherpflicht (die wohl aus gutem Grund nicht „Höchstspeicherpflicht“ heißt), muss ich feststellen: Unsere Freiheit ist längst dahin.

Innerhalb weniger Monate hat sich unser Kommunikationsverhalten geändert, und wenn ihr diese Aussage belächelt und mich für paranoid haltet, dann gibt es drei Möglichkeiten:

1. Ihr beobachtet euer eigenes Verhalten und das von Dritten nicht aufmerksam genug, aber ich habe Recht.
2. Es ist euch egal, aber ich habe Recht.
3. Ich bin tatsächlich paranoid, aber ich habe Recht.

Beginnen wir mit der Verschlüsselung von elektronischer Kommunikation, nach Aussage von Experten ist die ja mittlerweile erste Bürgerpflicht. Ich nutze sie dennoch kaum, denn ich befürchte, damit viel eher in den Fokus einer möglichen Dauerüberwachung zu geraten. Ich stelle mir den für meinen Buchstabenbereich zuständigen Geheimdienstmitarbeiter vor, einen etwa 28-jährigen Linux-Nerd, der sich seinen Job zwar mal ganz anders vorgestellt hat, ihn aber wegen des wirklich guten Gehalts nicht aufgeben mag. Und der bei einer Routine-Stichwortüberprüfung des Systems ein blinkendes rotes Warndreieck in seinem Dashboard entdeckt: „Ha! Der Haeusler verschlüsselt plötzlich seine Mails! Ich wusste, dass da was im Busch ist!“ Und dann klickt er auf den Button „Follow“ und passt noch viel besser auf mich auf als vorher. Er kann zwar (noch) nicht lesen, was ich schreibe oder empfange, aber das kommt schon noch.

Seit Snowden kommunizieren viele mit angezogener Handbremse.

Stattdessen bin ich auf eine andere Form der Chiffrierung umgestiegen: Über bestimmte Inhalte kommuniziere ich gar nicht mehr digital, sondern nur noch im persönlichen Gespräch. Was Anwälte schon seit jeher machen — sie rufen nach einer empfangenen Mail den Absender an und vereinbaren einen Termin — tun meiner Beobachtung nach auch immer mehr andere Menschen. Sie kommunizieren seit Snowden mit angezogener Handbremse. Unsere Freiheit, Verschlüsselung zu wählen, ist in Wirklichkeit längst dahin, und die Freiheit, uns auf Wunsch offen oder unbeobachtet äußern zu können, sowieso.

Überhaupt: Wahlfreiheit. Als Google vor wenigen Tagen seinen neuen Dienst Google Photos vorstellte, war mein Twitter-Stream begeistert. Kostenloser, unbegrenzter Speicherplatz in der Wolke, simple Bildbearbeitung, das alles mit der von Google gewohnten Einfachheit — was kann da schiefgehen? Antwort: Ich. Und sicher viele andere potentielle Nutzerinnen und Nutzer. Denn wenn Bradley Horowitz, Head of Streams bei Google, den neuen Dienst als „Gmail für Bilder“ ankündigt, dann schreckt mich das eher ab — so großartig ich Google Mail auch finde. Und wenn er die Frage, ob Google die in Photos eingebaute Gesichtserkennung auch zur Identifizierung von Personen nutzen kann, dann auch noch mit dem Satz „Nicht in dieser Version der Software“ beantwortet, dann steht für mich fest: ohne mich.

Ich könnte Google endlos vertrauen, ich könnte sicher sein, dass das Unternehmen keinerlei Unfug mit meinen Daten macht: Dritten, die jetzt oder in Zukunft Zugriff auf diese mächtigen Datenverknüpfungen haben könnten, traue ich sehr wahrscheinlich nicht. Meine Freiheit, Software oder Dienste ausprobieren und nutzen zu können, ohne überlegen zu müssen, was diese Entscheidung in fünf Jahren bedeuten könnte, ist somit ebenfalls dahin.

Auf perfide Art haben die, die unsere demokratischen Freiheiten attackieren wollen, schon gewonnen.

Und bei der Hardware, mit der man sich noch stärker an ein Unternehmen bindet, ist es natürlich genau das Gleiche. Wer mobil arbeiten möchte, hat die Wahl zwischen iOS, Android und Windows Mobile (oder wie immer das in drei Tagen auch heißen mag), also zwischen Apple, Google und Microsoft. Dieses Triumvirat allein lässt den Begriff „Wahlfreiheit“ schon lächerlich wirken. Und das Wissen, dass die drei großen Player auf der NSA-Watchlist einen Premiumplatz haben, macht es nicht besser.

Auf eine perfide Art haben diejenigen, die unsere demokratischen Rechte und Freiheiten attackieren wollen, schon gewonnen. Nicht durch Morde und Anschläge, sondern indem wir aus Angst damit begonnen haben, uns gegenseitig zu kontrollieren und zu überwachen. Wir haben unser eigenes System von innen verrotten lassen. Als Resultat vertrauen wir niemandem mehr. Keinen Unternehmen, keinen Institutionen, keinen Regierungen. Und wenn wir ganz genau hinschauen, dann vertrauen wir auch einzelnen Personen immer weniger. Es hat nur wenige Monate gedauert, bis sich diese Atmosphäre des Misstrauens, das zu Unfreiheit führt, etabliert hat. Es wird viele Jahre dauern, sie wieder zu verändern. Wenn das überhaupt möglich ist. 

In der letzten Folge „Digital ist besser“ erklärte Johnny Haeusler, warum er Musik-Streaming-Dienste wie Spotify langweilig findet. 

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