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Das WIRED-Interview mit Jill Soloway, Regisseurin der Hit-Serie „Transparent“

von Chris Köver
Jill Soloway ist eine Fernseh-Veteranin. Jahre lang schrieb sie für HBOs „Six Feet Under“ und Showtimes „United States of Tara“. Ihre erste eigene Serie „Transparent“, produziert für Amazon, überbietet alle bisherigen Erfolge. Für ihre Geschichte über  Familie Pfefferman und Familienvater Mort, der beschließt, als  Frau zu leben, gewann Soloway den Golden Globe, den Emmy und die Herzen einer ganzen Community. WIRED sprach mit ihr über Fernsehen als Politik, das Ende des Patriarchats und warum sie für die neue Staffel eine Transfrau in ihr Writers Team geholt hat.

WIRED: Sie sagten mal, das Schreiben fürs Fernsehen sei für Sie eine Art von Politik. Können Sie das erklären?
Jill Soloway: Ich bin mit einer Mutter aufgewachsen, die Teil der Frauenbewegung war, in einem Viertel von Chicago, das vorwiegend Schwarz war, die Black Panther planten nebenan die Revolution. Ich wusste genau, dass ich später auch Teil einer Bewegung sein will. Zwischenzeitlich vergaß ich das wieder. Das Leben trat in den Vorder- und die Frauenbewegung in den Hintergrund. Dann hatte ich die Chance, diese Show zu machen — und erkannte, dass ich damit Teil einer Bewegung bin, der feministischen Bewegung und der Bewegung für die Rechte von Transmenschen. Plötzlich konnte ich endlich das tun, was mir schon als Kind wichtig war: dabei helfen, die Welt zu ändern.

Ich wusste genau, dass ich später auch Teil einer Bewegung sein will.

WIRED: Das war nicht von Anfang an Ihre Absicht, als sie „Transparent“ schrieben?
Soloway: Es glich eher einer Lernkurve. Ich musste erst einmal verstehen, was es heißt, dass mein eigenes Elter trans ist (Anm. der Redaktion: Soloway wählt die geschlechtsneutrale Bezeichnung „Elter“ oder „Mapa“ für ihre). Ich glaube, ich ging auf so eine Hipster-Art davon aus, dass ich queere Menschen kenne. Traditionen wie die des heimlichen Cross-Dressings,  das Tragen der Kleidung des anderen Geschlechts — solche Dinge musste auch ich erst einmal lernen und verstehen.

WIRED: Haben Sie all das von ihrer Mapa gelernt?
Soloway: Nein, eher von Aktivistinnen. Ich traf Frauen wie Jenny Boylan, Laverne Cox oder Janet Mock. Ich las auch Bücher wie das von Julia Serano, versuchte, in ihre Welt einzutauchen. Ich glaube, ich weiß mehr über die Geschichte der Trans-Bewegung als meine Mopa.

WIRED: Ein großer Teil Ihrer Show-Crew ist trans, einige Nebenrollen sind mit Trans-Schauspielern besetzt. Warum haben Sie die Hauptrolle der Maura trotzdem von einem Mann spielen lassen?
Soloway: Jeffrey Tambor erinnert mich einfach so sehr an meine Mapa. Ich hatte das Gefühl, keine andere Wahl zu haben. Sie sehen sich extrem ähnlich. Außerdem hatte meine Mapa gerade erst ihr Coming-Out hinter sich, so wie Maura in der Serie. Es geht ja eben um die Ungeschicktheit des Coming-Outs und des sich Einfindens in einer neuen Rolle. Es wäre schwierig gewesen, diese Rolle von einer Trans-Schauspielerin spielen zu lassen, die diesen Prozess längst hinter sich hat.

WIRED: Für die zweite Staffel haben sie auch eine Transfrau als Autorin für die Serie angeheuert, die Musikerin Our Lady J. Warum war Ihnen das wichtig?
Soloway: Wenn ich eine Serie über Deutsche machen würde, ohne dass Deutsche im Raum wären, oder eine Show über Frauen ohne Frauen im Team, dann wäre das absurd. Es gibt Menschen, die so etwas tun, aber die Resultate sind mäßig.

WIRED: Wird das Storytelling besser und authentischer, wenn Menschen aus ihrer eigenen Erfahrung heraus sprechen?
Soloway: Definitiv, aber es geht auch um die Arbeitsathmosphäre im Writers Room. Wenn wir über Trans-Geschichten reden wollen, ohne diese Menschen zu Anderen zu machen, dann müssen sie mit im Raum anwesend sein. Wenn eine Transperson jetzt anwesend wäre, würde es die Art ändern, wie Sie Fragen stellen. Menschen werden dann respektvoller. Wir hatten von Anfang an eine Autorin im Team, die queer ist und sich keinem Geschlecht zurechnet. Was aber bisher fehlte, war die Stimme einer Transfrau. Die haben wir jetzt mit Our Lady J. gefunden.

WIRED: Nervt es Sie manchmal, dass so viel Verantwortung auf Sie geladen wird, absolut alles richtig machen zu müssen im Umgang mit dem Thema?
Soloway: Wir arbeiten sehr inklusiv, fragen ständig alle BeraterInnen: Wie können wir diese Szene noch besser machen? Das Gute daran: Dadurch, dass viele verschiedene Transmenschen dabei sind, bekommt man unterschiedliche Meinungen zu hören. Die eine sagt vielleicht, das ist beleidigend, die andere findet es perfekt. Dann diskutieren wir. Vor der Serie hatte ich befürchtet, dass es mich lähmen würde, BeraterInnen zu haben. Menschen, die mich darauf hinweisen, wenn sie die Darstellung unfair finden. Aber das ist nicht der Fall, es ist toll. Ich glaube, das ist der Grund, warum so viele Serien weiße Männer als Showrunner haben. Die denken sich: Das ist Comedy, also werde ich mich einfach nur mit anderen Menschen umgeben, die genau so sind wie ich, damit ich in Ruhe mein schlechtestes Selbst sein kann.

WIRED: Transfrauen scheinen gerade so sichtbar zu sein wie noch nie: Laverne Cox ist ein Star, Caitlyn Jenner war auf dem Cover der „Vanity Fair“. Glauben Sie, dass Sie eine Geschichte wie „Transparent“ vor fünf oder zehn Jahren hätten erzählen können?
Soloway: Amazons Methode, mehrere Pilotfolgen zu präsentieren und die Zuschauer entscheiden zu lassen, welche dann produziert wird, ist sehr interessant. Wäre diese Serie in einer typischen Senderstruktur entstanden, hätte ich mit fünf Menschen in einem Raum gesessen — von denen die meisten weiße Männer gewesen wären — und die hätten sagen können: Diese Geschichte ist mir irgendwie unangenehm. Aber so, wie Amazon es macht, konnten wir direkt das Feedback des Publikums dazu hören — inklusive der Rezensentinnen wie Emily Nußbaum (Kritikerin des „New Yorker“) oder Willa Paskin („Slate“). Sobald die Pilotfolge draußen war, erklärten sie ihre Liebe: Das wäre mit einem normalen Sender nie möglich gewesen und vielleicht hätte diese Serie dann nie das Licht der Welt erblickt. Die Frage ist aber, wie viele andere interessante Geschichten gerade nicht erzählt werden. Ich würde zum Beispiel unglaublich gerne eine Geschichte aus der Perspektive syrischer Geflüchteter in den USA sehen.

Es reicht nicht,  eine Frau in eine Rüstung zu stecken und auf ein Pferd zu setzen. Die Reise der Heldin müsste es schaffen, die einzelnen Fragmente des Weiblichen wieder zu einem Ganzen zusammenzufügen.

WIRED: Sie haben vor einigen Jahren Plattform wifey.tv gegründet, eine Video-Seite, die ausschließlich die Arbeit von Frauen zeigt. Ihnen scheint viel daran gelegen, andere Regisseurinnen zu fördern?
Soloway: Unsere westliche Geschichtenkultur ist geprägt vom männlichen Blick und der Reise des Helden. Wenn du damit aufwächst und dich damit beschäftigst, stellst du irgendwann fest, dass die Reise des Helden darauf aufbaut, Frauen zu teilen: In die Frau, die gerettet werden muss. Die Hexe, die Mutter, die Schlampe. Der Held bewegt sich an diesen Frauen vorbei, um zu seinem Ziel zu gelangen, sie stehen sozusagen als Objekte im Weg.

WIRED: Also lieber eine Heldin?
Soloway: Richtig. Gemeinsam mit der Autorin Diablo Cody begann ich mir  Gedanken darüber zu machen, wie im Kontrast die Reise der Heldin aussehen könnte. Es reicht nicht, einfach eine Frau in eine Ritterrüstung zu stecken und auf ein Pferd zu setzen. Die Reise der Heldin müsste es schaffen, die einzelnen Fragmente des Weiblichen wieder zu einem Ganzen zusammenzufügen. Das funktioniert durch Protagonismus, indem man Frauen die Kamera, den Stift in die Hand drückt oder in den Regiestuhl setzt. Damit sie sagen können, ich bin und ich sehe. Ich werde nicht gesehen.

Wir sind gerade erst dabei herauszufinden, wie wir Männer dazu bekommen, für uns zu kämpfen oder zu arbeiten, ohne diese kaputten Rollen einzunehmen.

WIRED: Würde eine Frau denn automatisch eine andere Geschichte erzählen, weil sie eine Frau ist?
Soloway: Frauen müssen männliche Macht oft nachahmen, um Zugang zu Führungspositionen zu bekommen. Wir finden gerade erst heraus, wie wir Männer dazu bekommen, für uns zu kämpfen oder zu arbeiten, ohne eine dieser kaputten Rollen einzunehmen: Ich bin die böse Mutti, tu, was ich sage. Oder, ich bin das hübsche Mädchen, das du ficken willst, also tu, was ich sage. Es geht darum, diese Teile wieder zusammenzufügen. Das zu reparieren, was durch die Frauenfeindlichkeit und die Abwertung des Weiblichen in unserer Kultur zerstört wurde. Ach Gott,  ich wollte doch gar nicht über den Umsturz des Patriarchats sprechen, aber Sie haben ja danach gefragt...

WIRED: Ich dachte, deswegen sitzen wir hier. Aber sagen Sie, sind es nicht manchmal auch Männer, die zur Reparatur der kaputten Frauenrollen beitragen? Der Autor und Regisseur Joss Whedon etwa ist dafür bekannt, Serienheldinnen zu schaffen, die ihre eigene Geschichte vorantreiben.
Soloway: Ich glaube, das Bewusstsein für diese Frage als solches ist weiblich. Es geht um einen Führungsstil, der anderen Menschen Raum lässt, ihre Arbeit zu entfalten. Zu sagen: Hier ist die Welt, was passiert jetzt? Aber das können alle Menschen tun — ungeachtet ihrer Biologie. In einer der neuen Episoden geht es um diese Frage: Was braucht man, um eine Frau zu sein? Brauchst du eine Vagina, einen weiblichen Körper, musst du menstruieren? Wir sehen, dass all das nicht notwendig ist, dass Männlichkeit und Weiblichkeit entkoppelt sind von der Biologie.

WIRED: Welche anderen Autorinnen beeinflussen Ihre eigene Arbeit am stärksten?
Soloway: Drei feministische Bücher haben die zweite Staffel stark geprägt. Das erste heißt „The Argonauts“ von Maggie Nelson. Es ist die Geschichte einer Frau, die sich in einen Transmann verliebt. Darin stehen Sätze wie „Mir wurde klar, dass ich keine Intimität mit jemanden aufbauen könnte, der nicht auch unter dem Patriarchat gelitten hat“. Diese Storyline haben wir in der zweiten Staffel für eine von Maura Töchtern benutzt. Eileen Myles ist eine Autorin und Dichterin aus New York und wir haben einige ihrer Gedichte für den Charakter Leslie verwendet, der nach ihr modelliert ist. Das dritte Buch ist „I Love Dick“ von Chris Kraus, eine großartige feministische Autorin. In dem Buch beschreibt sie, wie sie einem Professor namens Dick verfällt, der sie nicht ausstehen kann und in dieser Verletzlichkeit findet sie ihre eigene Stimme. Das fand ich sehr pfeffermanesque: diese heroischen, unordentlichen, auseinanderfallenden Menschen, die in ihrem Fallen doch wieder HeldInnen werden, das ist für mich auf eine Art sehr feministisch.

Die zweite Staffel von „Transparent“ ist ab dem 4. Dezember via Amazon Prime zu sehen.

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