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Bis der Reboot sie scheidet: Erste Roboter-Hochzeit in Japan

von Haluka Maier-Borst
In Japan sind zwei Roboter seit einer Woche ein Ehepaar. Die Hochzeit war eine Aktion der Künstlergruppe Maywa-Denki. Und so kurios das auch klingt — sie hat auch für uns Menschen eine Bedeutung.

Keiner hatte die Braut gefragt. Die Hochzeitstorte war schon bestellt, die Zeremonie durchgeplant und die Gäste eingeladen. Doch bis zum Schluss durfte die Braut nichts entscheiden. Nicht einmal, wen sie heiraten will oder ob sie überhaupt den Bund der Ehe eingehen möchte. Stattdessen wurde Robo-Lin einfach mit Frois verkuppelt. Ihr Mann fürs Leben: ein kantiger, grob geschnitzter Typ mit starrer Miene, der früher einmal in einem Ein-Euro-Laden wohnte. Nicht gerade das, was man sich unter einem Traumprinzen vorstellt. Robo-Lin machte es nichts aus. Denn sie und Frois sind Roboter. Und seit gut einer Woche sind die beiden jetzt ein Paar.

Eine Hochzeit unter Robotern, das klingt zunächst reichlich bescheuert und wahrscheinlich ist es das auch. Die Trauung hat in Japan stattgefunden, genauer in Tokyo, dem Epizentrum der japanischen Weirdness. Die Vermählung ist eine Aktion der Künstlergruppe Maywa-Denki und in erster Linie ein PR-Stunt.

Robo-Lin sieht aus wie eine junge Japanerin. Sie wirkt süß, weil ihre Augen stets dem Gegenüber folgen. Für ihren Bräutigam nette Worte zu finden, ist hingegen schwer. Frois ist kein edles Hightech-Produkt. Er besteht aus Mülleimern, Plastikkartons und Zangen. Die Einzelteile kann man in jedem 100-Yen-Shop kaufen, dem japanischen Äquivalent zum Ein-Euro-Laden. Sehr charmant ist Frois zudem auch nicht. Als der Hochzeitskuss ansteht, beugt er sich nicht zu seiner künftigen Ehefrau vor. Stattdessen lässt der Roboter eine mechanische Zunge nach vorne schnalzen und streckt sie Robo-Lin ins Gesicht.

Um die Absurdität des ganzen Events noch zu steigern, zählen zur Hochzeitsgesellschaft nicht nur menschliche Zuschauer, von denen jeder rund siebzig Euro fürs Dabeisein zahlen musste. Auch eine Rock-Band aus fischgrätenförmigen Robotern ist dabei und eine Kopie von HAL 9000, dem superintelligenten Computer aus Stanley Kubricks Film „Odyssee im Weltraum“.

Trotzdem erklärt Nobumichi Tosa, der Chef der Künstlertruppe, dass die Performance einen ernsten Hintergrund hat. „In einer Welt, in der immer öfter Roboter zum Haushalt und zur Arbeit gehören und in der wir Maschinen Passwörter und wichtige Aufgaben anvertrauen, ist die Hochzeit zwischen zwei Robotern ein wegweisender Schritt“, sagt er.

Seit mehr als zwanzig Jahren macht Nobumichi Tosa gemeinsam mit seinem älteren Bruder Masamichi Kunst, hauptsächlich Perfomance-Art. Zur Gruppe gehören je nach Bedarf noch einige andere Mitglieder. Benannt haben sich die beiden Brüder nach einer kleinen Elektronikfirma, die einst ihr Vater leitete. Passend dazu kleiden sie sich in blaue Firmen-Overalls und sprechen von Produktvorführungen statt Auftritten. Doch während das 1979 pleite gegangene Unternehmen des Vaters zunächst eigene Flugzeuge und später Einzelteile für Toshiba und Panasonic produzierte, stellen die Brüder elektrischen Nonsens her: Anschnallbare Flügel, an denen elektrische Kastagnetten hängen, riesige Blumen aus Xylophon-Stäben, die motorisierte Klöppel anschlagen.

„Klar, zu 90 Prozent ist unsere Kunst Spaß, aber zu zehn Prozent steckt darin auch Gesellschaftskritik“, sagt Nobumichi Tosa. Maywa-Denki will zeigen, wie Technologie unseren Alltag und unser Verständnis von der Welt ändert. Neben zahlreichen Ausstellungen und Auftritten in Japan war die Künstlertruppe schon in Paris, Zürich und Washington unterwegs.

Mit der Roboter-Hochzeit will Maywa-Denki nun mehr als Kunst machen. Diese Ehe soll eine Lösung sein. Sie soll helfen, wenn Erfinder und Nutzer sterben, aber der metallische Gefährte noch weiter lebt: „Wenn Roboter untereinander heiraten können, dann haben sie weiterhin jemanden, der für sie sorgt“, so sagt es Tosa. Außerdem verhindere es, dass ein Roboter traurig und allein alt werden muss.

Es braucht ein wenig Wohlwollen, um die Sichtweise der Japaner zu teilen. Denn trotz der Maschinenehe braucht es für Reparaturen und Alltagsprobleme wie das Aufladen der Batterien weiterhin den Menschen. Ganz zu zweit können Robo-Lin und Frois also nicht bis ans Ende ihrer Tage glücklich werden. Auch gesteht Tosa ein, dass die Maschinen im rechtlichen Sinne keine Verantwortung füreinander übernehmen können. Sie seien darum mit Firmen zu vergleichen, die auch ihren Gründer überleben können, aber die nach wie vor Menschen brauchen, um zu existieren.

Die wirklich relevante Frage, die der japanische Querkopf Tosa aber mit seinem neuesten Werk stellt, ist keine technische oder rechtliche. Es ist die Frage danach, was eine Ehe zwischen zwei Robotern von einer Ehe zwischen zwei Menschen unterscheidet. Den ganzen teuren Pomp der Hochzeit, die geschwollenen Reden, die Blumenmädchen, das Anschneiden der Torte, das Küssen — all das hat Maywa-Denki eins zu eins kopiert. „Speziell in Japan sind Hochzeiten ein Sammelsurium an Bräuchen aus der ganzen Welt, die wenn man sie Maschinen machen lässt, vollkommen absurd erscheinen“, sagt Tosa.

Letztlich zeigt Tosa damit, was Menschen und Maschinen voneinander unterscheidet und wieso eine menschliche Hochzeit kitschig aber nicht absurd wirken kann. Der entscheidende Faktor, so sagt es Tosa, seien die Gefühle. Egal wie menschenähnlich Robo-Lin und Frois aussehen mögen, sie kennen kein Herzklopfen und haben nie Schmetterlinge im Bauch gespürt. Deswegen sei es ihnen auch egal, wen sie heiraten. Die meisten Menschen dagegen hätten wohl ein Problem damit, den Rest des Lebens an der Seite eines rot-silbernen Mülleimers zu verbringen. 

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